Gezielte Gewalt und kalkulierte Desinformation – der „Kurfürstendamm-Krawall“ von 1931

Manchmal stößt man beim Scrollen durch Social Media auf kleine historische Fundstücke, die ein ganzes Kapitel Geschichte aufblitzen lassen. So etwa ein geteilter Artikel aus der New York Times vom 18. September 1931 mit der Überschrift: „Hitler Condemns Riots — He Says They Were Provoked by Paid Agents in Germany.“ Nur wenige Zeilen lang, doch bemerkenswert: Adolf Hitler distanziert sich darin von antisemitischen Ausschreitungen in Berlin – und behauptet zugleich, die Gewalt sei von „bezahlten Provokateuren“ ausgelöst worden, die der NSDAP schaden wollten.

Hinter dieser kurzen Depesche verbirgt sich ein Ereignis, das die Weimarer Republik erschütterte: der sogenannte „Kurfürstendamm-Krawall„. Am 12. September 1931, dem jüdischen Neujahrsfest Rosch HaSchana, griffen Gruppen von SA-Männern auf dem Berliner Kurfürstendamm und anliegenden Straßen brutal jüdische Passant:innen und vermeintlich jüdisch aussehende Menschen an. Dabei handelte es sich um einen gezielten Einsatz von Gewalt. Dieser war organisiert, nicht spontan, und ereignete sich mitten in der Hauptstadt (siehe als Quelle auch den Bericht der Jewish Telegraphic Agency vom 15.09.1939: PDF).

Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren heftig. Liberale und sozialdemokratische Zeitungen berichteten ausführlich und verurteilten die Angriffe als Vorzeichen einer heraufziehenden Pogromstimmung. Auch international sorgte der Vorfall für Empörung – besonders in den USA und Großbritannien.

Die Berliner Justiz reagierte rasch. Bereits wenige Tage später wurden 33 SA-Männer angeklagt. Das Landgericht verhängte Haftstrafen zwischen neun und 21 Monaten wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung. Die beiden Hauptangeklagten – Wolf-Heinrich Graf von Helldorff und Karl Ernst – erhielten je sechs Monate Gefängnis und eine Geldstrafe von 100 Mark. Das galt im Kontext der Weimarer Zeit zunächst als vergleichsweise hartes Urteil – denn rechte Täter kamen häufig glimpflich davon. Doch schon kurze Zeit später wurden die Strafen in der Berufung erheblich reduziert bzw. ganz aufgehoben. Helldorff und Ernst saßen kaum ihre Haft ab, kehrten in die SA zurück und machten Karriere.

Verteidigt wurden die Angeklagten von zwei Juristen, die später zu zentralen Akteuren des nationalsozialistischen Staatsapparats aufstiegen: Hans Frank und Roland Freisler. Beide übernahmen Hitlers Argumentationslinie, wonach es sich nicht um antisemitische Gewalt, sondern um eine „kommunistische Provokation“ gehandelt habe. Frank, damals Anwalt Hitlers und auch schon Reichstagsabgeordneter, und Freisler nutzten den Prozess als politische Bühne.

Hitlers Erklärung in der New York Times war eine Form strategischer Kommunikation: Die Gewalt wurde nicht geleugnet, aber umgedeutet. Die These von den „bezahlten Agenten“ entfaltete eine enorme Wirkung. Sie erlaubte der NSDAP, sich öffentlich von Exzessen zu distanzieren, ohne die Gewalt selbst zu verurteilen. Gleichzeitig stellte sie die demokratische Öffentlichkeit als manipuliert und unglaubwürdig dar. Schon hier zeigt sich ein Muster politischer Desinformation, das sich bis in unsere Gegenwart zieht.

Die Argumentation Hitlers von 1931 war eine frühe Form dessen, was man heute „False-Flag“-Narrativ nennt – also die Behauptung, ein Anschlag oder eine Gewalttat sei von Gegnern fingiert worden, um der eigenen Gruppe zu schaden. Auch in der Gegenwart finden sich solche Behauptungen regelmäßig. Ziel ist dabei stets dasselbe: Verantwortung zu verschleiern, Zweifel zu säen und die Grenze zwischen Fakt und Fiktion zu verwischen. Das Beispiel von 1931 zeigt, dass Desinformation kein digitales Phänomen ist, sondern eine alte Strategie – damals über gedruckte Presse, heute über soziale Medien.

Für den Geschichtsunterricht bietet dieses historische Fundstück einen wertvollen Zugang: Wie verändern sich Muster von Desinformation über die Zeit – und was bleibt gleich? Der New York Times-Artikel von 1931 kann mit aktuellen Beispielen (siehe z.B. den Sturm auf das Kapitol vom 06.01.2021) verglichen werden. Mögliche Leitfragen wären:

  • Wie wird Verantwortung verschoben oder relativiert?
  • Welche sprachlichen Mittel werden eingesetzt, welche Emotionen angesprochen?
  • Welche Wirkung hat / hatte das Narrativ z.B. in der öffentlichen Wahrnehmung oder politischen Kultur?

So kann das Beispiel von 1931 helfen, Medienkompetenz und historisches Urteilsvermögen miteinander zu verbinden und der Geschichtsunterricht so mit seinem „Kerngeschäft“, der Quellenarbeit, zur allgemeinen Medienbildung und der Orientierung in der Gegenwart beitragen.

Auf Spurensuche: Mexikos Protest gegen den „Anschluss“

Der “Anschluss”: Mit dem 12. März 1938 wurde die Republik Österreich in das nationalsozialistische Deutschland eingegliedert. Während die meisten Staaten untätig blieben oder den Anschluss stillschweigend akzeptierten, reagierte Mexiko ungewöhnlich klar. Am 19. März 1938 legte Mexiko als einziges Land beim Völkerbund offiziell schriftlich Protest gegen den „Anschluss“ ein.

Der Protest wurde durch den mexikanischen Gesandten beim Völkerbund in Genf, Isidro Fabela, übermittelt, unter der Regierung von Präsident Lázaro Cárdenas, und bezeichnete die Annexion als Verstoß gegen das Völkerrecht und insbesondere als Angriff auf die politische Unabhängigkeit Österreichs.

Gedenktafeln im Museo del Risco – ehemaliges Wohnhaus von Fabela, das er 1958 dem mexikanischen Volk geschenkt hat

Aber auch der Völkerbund akzeptierte stillschweigend den Bruch internationalen Rechts durch Deutschland – die Trennung von Deutschland und Österreich in zwei unabhängige, souveräne Staaten war durch die Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg festgeschrieben.

In Mexiko-Stadt hingegen „hatten die deutschen Nationalsozialisten der NSDAP, Landesgruppe Mexiko […] ein ‚Fest für den vollzogenen Anschluss‘ vorbereitet“, das eine öffentliche Bücherverbrennung einschloss und zu der es „für Personen mit Verwandten in Deutschland oder Österreich ratsam“ sei hinzugehen.

International wurde Mexikos Protest jedoch besonders von den demokratischen Staaten als ein aktiver Ausdruck von Solidarität und als moralischer Bezugspunkt anerkannt. Außenpolitisch pflegte Mexiko insbesondere unter Cárdenas eine Politik, die auf Nicht-Intervention, Selbstbestimmungsrecht der Völker und Rechtstaatlichkeit setzte. Der Anschluss Österreichs war für Mexiko ein Signal dafür, wie einzelne Staaten internationale Regeln missachten konnten. Mexiko sah in der Protestnote nicht nur symbolischen Wert, sondern verstand sie als Teil seiner Außenpolitik gegen aggressive Expansion.

