Digitale Medien in der Schule: die Sicht der Schüler

Zunächst mal vielen Dank für die netten Reaktionen hier im Blog, per Mail und über Twitter auf den Artikel in Zeit Online. Das hat mich sehr gefreut; gerade auch die einiger Schüler aus verschiedenen Bundesländern.

Abgesehen von den Kommentaren unter dem Artikel, bei denen klar ist, dass die Kommentierenden gerne öffentlich ihre Meinung kundtun, auch wenn sie offenkundig nicht wissen, wovon sie schreiben, waren die Reaktionen überwiegend sehr positiv in dem Sinne: Es wäre schön, wenn mehr Lehrer digitale Medien im Unterricht einsetzen würden und darauf würden die Schüler als netzaffine Generation nur warten.

Interessant genug wird in Beiträgen über Internet- und Computernutzung im Unterricht gerne und viel über Ausstattung und Mittel, Chancen und Lehrerkompetenzen bzw. deren Mangel diskutiert, aber zum einen wird oft impliziert, dass es in den Schulen nur eine Generationenfrage sei, dass junge Lehrer nachwüchsen, die quasi selbstverständlich digitale Medien im Unterricht einsetzten. Zum anderen spielt die Sicht der Schüler selten bis nie eine Rolle, allenfalls wird davon ausgegangen, dass Schüler Arbeit mit dem Internet im Unterricht per se gut fänden (siehe z.B. hier).

Beides kann ich aus meiner begrenzten Erfahrungswelt so nicht bestätigen. Es gibt eine Menge auch junger Kollegen, die selbstverständlich Facebook oder ihr Smartphone nutzen, aber der Meinung sind, dass das nichts im Unterricht zu suchen habe und einen Unterricht reproduzieren, den sie im Studienseminar so gelernt oder als Schüler in den 80er und 90er Jahren selbst erlebt und für gut befunden haben. Ebenso kenne ich viele Kollegen – sagen wir mal im fortgeschrittenen Alter – , die mit Begeisterung immer neue Dinge ausprobieren, viel mit digitalen Medien arbeiten und Vorreiter in ihren Schulen sind. Es ist keine Frage des Alters. Entscheidend scheint mir viel mehr, die eigene Motivation und Neugier, Neues ausprobieren, die Schüler und sich selbst nicht langweilen zu wollen.

Was die Schüler angeht: Ich bemühe mich von Zeit zu Zeit meinen Unterricht und speziell nach dem Ausprobieren neuer Formen im Unterricht diese durch Schüler evaluieren zu lassen. Nun ja, evaluieren ist vermutlich etwas hochgegriffen, es geht um mündliche und (anonyme) schriftliche Rückmeldungen. (Wer mag, kann sich ein Beispiel für so einen Rückmeldebogen hier als Worddatei runterladen. Man muss das Rad ja nicht immer neu erfinden.)

Diese empfinde ich als sehr hilfreich und bin immer wieder positiv erstaunt wie präzise und gut auch schon jüngere Schüler (ich unterrichte ab Klasse 7) Unterricht beobachten und diesen reflektiert, differenziert und fair bewerten. Ich kann das nur empfehlen. Ich habe damit bisher ausschließlich gute Erfahrungen gemacht. Wichtig ist natürlich, die Schüler ernst zu nehmen, die Anonymität zu wahren und Kritik auch anzunehmen. Dann ist das Feedback der Schüler eine echte Bereichung und hilft dabei gemeinsam sowohl die Gruppe als auch den Unterricht weiterzuentwickeln.

Um zum Punkt zurückzukommen: Die Rückmeldungen zum Computer- und Interneteinsatz durch die Schüler sind durchaus gemischt. Einige finden das richtig klasse, andere überhaupt nicht. Kaum ein Punkt der Rückmeldungen in den verschiedenen Klassen und Kursen wird dermaßen kontrovers bewertet. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Arbeit mit Computern eine Individualisierung des Lernens unterstützt, so dass jeder arbeiten muss und sich im Gegensatz zu einer Frontalstunde nicht zurücklehnen und rausziehen kann. Vor allem aber, so mein persönlicher Eindruck, hängt die positive oder negative Bewertung an der Internetaffinität und den Vorkenntnissen der Schüler. Nur sehr wenige  Schüler nutzen privat Blogs oder Twitter oder schreibt aktiv an einem Wiki, wie z.B. der Wikipedia, mit. Genutzt werden soziale Netzwerke, Youtube etc.

