Das Zimmermann-Telegramm: ein Wendepunkt der deutsch-mexikanischen Beziehungen?

Das sogenannte Zimmermann-Telegramm gehört zu den bekannteren Episoden der deutsch-mexikanischen Beziehungen. Es wurde im Januar 1917 von Arthur Zimmermann, dem damaligen deutschen Außenminister, an die deutsche Gesandtschaft in Mexiko gesandt. Ein „Fiasko deutscher Außenpolitik“ so lautet das Urteil auf der Seite des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes. Der Inhalt: Falls die Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg eintreten sollten, solle Mexiko sich auf deutscher Seite engagieren und im Gegenzug die Aussicht erhalten, die 1848 nach dem Krieg gegen die USA verlorenen Gebiete – Texas, New Mexico, Arizona – zurückzugewinnen. Das gleichfalls an die USA abgetretene Kalifornien wollte Deutschland wohl Japan geben

Hintergrund und Zielsetzung

Deutschland befand sich in einer zunehmend schwierigen Position. Die Seekriegsführung gegen Großbritannien hatte nicht den erhofften Erfolg gebracht. Mit dem Beginn des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs wollte man die britische Versorgung empfindlich treffen – nahm dabei aber bewusst in Kauf, die USA zu provozieren.

Um das Risiko eines Kriegseintritts der USA zu verringern oder im Falle eines solchen die amerikanische Schlagkraft zu binden, suchte Berlin nach Möglichkeiten, die USA an anderer Stelle zu beschäftigen. Mexiko erschien aufgrund seiner geographischen Lage und der bestehenden Spannungen zu den USA als naheliegender Partner.

Deutschland hoffte, Mexiko durch das Versprechen territorialer Gewinne für sich zu gewinnen. Die Idee war, die USA im Falle eines Kriegseintritts an einer zweiten Front im Süden zu binden und damit ihre militärische Handlungsfähigkeit in Europa einzuschränken.

Das Telegramm blieb nicht geheim: Britische Kryptographen konnten es abfangen und entschlüsseln. London spielte die Information an Washington weiter. Präsident Wilson veröffentlichte den Text am 1. März 1917.

Mexikos befand sich nach der Revolution in einer politisch und wirtschaftlich äußerst instabilen Situation. Ein Krieg mit den USA war völlig unrealistisch. Selbst wenn es gewollt hätte – Mexiko besaß weder die militärische Stärke noch die ökonomischen Mittel für ein solches Unternehmen. Anstatt die USA abzuschrecken, trug die Veröffentlichung des Telegramms erheblich dazu bei, die amerikanische Öffentlichkeit für den Kriegseintritt gegen Deutschland zu mobilisieren.

Am 6. April 1917 traten die USA tatsächlich auf Seiten der Entente in den Krieg ein. Dieser Eintritt war kriegsentscheidend – und das Zimmermann-Telegramm wurde im Nachhinein als ein Symbol für die deutsche diplomatische Fehlkalkulation gesehen.

Teil der deutsch-mexikanischen Beziehungsgeschichte

Das Telegramm steht in einer längeren Linie deutsch-mexikanischer Kontakte:

Schon im 19. Jahrhundert gab es wirtschaftliche Beziehungen, etwa durch deutsche Einwanderer, Handelsgesellschaften und wissenschaftlichen Austausch. Die deutsche Schule wurde z.B. 1894 in Mexiko-Stadt gegründet. Zur gleichen Zeit lud der damalige Diktator Porfirio Diaz europäische und auch deutsche Unternehmen ins Land, um Mexiko zu modernisieren und zu industrialisieren. So stammen u.a. die ersten Straßenlaternen in Mexiko von Siemens. Im frühen 20. Jahrhundert verstärkten sich dann die Wirtschaftsverflechtungen, insbesondere durch deutsche Industrie- und Handelsinteressen in Lateinamerika.

Das Zimmermann-Telegramm zeigt, wie diese Beziehungen in einem Moment globaler Eskalation instrumentalisiert werden sollten. Mexiko wurde dabei von Deutschland nicht als eigenständiger Partner ernstgenommen, sondern als strategische Option zur Schwächung oder zumindest zur Ablenkung und Bindung der USA betrachtet. Für Mexiko wiederum zeigt sich, wie sehr das Land trotz interner Konflikte in globale Konstellationen eingebunden war und zugleich durch die öffentliche Ablehnung des deutschen Angebots eine klare Haltung demonstrierte.