Und das durchaus im eigenen Interesse: 1938 geriet Mexiko zeitgleich in einen Streit mit den USA über die Verstaatlichung der Ölindustrie unter Präsident Cárdenas. Somit diente die Protestnote auch der Selbstbehauptung mexikanischer Souveränität. Gleichzeitig stand sie im Kontext der interamerikanischen Politik und der Monroe-Doktrin: Mexiko forderte die Abkehr von US-Dominanz und ein System gegenseitiger lateinamerikanischer Solidarität, das später auf der 8. Panamerikanischen Konferenz in Lima 1938 bekräftigt wurde.

Spurensuche

Viele exilierte Österreicher fanden in Mexiko vorübergehend Zuflucht. Die genaue Zahl der österreichischen Flüchtlinge in Mexiko ist nicht bekannt (es werden Zahlen zwischen 500 und 1500 genannt), da viele ihren Geburtsort aus der Zeit vor 1918 in den Grenzen des untergegangenen österreichisch-ungarischen Reiches nutzten, um mit einer anderen Staatszugehörigkeit einzureisen. Wer sich dafür näher interessiert: Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hat Biographien von Verfolgten gesammelt und stellt diese online zur Verfügung.

Als sichtbares Denkmal für Mexikos Schritt existiert in Wien der Mexikoplatz im 2. Wiener Gemeindebezirk (Leopoldstadt). Die Umbenennung erfolgte 1956, um an Mexikos offizielle Protestnote zu erinnern. Auf dem Platz befindet sich ein Gedenkstein, der 1985 enthüllt wurde, mit der Inschrift:

„Mexiko war im März 1938 das einzige Land, das vor dem Völkerbund offiziellen Protest gegen den gewaltsamen Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich einlegte. Zum Gedenken an diesen Akt hat die Stadt Wien diesem Platz den Namen Mexiko-Platz verliehen.“

2008 errichtete der Künstler Marko Lulić auf dem Mexikoplatz ein temporäres Mahnmal. Ausgehend von der Inschrift auf dem Gedenkstein mit dem Hinweis auf den “gewaltsamen Anschluss” setzte sich dieses Mahnmal kritisch dem Mythos von Österreich als „erstem Opfer“ des Nationalsozialismus auseinander, in dem es in über drei Meter großen Zahlen „99,73“ auf die Zustimmung in Österreich in der Volksabstimmung im April 1938 verweist. Auch wenn diese Abstimmung nicht unter demokratischen Bedingungen durchgeführt wurde, verweist das Mahnmal auch auf die hohe Zustimmung in der Bevölkerung zur Vereinigung mit Deutschland und zu den Ideen des Nationalsozialismus bereits vor dem „Anschluss“.

Gedenkstein in Mexiko-Stadt von 2019

Darüber hinaus gibt es seit 2005 in der Wiener Donau-City die Isidro-Fabela-Promenade, deren Strassenschild eine Tafel mit erklärendem Text umfasst. 

In Mexiko-Stadt gibt es seit 2019 einen Gedenkstein mit Inschriftentafel auf einer kleinen Grünecke mitten in einer breiten Autokreuzung, wo sich der Paseo de la Reforma und Insurgentes kreuzen, in Nähe des mexikanischen Senats. Der Text auf der Tafel würdigt Mexikos offiziellen Protest gegen die Annexion Österreichs. Die Skulptur hat der österreichische Künstlers Mathias Hietz geschaffen und ist ein Geschenk Österreichs an Mexiko als Dank für den offiziellen Protest.

Das Thema im Unterricht

Schrifttafel auf dem Gedenkstein in Mexiko-Stadt

Der Protest Mexikos gegen den Anschluss ist mehr als ein historisches Randereignis. Er zeigt, dass auch Staaten, die nicht unmittelbar betroffen sind, moralische und völkerrechtliche Verantwortung übernehmen können. Für den Geschichtsunterricht bieten sich mehrere Lerngelegenheiten:

Quellenarbeit: Die Protestnote (Digitalisat im französischen Original und Transkript auf Deutsch) und zeitgenössische Reaktionen ermöglichen ein differenziertes Bild und betten den “Anschluss” in eine globalgeschichtliche Perspektive ein.

Erinnerungskultur: Die Straßenbenennungen und Gedenksteine in Wien und Mexiko zeigen, wie Geschichte in den öffentlichen Raum eingeprägt wird und wie Erinnerungspolitik und -kultur sich verändern. Die Orte in Wien bzw. Mexiko können auch Gegenstand von (virtuellen) Exkursionen und Erkundungen vor Ort sein.

Politische Ethik und Sanktionen: Der mexikanische Protest ist ein Beispiel, wie internationales Recht und multilaterale Institutionen gestärkt oder geschwächt werden, je nachdem wie Staaten handeln, und kann im Unterricht mit der Appeasement-Politik kontrastiert werden.

Zum Weiterlesen seien abschließend noch diese beiden online verfügbaren Artikel empfohlen:

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Österreicher im Exil. Mexiko
1938–1947 (2002), https://www.doew.at/cms/download/81056/mexiko_protest.pdf

Gerhard Hafner, A Swallow in Winter: The Mexican Protest in 1938 (2018), https://viennalawreview.com/index.php/vlr/article/view/121

Zurück zu Teil 4: Das Zimmermann-Telegramm 1917.

Copy & Play: ein Spiel über das alte Ägypten

Mit Flut und Ernte ist das fünfte und damit letzte Spiel unserer Copy & Play-Reihe erschienen. An den ersten Ideen haben wir bereits vor neun Jahren gearbeitet. Das neue Spiel setzt sich inhaltlich mit dem Alten Ägypten und der zentralen Bedeutung der Nilflut für Landwirtschaft, Gesellschaft und Herrschaftsordnung auseinander. Die Spielenden übernehmen die Rolle einer Dorfgemeinschaft am Nil, die in jedem Jahr mit der Unsicherheit des Wasserstandes konfrontiert ist. Entscheidungen über den Bau von Kanälen, Deichen und Speichern stehen an, ebenso wie die Frage, wie die Ernte verteilt wird und welche Rolle dabei die Beamten des Pharao spielen. Das Spiel macht nachvollziehbar, wie stark Umweltbedingungen, technische Lösungen und soziale Hierarchien in einer frühen Hochkultur miteinander verflochten waren.

Damit fügt sich Flut und Ernte stimmig in die Reihe der Copy & Play Spiele ein. Wie auch die anderen Titel – etwa zu Themen der Antike, z.B. zum Limes, oder das Leben in der Altsteinzeit – folgt es dem Prinzip, dass Material und Regeln leicht kopierbar, handhabbar und in einer Doppelstunde einsetzbar sind. Die Idee ist, Spiele so zu gestalten, dass Lehrkräfte ohne große Vorbereitung damit arbeiten können und die Schülerinnen und Schüler zugleich ein Angebot erhalten, historische Situationen handelnd zu erfahren. Die Copy & Play Spiele sind alle didaktisch ähnlich ausgerichtet und aufgebaut: ein überschaubarer Materialeinsatz, klare Regeln, gleiche Symbolsprache, relativ kurze Spieldauer und vor allem ein offenes Ergebnis, das Gruppen zu unterschiedlichen Erfahrungen und damit auch zu unterschiedlichen Reflexionen führt.