Zusammenfassend lässt sichj sagen: je größer die Vorkenntnisse, desto positiver das Feedback. Aber es gibt weiterhin viele Schüler, die sich mit Computern sehr schwer tun, sich keineswegs intuitiv durch das Web klicken und den Unterricht mit Buch und Tafel vorziehen.

Beispielhaft seien hier einige typische Schülerrückmeldungen wiedergegeben, die die Vor- und Nachteile aus Sicht der Schüler aufzeigen:

„Mir gefällt, dass es nicht so ein strikt durchgezogener Unterricht ist, wo man nur die Jahreszahlen auswendig lernt.“

Meinst du, dass das, was du gelernt hast, für dich wichtig ist? „Ja, auf jeden Fall, da ich mit mir unbekannten Medien gearbeitet habe [… und] dass das neue Wissen auch in Zukunft einsetzbar ist für Geschichte, aber auch für andere Fächer.“

„Mir hat vor allem das selbstständige und eigenständige Arbeiten gut gefallen.“

„Zu Beginn hatte ich Probleme mit dem Computer […] Ich denke, dass es normal ist, dass man am Anfang ein bisschen Zeit braucht, um mit der Technik klar zu kommen.“

„Es war viel Arbeit.“

Schreibe auf, was dir am Unterricht am wenigsten gefällt: „nicht zu viel mit dem Computer arbeiten“

„Ich fand den Geschichtsunterricht gut, jedoch fände ich eine geringere Arbeit am PC besser.“

„Ich fand, dass wir etwas zu viel am PC gemacht haben im Unterricht und anfangs war ich manchmal […] überfordert.“

„Ich habe sehr viel gelernt, manches hat mir nicht sehr gefallen, wie z.B. die ganze Computerarbeit, aber das Positive überwiegt.“

„Ich wurde auf jeden Fall nicht unterfordert. Ich finde, es war schon richtig so, obwohl man nicht wirklich oft in der Schule so gefordert wird.“

„Medien“-Revolutionen?

In den letzten Tagen und Wochen haben viele Berichte die Bedeutung von Facebook, Twitter und co. für die Unruhen und Proteste in Tunesien und Ägypten hervorgehoben. In historischer Perspektive ist der Einsatz neuester Medien für die Organisation einer politischen Bewegung und die Verbreitung der eigenen Positionen weit weniger spektakulär als vielmehr selbstverständlich.

Natürlich ist es spannend zu sehen, wie hier das „Social Web“ politisch genutzt und damit Geschichte geschrieben wird, aber im selben Maß gab es auch in der Geschichte jeweils neue Formen der Kommunikation vom Buchdruck und Flugschriften über die Salons der Aufklärung zu den Karikaturen und Zeitungen, später dann Radio und Fernsehen, heute zusätzlich eben Facebook und Twitter. Niemand würde in Bezug auf die politischen Revolutionen der Vergangenheit von „Medien“-Revolutionen sprechen. Kern sind die politischen-gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und/oder religiösen Veränderungen. Dabei geht es natürlich auch immer um einen Kampf um den Zugriff auf die Medien, die jeweils aktuell schnellsten mit der größten Reichweite, und die damit verbundene Verbreitung der eigenen Perspektive. Während sich natürlich im 16. Jahrhundert zugleich auch eine (der heutigen vergleichbaren?) mediale Revolution abgespielt hat, sind die Medien für politische Bewegungen im Wesentlichen immer Mittel zum Zweck. Das ist heute auch nicht anders. Oft scheint sich bei den Kommentatoren bei der Begeisterung über die Rolle der „neuen“ Medien die Perspektive weg von den eigentlichen Beweggründen der Aufstände wegzubewegen.