Didaktische Perspektive

Für den Geschichtsunterricht bietet das Zimmermann-Telegramm mehrere Ansatzpunkte:

  • Quellenarbeit: Der Telegrammtext selbst ist erhalten und lässt sich gut mit Schüler:innen analysieren (Sprache, Intention, diplomatische Codes). Es liegt sogar über das politische Archiv des Auswärtigen Amtes als Digitalisat vor.
  • Verflechtungsperspektive: Das Telegramm eröffnet einen Blick auf die globalhistorische Perspektive zum ersten Weltkrieg kurz vor Kriegseintritt der USA und eignet sich, um deutsch-mexikanische Beziehungen nicht isoliert, sondern im Kontext globaler Machtverhältnisse zu betrachten.

Das Zimmermann-Telegramm ist ein Beispiel, wie sich deutsch-mexikanische Geschichte beispielhaft nutzen lässt, um deutsche Geschichte in globalhistorische Perspektive einzubetten.

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Mehr oder weniger?

In der Geschichtswissenschaft wird bei der Digitalisierung von Quellen auch immer über den damit einher-gehenden Informationsverlust diskutiert. Im Vergleich zum Archiv ist das richtig. Im Bereich des schulischen Geschichtsunterrichts sieht das anders aus.

Im Unterricht kommen Textquellen in der Regel nur als transkribierte, übersetzte, stark gekürzte, mit einer Einleitung versehene Materialblöcke vor. Alle gleich aufgebaut und äußerlich nicht zu unterscheiden. Im Druck des Schulbuchs begegnet Schülerinnen und Schüler eine „mittelalterliche Urkunde“ genauso wie ein „Brief“ aus dem 18. Jahrhundert oder ein „Zeitungsartikel“ aus dem 20.

Digitalisierte Quellen bieten für den Geschichtsunterricht, sofern sie denn im Klassenraum verfügbar gemacht werden können, keinen Verlust, sondern einen Mehrwert an Informationen. Natürlich ersetzt eine digitalisierte Quelle nicht den Archivbesuch. Natürlich müssen Quellen auch weiterhin für junge Lernende aufbereitet, d.h. ggf. transkribiert, übersetzt oder auch gekürzt werden. Nichtsdestotrotz liegen in der Arbeit mit digitalisierten Quellen Potentiale für historisches Lernen:

Ein Brief ist wieder als Brief zu erkennen, eine Handschrift im 12. Jahrhundert sieht anders aus als im 19., ein Zeitungsartikel steht im Umfeld der Titelseite, auf der er publiziert wurde usw. Die Schülerinnen und Schüler erhalten also wesentlich mehr für das Verständnis und die Interpretation der vorliegenden Quelle relevanten Informationen als bislang in den Schulbücher oder auf Fotokopien. In großen Teilen, insbesondere bei gedruckten Quellen des 19. und 20. Jahrhunderts, ist nicht mal eine Aufbereitung notwendig, sondern es kann direkt mit dem Digitalisat gearbeitet werden.

Technisch ist die Umsetzung eine Kleinigkeit. Daher muss man nicht immer zuerst an aufwändige und in der Erstellung oft teure Simulationen, 3D-Modelle, Filme oder Lernplattformen denken, wenn man überlegt, wie die Arbeit mit digitalen Materialien im Geschichtsunterricht aussehen könnte. Bereits die Arbeit mit digitalisierten Quellen ermöglicht eine bedeutende Erweiterung und Veränderung historischen Lernens in der Schule. Neben die inhaltliche Analyse können nun gattungspezifische, formale und vor allem medienhistorische Aspekte treten. Wer sich daran macht, ein „wirklich digitales Schulgeschichtsbuch“ zu entwickeln, darf das Potential, das die digitalisierte Quellen für den Unterricht bieten, nicht unberücksichtigt lassen.

Verknappung vs. Überfluss

Auf die Formel von Verknappung versus Überfluss könnte man einen grundlegenden Unterschied zwischen analogem und digitalem Geschichtslernen bringen. Die bisherige Methodik des Geschichtsunterrichts basierte notwendigerweise auf verknappten Ressourcen. Grundlage des Geschichtsunterrichts ist in der Regel weiterhin weitgehend das Schulbuch, das aus einer mehr oder weniger umfangreichen Darstellung in Form eines Verfassertextes sowie einige Quellenauszügen besteht. In den letzten Jahrzehnten wurden diese durch Fotokopien ergänzt und erweitert.