Genau darin liegt die Stärke solcher Spiele. Im Unterricht werden historische Themen oft über Texte vermittelt, die Distanz erzeugen und eine hohe Abstraktionsleistung verlangen. Spiele bieten hier eine andere Erfahrung: Sie zwingen zu Entscheidungen, sie machen Abhängigkeiten sichtbar, sie erzeugen Konflikte und zeigen Grenzen auf. In Flut und Ernte wird deutlich, wie riskant es sein konnte, von der Natur abhängig zu sein, wie notwendig Planung und Kooperation waren, aber auch, wie stark Macht- und Herrschaftsfragen eine Rolle spielten.

Alle Spiele der Copy & Play Reihe lassen sich ohne großen Aufwand vorbereiten, weil die Materialien als Kopiervorlagen gedacht sind. Es ist also nicht die Anschaffung eines Klassensatz von Spielen notwendig, die Vorlagen können einfach entsprechend der Anzahl der Lernenden bzw. der Spielgruppen in der Klasse kopiert werden. Entscheidend ist allerdings nicht nur das Spielen selbst, sondern vor allem die anschließende Auswertung. Wenn Gruppen ihre Entscheidungen vergleichen, wenn über Erfolge, Misserfolge und Gerechtigkeitsfragen gesprochen wird, dann entfaltet sich der eigentliche Lerneffekt.

Flut und Ernte ist wie die gesamte Reihe ein gutes Beispiel für moderne Lernspiele, in denen historische Prozesse und Entscheidungen erfahrbar werden, ohne den fachlichen Anspruch aufzugeben. Es lohnt sich, solche Formate im Unterricht auszuprobieren, gerade weil sie eine andere Perspektive eröffnen und die Schülerinnen und Schüler in eine aktive Rolle versetzen. Geschichte wird nicht nur erzählt oder gelesen, sondern in gewisser Weise durchgespielt – und das hinterlässt erfahrungsgemäß nachhaltigere Spuren.

Canossa: ein Lernspiel über den Investiturstreit im Mittelalter

Das Lernspiel „Canossa“ entführt Schüler:innen mitten hinein in den Investiturstreit, einen der bedeutendsten Konflikte des Mittelalters. Statt Fakten auswendig zu lernen, übernehmen die Spielenden die Rollen von König oder Papst und kämpfen um die Vorherrschaft im christlichen Europa. Ziel ist es, möglichst viel Macht zu gewinnen – und das gelingt nur durch geschickte Entscheidungen, wo man Einfluss nimmt und wann man in den Konflikt investiert.

Das Spiel ist für zwei Personen konzipiert und dauert ungefähr eine Unterrichtsstunde. Mit Spielfeldkarten, Aktionskarten und der „Versammlung der Großen“ wird die Auseinandersetzung um Bischofsämter, Reichtum und politische Macht nachgestellt. Jede Runde planen die Spielenden ihre Züge, setzen Gold und Einflussmarker ein und versuchen, die Gunst der Großen des Reiches zu gewinnen

Machtpunkte werden direkt während des Spiels oder am Ende gezählt. Wer die Mehrheit in den Regionen erringt, triumphiert. Die Regeln sind durchaus komplex, sodass das Spiel auch für leistungsstärkere Lerngruppen eine spannende Herausforderung bietet oder sich als Differenzierungsmaterial innerhalb der Klasse eignet.

Um sich das Spiel besser vorstellen zu können, hier ein kurzer Blick in eine typische Spielsituation: Der König hat gerade Gold eingesetzt, um die Unterstützung eines wichtigen Fürsten zu sichern. Doch der Papst kontert sofort mit einer Aktionskarte. Er verhängt die Exkommunikation über den König. Plötzlich verlieren dessen Gefolgsleute im Rat der Grossen an Loyalität, und der dort hart erkämpfte Vorteil droht zu verpuffen. Der König steht nun vor einer Entscheidung: Soll er seine Ressourcen nutzen, um sich neue Verbündete zu zu gewinnen – oder wagt er den riskanten Gang nach Canossa, um die Bannstrafe aufzuheben und das Machtgleichgewicht wieder herzustellen?

In diesem Moment wird deutlich, wie eng Spielmechanik und historische Realität miteinander verknüpft sind: Jede Entscheidung spiegelt die Zerrissenheit des Investiturstreits wider.

Das Besondere an „Canossa“ als Lernspiel ist, dass es kein simples Quiz oder Frage-Antwort-Spiel bietet. Auch anders als Memory-Spiele oder Puzzle-Varianten bildet es den historischen Konflikt durch das Spielgeschehen selbst ab. Aus meiner Sicht ein „modernes Lernspiel“, das die Vorteile des Mediums Spiel nutzt. Neben historischem Wissen trainieren die Lernenden Urteilsfähigkeit, Perspektivwechsel, strategisches Denken und das Reflektieren von Geschichtskultur. Die Rollenübernahme und die Spannung des Wettkampfs machen das Thema Investiturstreit greifbarer und fesselnder. Zunächst wurde das Spiel auch gar nicht für Schule entwickelt worden ist, sondern in normalen Spielerunden und Spiele-Events getestet und erst nachträglich leicht für die Nutzung im Unterricht adaptiert.

Für den Einsatz im Unterricht bietet es sich an, das Spiel schrittweise einzuführen. Eine kurze inhaltliche Einführung in den Investiturstreit schafft die notwendige Grundlage, damit Rollen und Konfliktlinien verständlich sind. Die Regeln sollten zunächst im Plenum erklärt und durch Visualisierungen von Spielfeld und zentralen Aktionen unterstützt werden, um den Einstieg zu erleichtern. Sinnvoll ist es, die Klasse in Kleingruppen aufzuteilen, in denen jeweils zwei Personen (oder vier Personen in Zweierteams) aktiv spielen, während die übrigen beobachten und mitschreiben. Beobachtende können ggf. auch als „Versammlung der Großen“ in das Spiel einbezogen werden. Von zentraler Bedeutung ist eine anschließende Reflexionsphase, in der Fragen wie „Welche Machtmittel standen König und Papst zur Verfügung?“ oder „Welches Bild vom Investiturstreit vermittelt das Spiel?“ thematisiert werden. Auf diese Weise wird das Spiel nicht nur zum motivierenden Einstieg, sondern auch zur vertieften Auseinandersetzung je nach Schwerpunkt mit Geschichtsbildern und/oder mittelalterlichen Machtstrukturen.

„Canossa“ ist ein spielerisches Experimentierfeld, auf dem die Schüler*innen im Spiel die Entscheidungen von König und Papst nachahmen. Geschichte wird damit nicht nur als feststehende Erzählung nachgelernt, sondern die Offenheit historische Prozesse wird erlebbar. Damit eignet sich „Canossa“ hervorragend, um das oft abstrakte und lebensweltferne Thema „Investiturstreit“ lebendig, verständlich und reflektiert in den Geschichtsunterricht zu bringen.