Der ägyptische Staat reagierte zunächst mit dem Versuch, die mediale Kommunikation der Protestierenden zu zensieren bzw. völlig auszuhebeln. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht, aber die Aktualität der Geschehnisse in Nordafrika und dem Nahen Osten könnten im Geschichtsunterricht durchaus dazu genutzt werden, bei den Schülerinnen und Schülern Interesse für Geschichte durch einen historischen Vergleich zu wecken. Was mir als erstes in den Sinn kommt (Update: Und da bin ich wohl nicht allein, siehe hier), ohne sicher zu sein, wie weit der Vergleich wirklich trägt, sind die europäischen 1848/49er Revolutionen mit der vorhergehenden Zeit der Zensur-Regime des „Systems Metternich“.  Der Vergleich mit 1848/49 scheint mir auf jeden Fall ertragreicher, aufgrund der zunehmenden Gewalt aber auch der häufig in diesem Zusammenhang verwendeten Metaphern, als ähnliche Versuche im Hinblick auf das Ende der Sowjetunion (das eher als ein „Auseinanderfallen“, „Bröckeln“ denn als eine „Welle“ beschrieben wird). Als Schüler habe ich nie verstanden bzw. mir nicht vorstellen können, wie eine „Welle“ von Revolutionen durch eine ganze Reihe von Ländern „schwappt“. Genau das erleben wir aber heute.

In der Wikipedia heißt es dazu:

Revolutionen von 1848/49 – werden die Aufstände und bürgerlich-revolutionären Erhebungen gegen die zu dieser Zeit herrschenden Mächte der  Restauration und deren politische und soziale Strukturen in mehreren Ländern Mitteleuropas bezeichnet.

Die Welle der revolutionären Unruhen wurde zunächst − nach ersten Aufständen in Sizilien […] in der Lombardei […] – wesentlich mit der französischen Februarrevolution von 1848 und der Ausrufung der Zweiten französischen Republik als „Initialzündung“ ausgelöst.

In einzelnen Regionen eskalierte das Geschehen bis hin zu zwischenstaatlichen Kriegen […] oder nahm bürgerkriegsähnliche Ausmaße an […].

Die Erhebungen waren in den jeweiligen Staaten und Regionen von unterschiedlicher Intensität und Dauer. Spätestens im Oktober 1849 endeten die letzten revolutionären Kämpfe mit der endgültigen Kapitulation der ungarischen Unabhängigkeitsbewegung dieser Zeit.“

Während mein Eindruck bisher war, dass Schülerinnen und Schüler diese Zeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft als langweilig und weit weg (wie vieles im Geschichtsunterricht) empfinden, lässt sich durch den Bezug auf die aktuellen Ereignisse die Bedeutung von Pressefreiheit und Zensur, der Versuch politische Mitbestimmung zu erkämpfen anschaulich vor Augen führen.

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Es wäre wünschenswert, wenn die Ereignisse in Tunesien, Ägypten und den anderen Ländern auch zu einem veränderten deutschen/europäischen Blick auf „die“ Muslime beitragen würden, die in den letzten Jahren viel zu oft falsch und pauschalisierend als religiöse Eiferer und antidemokratisch wahrgenommen und dargestellt wurden. Oft war dies verbunden mit dem Verweis auf die Diktaturen der arabischen Welt, die, wie nun spätestens klar wird, einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Stärke aus europäischer und US-amerikanischer Unterstützung gezogen haben.

Eine Art Teufelskreis: Unterstützung der Diktaturen, um zu behaupten Muslime wären demokratieunwillig oder -unfähig, was wiederum die Unterstützung von Diktaturen rechtfertigt, um potentiell islamistische und antiwestliche  Regime zu verhindern, die als einzige Alternative gesehen  und präsentiert werden… von wegen „alternativlos“.

Es wäre schön, wenn durch die intensive Berichterstattung in möglichst vielen europäischen Köpfen ein Konzeptwechsel gefördert  würde, der vorhandene Vorurteile als offensichtlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmend verwirft und durch differenzierte Sichtweisen ersetzt.

Iran 2009 im Comic

Das Vorbild kann der Comic nicht verleugnen. Wer Persepolis von Marjani Satrapi kennt, wird die Ähnlichkeiten schnell erkennen. Im Blog-Comic Zahra’s Paradise schildern Amir und Khalil ihre Sicht auf die Demonstrationen,  bei denen Twitter so eine wichtige, medial weltweit beachtete Rolle gespielt hat und die vorschnell als grüne Revolution tituliert worden waren, im vergangenen Jahr in Iran anhand einer fiktiven Geschichte.

Jede Woche erscheint im Blog eine neue Seite des Comics, der auch in Buchform erscheinen soll. Zu den Hintergründen findet sich auf Qantara.de ein kurzer Bericht von einem Gespräch mit den beiden Autoren. Der Comic erscheint im Internet in zehn Sprachen, darunter u.a. Englisch, Französisch und Spanisch. Sehr interessant sind auch die Kommentare zu den jeweiligen Seiten.