Den in Schulbüchern abgedruckten Quellen ebenso denen durch die Lehrkraft auf Kopien ausgeteilten wird durch die erfolgte Vorauswahl und den Abdruck bereits eine hohe Relevanz zugeschrieben. Das ist ein Grund dafür, dass sie oft nur noch der Informationsentnahme, der Bestätigung des Lehrervortrags oder Verfassertextes dienen, aber nicht der historischen Auseinandersetzung. Eigentliche Quellenarbeit müsste früher einsetzen und sich nicht auf die Bearbeitung stark zusammengekürzte Textschnipsel reduzieren. So schreibt auch Körber:

„Im Unterricht wird jedoch zumeist einfach von einem gegebenen Quellenwert ausgegangen. Bereits die einfache Übung, den Schülerinnen und Schüler[n] ebenso Materialien zur Bearbeitung einer Fragestellung vorzulegen, die sich (erst) nach Prüfung als (für diesen Zusammenhang) belanglos erweisen, findet kaum statt – um so weniger noch die differenzierte Erörterung des Quellenwerts der, z.B. in Schulbüchern als relevant bezeichneten Materialien: Was im Buch oder auf dem Arbeitsblatt steht, muss bedeutsam sein, denn es hätte sonst nicht seinen Weg dorthin gefunden. Damit ist aber den Schülern geradzu die Denkleistung abgenommen, die zu der Erkenntnis führen kann, dass der Quellenwert dem Material nichts inhärentes, sondern ein ihm im Zuge des fragenbasierten historischen Denkens zugewiesenes ist.“ (Neuried 2007, 559)

Gegen eine wissens- oder archivnahe Beschäftigung mit Quellen im Klassenraum sprach neben der mangelnden Verfügbarkeit, im Wesentlichen ein Platzproblem des Schulbuchs, auch die Frage der „Effektivität“ des „durchgenommenen Stoffs“ in Bezug zur Unterrichtszeit sowie insbesondere für ältere Quellen deren Lesbarkeit. Ein Paläographiekurs ist Schülerinnen und Schülern sicher nicht zuzumuten. Mit der wachsenden Bedeutung der Zeitgeschichte in der Schule wird dieses Argument allerdings weniger wichtig.

Während der Archivsbesuch im Rahmen einer Exkursion oder eines Projekts die Ausnahme vom Regelunterricht bleibt, bietet die Digitalisierung die Möglichkeit die Archivsituation in die Schule zu holen. Zahlreiche Projekte und Institutionen haben dazu beigetragen, dass sich umfangreiche Themenangebote, Ausstellungen, vor allem aber zunehmend digitalisierte Quellensammlungen im Internet finden.

Eine im Hinblick auf den Überfluss von verfügbaren digitalisierten Quellen und Darstellungen veränderte Unterrichtsgestaltung kann sich aber erst entwickeln, wenn die Lehrkräfte die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht mehr nur für die Unterrichtsvorbereitung nutzen und diese damit bereits filtern und auswählen, sondern ihre direkte und ubiquitäre Verfügbarkeit für historisches Lernen in der Schule nicht nur zuzulassen und sie dazu zu nutzen, grundlegende Kompetenzen für den Umgang mit Geschichte außerhalb der Schule zu fördern.

Um die Fülle digitalisierter Quellen im Netz sinnvoll erschließen und verwenden zu können, müssen Schülerinnen und Schüler lernen, über adäquate Recherchestrategien in Suchmaschinen und Datenbanken zu verfügen, Dokumente anhand von Metadaten schnell zu identifizieren und ihre Relevanz im Hinblick auf die Fragestellung in einem ersten Schritt zu prüfen, ohne die komplette Quelle en détail zu lesen. Schließlich müssen sie in die Lage versetzt werden, die gefundenen Quellen gezielt und methodisch angemessen, ggf. mit Hilfe digitaler Werkzeuge, auszuwerten. Hier sind also Kompetenzen gefragt, die über den Geschichtsunterricht hinaus relevant sind, aber innerhalb des aktuellen schulischen Fächerkanons besonders in „Geschi“ angebahnt und eingeübt werden können.

Um dies zu leisten, ist in mehrfacher Hinsicht eine veränderte Gestaltung des Geschichtsunterrichts notwendig. Dies betrifft u.a. das Aufbrechen der Planung von Einheiten im 45 Minuten-Rhythmus, die durch längere Phasen projektorientierten Arbeitens ersetzt werden, eine Offenheit der Lernprozesse, deren Ergebnis anders als bei im Referendariat eingeübten Stundenmodellen nicht vorn vornherein feststeht und damit einhergehend das Zulassen eigener Fragen der Lernenden, deren mögliche Beantwortung an verfügbaren Materialien geprüft werden (Es kann dann auch eine wichtige Erkenntnis sein, dass sich gewisse historische Fragen aufgrund der Quellenlage nicht oder nicht eindeutig klären lassen).