Das Spiel findet sich mit Anleitung und Vorlage zum Ausdrucken der Materialien im Heft „Top 10 Lernspiele für den Geschichtsunterricht“ beim Auer-Verlag.

Mit Textura prüfen: narrative Prüfungsformate für den Geschichtsunterricht entwickeln

Im Geschichtsunterricht spielen Prüfungen auch eine zentrale Rolle – sei es nun als Test, Klausur, schriftliche Leistung oder mündliche Prüfung. Bei der Suche nach alternativen Prüfungsformaten habe ich mir die Frage gestellt, ob sich ein Spiel wie Textura, das primär als narratives, kreatives Angebot gedacht ist, auch in Leistungsüberprüfungen integrieren lässt, sodass Schüler:innen ihre Kompetenzen zeigen und Lehrkräfte diese gut bewerten können? 

Hier möchte ich einige Überlegungen und Vorschläge kurz vorstellen. Bevor man jedoch über Formate nachdenkt, ist es hilfreich, zu klären, was die Stärken von Textura sind. Mit dem Spiel lassen sich folgende Aspekte besonders fördern:

  • Narrative Kompetenz: Fähigkeit, historische Ereignisse, Prozesse oder Entwicklungen in eine zusammenhängende Erzählung zu bringen – mit Ursachen, Wirkungen, Konflikten, Perspektivwechseln.
  • Kontextualisierung: Einbettung in größere geschichtliche Zusammenhänge; Verständnis der historischen Rahmenbedingungen.
  • Handlungsspielräume erkennen und benennen sowie einschätzen (Was wäre möglich gewesen, was nicht; welche Entscheidungen spielten eine Rolle).
  • Reflexion über Darstellungsformen / Narrative: Welche Erzählung baue ich? Welches Gewicht haben Perspektive, Deutung etc.?
  • Mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit, auch kreativ, argumentativ, differenziert.

Damit alternative Prüfungsformate fair und lernwirksam sind, gilt es einige grundlegende Kriterien & Hinweise zu beachten:

  1. Bewertungskriterien: Es ist wichtig, ein Bewertungsraster zu erstellen, das transparent macht, was erwartet wird (z. B. narrative Struktur, historische Kenntnisse, Reflexion, Quellenbezug, Sprache). Damit wissen die Schüler:innen vorher, worauf geachtet wird.
  2. Vorbereitung & Übung: Damit die Schüler:innen nicht überrascht werden, sollten sie im Unterricht schon Erfahrungen mit Textura gesammelt haben – Erzählen, Perspektivwechsel, Reflexion. So sind sie vertraut mit den Anforderungen.
  3. Feedbackphasen einbauen: Vor der eigentlichen Prüfung Entwürfe sichten, Peer- oder Lehrkraftfeedback geben lassen. Das hilft, Schwächen und Probleme vorab zu erkennen.
  4. Differenzierung: Angebot für verschiedene Niveaus/Interessen/Voraussetzungen (z. B. bei Komplexität der Narrative, Länge, Einsatz von eigenen Recherchen).
  5. Klare Abgrenzung zwischen Realität und Fiktion bzw. Spiel: Die Schüler:innen sollten in der Prüfung zeigen, dass sie erkennen, wo das Spiel narrative Freiheiten hat und was historisch belegt ist. Reflexionsaufträge können helfen, dies sicherzustellen.

Daraus lassen sich folgende Prüfungsformate ableiten, die sich mit dem Ansatz und Material von Textura umsetzen lassen:

Prüfungsformat 1: Narrative Chain Assessment (NCA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Jede:r Schüler:in (oder kleine Gruppen) bekommt ein identisches, begrenztes Set an Inhaltskarten (Ereignisse, Akteure, Konzepte) sowie Verknüpfungskarten.
    • Der Umfang wird vorher definiert (z. B. maxumal 8–12 Karten, damit die Aufgabe lösbar bleibt).
  2. Aufgabe
    • Die Schüler:innen müssen mit diesen Karten eine kohärente historische Erzählung legen.
    • Regeln:
      • Jede Inhaltskarte muss eingebunden werden.
      • Verknüpfungskarten (z. B. „Ursache“, „Folge“, „Konflikt“, „Kontinuität“) bestimmen die Struktur der Erzählung.
      • Am Ende muss eine Erzählkette (Narrative Chain) entstehen, die von einem Anfangsereignis zu einem Endpunkt führt.
  3. Narrative Präsentation
    • Jede:r Schüler:in präsentiert die Geschichte in schriftlicher Form (Kurzaufsatz) oder mündlich (max. 5 Minuten Erzählung).
    • Wichtig: Die Reihenfolge und die Art der Verknüpfung bestimmt das Narrativ – und zeigt, welche Schwerpunkte und Interpretationen die Schüler:innen setzen.

Prüfungsleistungen und -kriterien

  • Kohärenz: Ist die Erzählung logisch und in sich stimmig?
  • Komplexität: Werden Ursache-Folge-Beziehungen, individuelle Entscheidungen und Konsequenzen angemessen verknüpft?
  • Vielfalt der Kartenfunktion: Werden alle Karten sinnvoll eingebunden, nicht nur mechanisch aneinandergereiht?
  • Narrative Kompetenz: Ist die Erzählung plausibel, reflektiert und klar aufgebaut?
  • Reflexion (optional): Schüler:innen schreiben ein kurzes Meta-Statement („Warum habe ich diese Reihenfolge gewählt? Welche Alternativen wären möglich gewesen?“).

Varianten

  • Vergleichende Prüfung: Alle Schüler:innen bekommen die gleichen Karten, danach werden die unterschiedlichen Narrative verglichen.
  • Zeitdruck: Kurze Prüfungsform (ca. 30 Min.), wo die Kartenkette spontan gelegt und mündlich präsentiert werden muss.
  • Kooperativ: Gruppen legen gemeinsam ein Narrativ, dokumentieren den Entscheidungsprozess und verteidigen ihre Entscheidungen.
  • Komplexitätssteigerung: Lehrkraft gibt zusätzlich eine „Störkarte“ hinein, mit z.B. mit einem unbekannten Ereignis, das integriert werden muss oder das fehlerhaft ist, nicht zum Thema passt und daher nicht integriert werden darf.

Prüfungsformat 2: Narrative Arena Assessment (NAA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Die Lehrkraft gibt allen Schüler:innen (oder kleinen Gruppen) das gleiche Set an Textura-Karten (z. B. 6 Inhaltskarten + 6 bis 8 Verknüpfungskarten).
    • Diese Karten repräsentieren ein Thema oder eine Epoche (z. B. Französische Revolution, Kalter Krieg, Industrialisierung).
  2. Aufgabe
    • Statt eine lineare Kette zu bilden, müssen Schüler:innen aus den Karten mindestens zwei unterschiedliche Narrative entwickeln und das Ergebnis jeweils fotografieren
    • Beispiel: Mit denselben Karten kann man eine „Entwicklung von Verfassungen“ erzählen oder eine „Geschichte sozialer Konflikte“.
    • Jede Erzählung muss durch die Karten gestützt sein, aber die Gewichtung, Reihenfolge und Art der Verknüpfung variieren
  3. Meta-Aufgabe
    • Zum Schluss müssen Schüler:innen ihre beiden Narrative vergleichen:
      • Welche Unterschiede in Schwerpunkt, Perspektive und Deutung ergeben sich?
      • Welches Narrativ wirkt plausibler, welches problematischer? Und warum?