Die Conquista als TwHistory-Projekt

kulturcrash ist der Arbeitstitel des TwHistory-Projekts des 11er LK Geschichte am Eichendorff-Gymnasium, das heute startet. Es geht um die Eroberung Mexikos, das Aufeinandertreffen von Spaniern und Azteken und letztlich den Untergang des Reiches der Azteken und ihrer Kultur. Auf der Homepage des Projekts finden sich die ersten Kurzbiografien der Protagonisten. Die Schüler des Leistungskurses schlüpfen in die Rollen der historischen Personen und werden aus ihrer jeweiligen Perspektive, als Azteke oder Spanier,  auf Twitter über die Begegnung von Azteken und Spaniern und die Eroberung des Aztekenreiches berichten. Alle weiteren Informationen zum Projekt sowie alle Tweets vom 15. September 1520 bis zum Fall Tenochtitláns am 13. August 1521 finden sich auf dem Projektblog.

 

Virtuelles Reenactement mit Twitter im Geschichtsunterricht

Hier die Präsentation vom gestrigen Vortrag auf der iMedia in Mainz. Die Präsentation stellt  ein mögliches Unterrichtsmodell vor, wie sich Twitter methodisch sinnvoll in den Geschichtsunterricht einbinden lässt. Anregungen und Kritik sind herzlich willkommen.

Die verwendeten Quellen zu dem in der Präsentation genannten „Stehgreif-Spiel“ zum 2-plus-4-Vertrag finden sich hier zum Download. Im Unterricht würde ich dies allerdings eher als Podiumsdiskussion ohne Twitter organisieren, da sich der technisch vergleichsweise aufwändige Einsatz von Twitter für eine Unterrichtsstunde alleine m.E. nicht lohnt.

Neues TwHistory Projekt

Startschuss für ein neues historisches Reenactment Projekt auf Twitter:

Nach der Schlacht von Gettysburg und der Kubakrise nehmen sich die amerikanischen Macher von TwHistory nun einem Pioniertrek der Mormonen an. 1847 zogen 147 Siedler, darunter drei Frauen und zwei Kinder, von Omaha, Nebraska, gen Westen über die Rocky Mountains. Aufgrund von Originalquellen, Briefen und Tagebüchern, wird der Zug der amerikanischen Siedler Tag für Tag rekonstruiert und auf Twitter zusammenfassend nachgestellt. Das Projekt beginnt heute, am 5. April und endet am 24. Juli mit der Ankunft am großen Salzsee, im Salt Lake Valley des heutigen Utah. Zu diesem Zeitpunkt gehörte das Gebiet noch zu Mexiko und wurde erst im Februar 1848  Teil der USA. Wer die Kurznachrichten aus der Vergangenheit lesen möchte, muss nur den entsprechenden Personen, aufgrund der Quellenlage ausgewählte Pioniere des Treks, auf Twitter folgen. Die Liste der Teilnehmer findet sich hier. Um diese und die Tweets zu sehen, ist allerdings eine vorangehende Anmeldung auf Twitter notwendig.

Pioneer cabin 1847, Oregon State University Archives.

TwHistory: Paulskirchenprojekt

Tom Caswell von TwHistory hat in einer Twitterliste noch einmal alle Tweets des Paulskirchenprojekts zusammengefasst:

http://twitter.com/tom4cam/paulskirchenprojekt

Weitere Projekte zur Arbeit mit twitter im Geschichtsunterricht sind in der Planung. Das Rekonstruieren von Geschichte in 140 Zeichen scheint noch Potential für den Unterricht als digitale Form des Rollenspiels zu bergen.

Paulskirchenprojekt en français

Lyonel Kaufmann gibt in seinem Blog eine Zusammenfassung des Twitter- und Blogprojekts auf Französisch. Für alle, die des Französischen mächtig sind, bietet Lyonel Kaufmann, der in der Lehrerfortbildung an der Haute Ecole Pédagogique in Lausanne in der Schweiz arbeitet, umfangreiche Seiten, von denen der Blog nur ein Teil ist,  mit zahlreichen Informationen, Anregungen und Überlegungen rund um den Geschichtsunterricht und vor allem dessen Entwicklung mit digitalen Medien. #Lesenswert!