Prüfungsleistungen und -kriterien

  • Narrativ-Variation: Fähigkeit, aus denselben Karten verschiedene Geschichten zu formen.
  • Deutungskompetenz: Erkennen, dass Geschichte nicht „eine“ fertige Erzählung ist, sondern durch Auswahl und Verknüpfung unterschiedlich gedeutet und erzählt werden kann.
  • Reflexion: Bewusstsein für Konstruiertheit historischer Narrative.
  • Kohärenz & Klarheit: Jede Geschichte muss in sich schlüssig sein.

Varianten

  • Individuell: Jede:r Schüler:in legt zwei Narrative und schreibt einen kurzen Vergleichstext.
  • Kooperativ: Gruppen entwickeln unterschiedliche Narrative und treten dann in einer Art „Arena“ gegeneinander an: Jede Gruppe verteidigt, warum ihr Narrativ plausibel ist.
  • Prüfungsgespräch: Mündlich: Schüler:in legt die Karten in zwei Varianten und erklärt die Unterschiede im Gespräch mit der Lehrkraft.

Prüfungsformat 3: Card Debate Assessment (CDA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Jede:r Schüler:in zieht zufällig 3–4 Inhaltskarten und 5 Verknüpfungskarten aus dem Textura-Material.
    • Die Karten werden nicht zu einer Geschichte gelegt, sondern bilden das Argumentationsmaterial für eine Debatte.
  2. Aufgabe
    • Die Schüler:innen müssen mit diesen Karten eine These über ein historisches Thema entwickeln (z. B. „Die Ursachen der Französischen Revolution lagen vor allem in …“).
    • Sie müssen ihre Karten als Belege und Argumentationsstütze verwenden.
    • Gegenspieler:innen haben andere Karten und entwickeln eine konkurrierende These.
  3. Durchführung
    • Die Debatte läuft in Runden:
      • Eröffnungsstatement (jede Seite stellt ihre These mit Kartenbezug vor).
      • Konterrunde (jede Seite versucht, gegnerische Karten umzuinterpretieren oder die Relevanz zu relativieren).
      • Schlussrunde (Zusammenfassung, ggf. Integration gegnerischer Argumente).
  4. Dokumentation
    • Nach der Debatte schreiben die Schüler:innen einen Reflexionstext: Welche Rolle haben die Karten gespielt? Wie flexibel lassen sich Karten deuten? Welche Grenzen hatten die Narrative?

Prüfungsleistungen

  • Argumentationsfähigkeit: Karten werden sinnvoll in eine These eingebettet.
  • Kritisches Denken: Fähigkeit, gegnerische Karten umzudeuten oder zu entkräften.
  • Perspektivübernahme: Ein Narrativ aus zufälligem Material entwickeln – und dabei kreativ mit Lücken umgehen.
  • Reflexion: Verständnis, dass Geschichte auf Konstruktionen und Argumentationen beruht.

Varianten

  • Individuell: Schüler:in entwickelt allein eine These und verteidigt sie in einem Prüfungsgespräch.
  • Gruppenbasiert: 2er- oder 3er-Teams treten gegeneinander an (Debattier-Turnier mit Karten).
  • Blitz-Debatte: Karten werden kurz vor der Prüfung verteilt, spontane Argumentation nötig.
  • Es wird eine These vorgegeben, zu der die Schüler dann mit Hilfe ihrer zufällig gezogenen Karten Stellung nehmen.

Prüfungsformat 4: Historical Mapping Assessment (HMA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Jede:r Schüler:in erhält ein größeres Set an Textura-Inhaltskarten (z. B. 12–15) und passende Verknüpfungskarten.
    • Die Karten umfassen verschiedene Dimensionen eines Themas (Akteure, Ereignisse, Ideen, Strukturen).
  2. Aufgabe
    • Die Schüler:innen müssen die Karten räumlich anordnen und daraus eine „historische Landkarte“ entwickeln.
    • Es geht nicht um eine lineare Geschichte, sondern um ein System von Zusammenhängen:
      • Welche Karten bilden Ursachen?
      • Welche gehören zu Folgen?
      • Wo entstehen Cluster (z. B. politisch, sozial, ökonomisch)?
      • Welche Karten sind zentrale Knotenpunkte?
  3. Produkt
    • Am Ende liegt ein visuelles Diagramm oder Mindmap aus Karten und Verknüpfungen.
    • Ergänzend schreiben die Schüler:innen eine kurze Analyse:
      • Warum habe ich diese Struktur gewählt?
      • Welche Karte sehe ich als Schlüsselereignis oder Knotenpunkt?
      • Wo gibt es Unsicherheiten oder alternative Anordnungen?

Prüfungsleistungen

  • Analysekompetenz: Fähigkeit, historische Elemente zu ordnen, zu clustern und zu gewichten.
  • Systemdenken: Erkennen von Zusammenhängen und Kausalitäten über lineare Erzählungen hinaus.
  • Abstraktionsfähigkeit: Karten nicht nur erzählen, sondern zu einem Beziehungsnetz organisieren.
  • Reflexion: Bewusstsein dafür, dass jede Struktur eine Deutung ist.

Varianten

  • Individuell: Jede:r erstellt eine eigene Karte + Reflexion.
  • Vergleichend: Mehrere Schüler:innen legen Karten → anschließend Diskussion über Unterschiede in Struktur und Schwerpunkt.
  • Prüfungsgespräch: Schüler:in präsentiert die eigene „Landkarte“ der Lehrkraft und erklärt die Knotenpunkte.

Die vorgeschlagenen Prüfungsformate mit Textura sind innovativ, weil sie konsequent von der Idee ausgehen, dass historische Kompetenz mehr ist als Faktenwissen zu reproduzieren. Sie fordern Schüler:innen heraus, Geschichte aktiv zu erzählen, zu deuten, zu argumentieren oder zu strukturieren. Damit werden zentrale Fachkompetenzen sichtbar: narrative Kohärenz, Perspektivenvielfalt, kritisches Geschichtsbewusstsein, Urteilskraft und analytisches Denken. 

Jedes Prüfungsformat nutzt die Karten auf andere Weise – einmal linear, dann vergleichend, argumentativ oder systematisch –, wodurch die Vielfalt individueller Zugänge deutlich wird. Prüfungen mit Textura sind dadurch offener, flexibler (schriftlich, mündlich, individuell oder kooperativ möglich) und weniger standardisiert. Sie bieten klare Bewertungsmaßstäbe und gewähren gleichzeitig einen Einblick, wie Lernende historische Zusammenhänge denken. 

Textura bietet gute Chancen, Prüfungen lebendiger und kompetenzorientierter zu gestalten. Voraussetzung sind klare Standards, ausreichend Übung und eine gute Einbettung in den Unterricht. Ich bin gespannt zu hören, wie Kolleg:innen das umsetzen – hat jemand schon narrative Prüfungsformate mit Textura oder ähnlichen Spielen entwickelt? Eure Erfahrungen würden mich sehr interessieren.


P.S. Im März 2026 erscheint übrigens bei Kallmeyer Link-15 Geschichte die Weiterentwicklung von “Textura” angepasst an die deutschen Lehrpläne für Geschichte in der Mittelstufe. 

Nationalstaat und Nation-Building im Vergleich: Deutschland und Mexiko im Geschichtsunterricht

Nach meinen bisherigen Erfahrungen im Unterricht bietet gerade das Thema Nationalstaat und Nationalstaatsbildung spannende Anknüpfungspunkte. Immer wieder kommt es bei Schüler:innen zu Missverständnissen, wenn wir von „Deutschland“ sprechen – gerade in Epochen, in denen es diesen Staat noch gar nicht gab. Erst 1871 wurde ein deutscher Nationalstaat gegründet, zuvor bestanden zahlreiche souveräne Fürstentümer, Königreiche und freie Städte.

Dass Mexiko hingegen schon 1821, also rund fünfzig Jahre früher, mit der Unabhängigkeit von Spanien einen eigenen Staat bildete, sorgt im Vergleich dann für Überraschung. Zunächst in ein Kaiserreich unter Agustín de Iturbide umgewandelt, wurde Mexiko bald zur Republik. Dieses Datum markiert die formale Staatsgründung, doch der junge Staat stand vor großen Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf Identität und Einheit: Große Teile der indigenen Bevölkerung sprachen kein Spanisch (1820 ca. 60% der Bevölkerung) und waren kulturell stark divers. Ähnlich wie in Frankreich versuchte der mexikanische Staat unter anderem durch das Schulsystem, eine sprachliche Homogenität auf dem Territorium herzustellen – ein Prozess, der jahrzehntelang mit der Unterdrückung indigener Kulturen, Traditionen und Sprachen einherging.

Diese Unterschiede eröffnen die Möglichkeit, grundlegende Fragen zu stellen: Wie entsteht eigentlich eine Nation? Was macht sie aus? Und wie selbstverständlich ist das, was wir heute „Nation“ nennen, wirklich? Nationen sind, wie Benedict Anderson beschreibt, keine naturgegebenen Gebilde, sondern historisch „erfundene“ Gemeinschaften, die sich über politische, kulturelle und symbolische Prozesse entwickeln und verändern.

Gerade im Vergleich von Deutschland und Mexiko wird dies für Schüler:innen besonders greifbar. In Deutschland existierte bereits vor der Reichsgründung eine kulturell-intellektuelle Nationalbewegung, die sich über die Sprache als nationale Gemeinschaft imaginierte und eine politische Einheit forderte. Wichtige Etappen waren die napoleonischen Kriege, das Hambacher Fest, Hoffmanns von Fallerslebens „Deutschlandlied“ und die Paulskirchenverfassung, um nur einige zu nennen. In Fall Deutschlands geht die konstruierte Identität dem Staat voraus, aus der imaginerten Gruppe erwächst die Forderung nach einem Nationalstaat für eben diese – allerdings: Der später entstehende Nationalstaat war keineswegs homogen, sondern schloss zahlreiche nicht-deutschsprachige Gruppen ein, die einer starken Assimilations- oder Ausgrenzungspolitik ausgesetzt waren (vgl. die „Germanisierungspolitik“ Bismarcks).

In Mexiko verlief der Prozess umgekehrt: Der Staat existierte zunächst formal, mit Grenzen und Institutionen, doch eine gemeinsame nationale Identität musste erst geschaffen werden. Die Gesellschaft war stark in soziale Schichten gegliedert, und nur ein kleiner Teil beteiligte sich politisch aktiv. Nation-Building erfolgte nachträglich über Verfassungen, Bildungssystem, Symbole und Rituale. Sprache und Religion eigneten sich dabei nur eingeschränkt als Abgrenzungskriterien gegenüber den Nachbarstaaten mit Ausnahme der USA – Spanisch und Katholizismus sind bis heute weit verbreitet. Nationale Symbole, allen voran die Flagge, gewannen daher besondere Bedeutung und prägen bis heute den Zusammenhalt der mexikanischen Gesellschaft.

Für Schüler:innen wird durch diese Gegenüberstellung sichtbar, dass es unterschiedliche Wege zur Nationsbildung gibt – und dass die vermeintliche Selbstverständlichkeit der eigenen Geschichte erst im Vergleich verständlich wird. Ausgehend von der ihnen vertrauten mexikanischen Perspektive gelingt so ein vertieftes Verständnis auch für die deutsche Entwicklung. Besonders spannend ist außerdem, die Schüler:innen selbst einzubeziehen: Wenn sie mir als Lehrer im Gastland die Funktionsweise des Gesetzgebungsverfahrens oder das Wahlrecht in Mexiko erklären, lassen sich daran die entsprechenden Fachbegriffe im Deutschen (wie z.B. Verhältnis- oder Mehrheitswahl) einführen und wir können auf dieser Grundlage kontrastiv arbeiten. Im Vergleich mit den Verfassungen des Deutschen Reichs, der Weimarer Republik oder der Bundesrepublik werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlicher, ebenso wie die jeweiligen Stärken und Schwächen.

Kontrastive Zugänge eröffnen so wertvolle Gelegenheiten, komplexe historische Entwicklungen für Schüler:innen verständlicher zu machen, ihre historische Gewordenheit herauszustellen und das Verständnis von Nation, Staat und Identität in unterschiedlichen Kontexten zu fördern.

Weiter zu Teil 3.

Zurück zu Teil 1.

Deutsch-mexikanische Geschichte: didaktische Impulse aus dem Geschichtsunterricht an einer Auslandsschule

Nach zwei Jahren an der Deutschen Schule Mexiko-Stadt West beginnt für mich nun das letzte Schuljahr hier – im Sommer 2026 geht es dauerhaft zurück nach Deutschland. Anlass genug, auf manches genauer zu schauen, was mich überrascht, irritiert oder zum Nachdenken gebracht hat.

Überraschend war für mich vor allem, wie viele Bezugspunkte es zwischen Deutschland und Mexiko in der Geschichte tatsächlich gibt. Ganz anders als in Ecuador, wo ich zuvor drei Jahre gelebt und gearbeitet habe, stößt man hier auf eine Vielzahl von Verflechtungen, Begegnungen und Konflikten, die im öffentlichen Raum, in der Erinnerungskultur und nicht zuletzt auch im Schulunterricht eine Rolle spielen.

In den kommenden Wochen möchte ich eine Reihe kleiner Beiträge veröffentlichen, in denen es um zwei Dinge geht:

  1. Kurze Schlaglichter auf Aspekte der deutsch-mexikanischen Beziehungen
  2. Didaktische Überlegungen und konkrete Erfahrungen, wie sich im Geschichtsunterricht der Oberstufe an einer deutschen Auslandsschule die Geschichte des Gastlandes und das Wissen der Schüler:innen darüber nutzen lassen kann, um im Vergleich ein vertieftes Verständnis für die deutsche und europäische, aber auch für die eigene Geschichte zu fördern.

Für mich ergeben sich daraus drei zentrale didaktische Chancen:

  1. Vergleichendes Lernen: Der Vergleich deutscher und mexikanischer Entwicklungen ermöglicht es, Kategorien wie „Nation“, „Revolution“, „Diktatur“ oder „Demokratie“ in unterschiedlichen Kontexten zu betrachten. Das macht diese Begriffe plastischer und regt zur kritischen Reflexion an.
  2. Multiperspektivität: Der Blick auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Mexiko eröffnet immer wieder die Frage: Wer erzählt die Geschichte, aus welcher Perspektive, mit welchem Interesse? Damit lässt sich eine Kernkompetenz des Faches gezielt fördern.
  3. Identitätsstiftung und Verortung: Für Schüler:innen an einer deutschen Auslandsschule ist es wichtig, die eigene Position zwischen verschiedenen kulturellen und historischen Traditionen zu reflektieren. Die deutsch-mexikanische Geschichte bietet eine hervorragende Grundlage, um an einer bikulturellen Begegnungsschule über eigene Zugehörigkeiten und Identitäten nachzudenken.

Mir ist bewusst, dass dies ein sehr spezielles Thema ist, das auch nicht überall umsetzbar ist. Aber vielleicht ist gerade das der Reiz: Einblicke aus einem bestimmten Kontext können Anregungen für ganz andere Situationen geben – sei es im bilingualen Unterricht, in Projekten mit internationalem Bezug oder schlicht bei der Frage, wie man lokale und regionale Geschichte stärker in den Unterricht einbindet.

Ich freue mich daher, in den kommenden Wochen und Monaten Beobachtungen und Erfahrungen zu teilen – und vielleicht bei der einen oder dem anderen Leser Interesse für Mexiko und seine Geschichte zu wecken.

Zu Teil 2 dieser Beitragsreihe.

„The darkest files“ – Strafverfolgung von NS-Verbrechen als Spiel

Letzte Woche ist (endlich) das Spiel „The Darkest Files“ vom Indie-Studio Paintbucket Games erschienen. Das Spiel ist so etwas wie der Nachfolger zu „Through the Darkest of Times“, in dem der Widerstand gegen den Nationalsozialismus spielerisch umgesetzt wurde. Nun begeben wir uns als junge Staatsanwältin in das Frankfurt der Mitte der 1950er Jahre in das Team von Fritz Bauer, um NS-Verbrechen aufzuklären und die Täter vor Gericht zu bringen.

Das Thema Verfolgung der NS-Verbrechen spielt kaum eine Rolle in den Lehrplänen, hat aber eine sehr hohe Aktualität. Die Umsetzung des Themas in „Through the Darkest of Times“ hatte mich sehr positiv beeindruckt und auch die Demo-Version des neuen Spiels hatte ich bereits letztes Jahr kurz im Unterricht eingesetzt. Das Erscheinen des Spiels zum Anlass nehmend habe ich dem Thema nun eine Doppelstunde gewidmet, deren Aufbau ich hier gerne teilen möchte ebenso wie die Reaktionen der Schüler*innen auf das Spiel.

Der Einstieg erfolgte über den Trailer des Spiels. Die Schülerinnen und Schüler nannten aufgrund des Videos das Thema und formulierten erste Eindrücke. Zu meiner Überraschung sahen einige die Umsetzung ausgehend vom Werbetrailer kritisch und formulierten die Befürchtung, dass das Spiel „empathielos“ und „verharmlosend“ sein könnte, aber trotzdem in der Aufbereitung des Themas für Jugendliche eventuell besonders ansprechend. Diese Punkte haben wir als Fragen an der Tafel für die Besprechung zum Abschluss festgehalten.

Nach Anknüpfen an bereits Bekanntes (Nürnberger Kriegsverbrecherprozess) haben die Schüler*innen sich in Kleingruppen in einer ersten Erarbeitungsphase gemäß Interesse ein Jahrzehnt ausgesucht (1945-1949, 1950er, 1960er Jahre usw., 2000-2025 just erschienen ein aktueller Artikel in der ZEIT, der auch als Einstieg in das Thema gewählt werden kann) und zum internationalen Umgang mit NS-Verbrechen in dieser Zeit recherchiert und. Anschließend wurden die Ergebnisse kurz vorgestellt.

Die Vertiefung erfolgt durch das gemeinsame Spielen von ca. 1/2 Stunde: Ein*e Schüler*in übernimmt die Steuerung, die Gruppe trifft gemeinsam die Entscheidung, wie geantwortet wird bzw. was als nächstes gemacht wird. Alternativ lässt sich ein Playthrough-Video anschauen, um das Spiel kennenzulernen. Komplett durchspielen lässt sich das Spiel im Unterricht aufgrund des Umfangs nicht.

Vorab wählen die Schüler*innen entsprechend ihrer Interessen individuell noch einen der folgenden Beobachtungsschwerpunkte:

Historischer Kontext: Welche realen historischen Ereignisse und Strukturen werden im Spiel thematisiert? Wie wird der Umgang mit NS-Verbrechen in der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre dargestellt? 

Rollen und Perspektiven: Welche Rolle übernehmen die Spieler*innen, und welche Perspektive auf die Vergangenheit wird dadurch vermittelt?  

Justiz und Aufarbeitung: Welche Herausforderungen und Widerstände gibt es bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen im Spiel?  

Quellenarbeit im Spiel: Welche Quellen (Dokumente, Zeugenaussagen, Beweismittel) werden verwendet, um die Fälle aufzuklären?  

Moralische und ethische Fragen: Welche moralischen Dilemmata stellt das Spiel dar? Welche Konflikte werden gezeigt? Wie bzw. auf welche Weise? 

Spielmechaniken und Wissensvermittlung: Wie werden die historischen Inhalte mit der Spielmechanik verbunden? Fördert die Interaktivität das historische Verständnis? Wenn ja, wie?

Narrative Gestaltung: Wie wird die Geschichte erzählt (z. B. durch Dialoge, Dokumente, Umgebungsdetails)? Inwiefern trägt diese Form der Erzählung zur Immersion und zum Verständnis der historischen Thematik bei? 

Emotionalisierung und Perspektivenwechsel: Welche Wirkung hat die spielerische Auseinandersetzung mit historischen NS-Verbrechen im Vergleich zu anderen Medien (Filme, Bücher, Texte)? 

Spiel als Geschichtsmedium: Würdest du das Spiel als sinnvolles Bildungsmedium für den Geschichtsunterricht empfehlen? Welche Vor- und Nachteile siehst du in der Vermittlung historischer Inhalte am Beispiel von „The darkest files“ ? 

Visuelle Gestaltung und Atmosphäre: Welche Farben, Lichtstimmungen und Gestaltungselemente prägen die Ästhetik des Spiels? Welche (emotionale) Wirkung erzielt die visuelle Darstellung? 

Charakter- und Umweltgestaltung: Wie werden Charaktere (z. B. Angeklagte, Zeugen, Ermittler) dargestellt? Welche Wirkung haben die Umgebungsdetails (Büro, Archive, Gerichtssäle) auf das Spielgefühl und das historische Verständnis? 

Sounddesign und Musik: Welche Rolle spielen Musik und Soundeffekte für die Atmosphäre des Spiels? Inwiefern verstärken sie Spannung, Dramatik oder historische Authentizität? 

Interface und Interaktionsdesign: Wie ist das Benutzerinterface gestaltet? Unterstützt oder behindert die Art der Interaktion das Eintauchen in die Spielwelt und die Auseinandersetzung mit den historischen Themen? 

Symbolik und Metaphorik: Gibt es wiederkehrende visuelle oder narrative Symbole, die bestimmte historische oder moralische Botschaften vermitteln? Wie wird durch künstlerische Gestaltung das Thema „Aufarbeitung von NS-Verbrechen“ transportiert? 

Zusätzlich sollen die Schüler¨*innen die im Einstieg formulieren Fragen und Zweifel im Blick behalten, so dass wir diese abschließend nach Vorstellen der Beobachtungen aus den Aufträgen besprechen können.

Nach dem längeren Eindruck aus dem Spiel waren die Schüler*innen übereinstimmend der Meinung, dass das Spiel sowohl in der spielerischen wie auch in der gestalterischen Umsetzung das Thema sehr ernsthaft und einer klaren empathisch angelegten Rollenperspektive angeht und somit eine gute Möglichkeit bietet, sich auf vielleicht auf etwas ungewöhnliche Weise mit dem Thema der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen auseinanderzusetzen. Fraglich blieb, ob das Spiel tatsächlich das Interesse insbesondere von Jugendlichen weckt, oder doch eher vor allem Geschichtslehrer*innnen begeistert. Mit letzterem könnten sie Recht haben…

Ende der Weimarer Republik: neue Perspektiven aus der Gegenwart für den Geschichtsunterricht

Die Weimarer Republik gilt in Schulbüchern oft als eine mehr oder weniger von Anfang an zum Scheitern verurteilte Demokratie: politisch zerrissen, wirtschaftlich instabil und durch eine anfällige Verfassung geschwächt. Zwar wird das „Krisenjahr 1923“ erfolgreich gemeistert und es folgen die „Goldenen Zwanziger“, aber mit der Weltwirtschaftskrise werden die vorhandenen strukturellen, in Verfassung und Gesellschaft bereits vorhandenen Ursachen aktiviert und die Republik geht angesichts fehlender Handlungsoptionen ihrem Untergang entgegen.

Vermittelt wird damit zugleich eine quasi Gewissheit, dass es die BRD mit der Konstruktion des Grundgesetzes strukturell so viel besser gemacht habe und eine vergleichbare Entwicklung nicht möglich sei. Doch mit Blick auf aktuelle Entwicklungen wird zunehmend diskutiert, dass es auch in der Weimarer Republik keineswegs vorrangig strukturell bereits angelegte Merkmale eine entscheidende Rolle gespielt haben, sondern wesentlich in mindestens gleichem Maße einzelne Entscheidungen. Bei mir hat sich in letzten Jahren daraus tatsächlich die Art und Weise, wie ich das Thema im Unterricht bespreche, geändert. Wie sieht es bei euch aus?

Die klassische Darstellung in Schulbüchern fokussiert auf strukturelle Probleme: Die Demokratie litt unter mangelnder Unterstützung, die Weimarer Verfassung begünstigte Instabilität, und die Weltwirtschaftskrise gab der NSDAP den entscheidenden Schub. Beiträge aus den letzten Jahren hingegen hinterfragen diese Darstellung zunehmend. Beispielhaft genannt seien hier ein FAZ-Artikel über ein mögliches Verbot der NSDAP („Im Jahr 1930 versuchten preußische Beamte, die NSDAP zu verbieten. Die Regierung lehnte das ab. Sie wollte die Nazis lieber politisch stellen.“), ein Interview im Spiegel über die Rolle des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold („Die Weimarer Republik war ein vielversprechendes demokratisches Experiment, das rechtsautoritäre Politiker wie Hindenburg, Papen und Brüning bewusst zerstörten.“) oder ein Krautreporter-Beitrag über alternative Szenarien zu Hitlers Aufstieg und Ernennung zum Reichskanzler („Hitlers Machtübernahme wackelte sogar noch fünf Minuten vor seiner Vereidigung zum Reichskanzler.“). Die Autor:innen zeigen auf, dass verschiedene Akteure durchaus Handlungsspielräume hatten, die entscheidend hätten sein können – aber nicht genutzt wurden.

Es wird vermehrt auf verpasste Chancen, fatale Fehleinschätzungen und zentrale Entscheidungen hingewiesen: ein Parteiverbot (durchaus möglich und praktiziert in der Weimarer Republik), die keineswegs unausweichliche Entscheidung Hindenburgs, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, die Rolle von demokratischen Großorganisationen wie dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold usw. Anschaulich aufzeigen kann man das z.B. auch an den Reaktionen auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit einer Liste von Presseschlagzeilen vom 31.01.1933, die gut die unterschiedlichen Stimmungen und Reaktionen in den Parteien und der Gesellschaft widerspiegeln – in der Mehrheit eben kein entschiedener Widerstand, sondern ein zögerndes Abwarten und Beobachten. Oder: die Einschätzung von Theodor Heuss, der als Experte zur Geschichte und Entwicklung der NSDAP Ende 1932 davon überzeugt war, dass sich die auf dem Rückzug befinde und vorerst „gelähmt“ sei.

Man könnte zugespitzt sagen, die Demokratie ist in Weimar nicht an sich selbst gescheitert, sondern an politischen Entscheidungen, die ihre Gegner bewusst oder unbewusst ermöglichten.

Daher wäre es aus meiner Sicht gut, nicht nur die vermeintlich strukturellen Schwächen der Weimarer Republik und die Abfolge von Ereignissen (Weltwirtschaftskrise, Präsidialkabinette usw.) zu vermitteln, sondern die Einschätzungen, Handlungsspielräume und tatsächlichen Entscheidungen der politischen Akteure im Rahmen von Verfassung und historischer Entwicklung im Unterricht stärker in den Fokus nehmen.

Neue Onlineangebote für die Holocaust-Bildung im Unterricht

Die schiere Menge an digitalen Ressourcen zur Geschichte des Holocaust ist mittlerweile kaum noch zu überblicken. Eine Vielzahl von Institutionen, Museen und Forschungszentren stellt umfangreiche Quellensammlungen, didaktische Materialien und interaktive Module zur Verfügung. Daraus ergibt sich eine zentrale Herausforderung: Wie lassen sich die relevantesten und qualitativ hochwertigsten Inhalte für den eigenen Unterricht effizient identifizieren und integrieren?

Eine Möglichkeit zur Orientierung bieten Online-Fortbildungen. Zahlreiche Organisationen bieten kompakte Webinare mit einer Dauer von 60-90 Minuten an oder komplette Online-Kurse, um ihre Bildungsangebote vorzustellen. Die Qualität dieser Veranstaltungen variiert naturgemäß erheblich. Während einige Fortbildungen eine fundierte didaktische Aufbereitung bieten, beschränken sich andere auf eine reine Präsentation der eigenen Plattforminhalte, die ebenso gut durch eigenständige Recherche zugänglich wären. Insbesondere die Frage, ob eine Fortbildung eine rein informierende Funktion erfüllt oder tatsächlich auf eine didaktische Umsetzung abzielt, ist für die Bewertung ihrer Nützlichkeit zentral.

In den letzten Wochen habe ich an mehreren solcher Online-Fortbildungen teilgenommen, u.a.:

Teaching with Testimony: Illuminating History and Inspiring Courage Through Film (USC Shoah Foundation)

The Shoes on the Danube: An Interactive Lesson Exploring the Memorialization of a Massacre (Holocaust Museum Houston & Centropa)

The Holocaust through the Perspective of Primary Sources (Yad Vashem auf Coursera)

Insgesamt fand ich, dass diese Online-Fortbildungen dann besonders gewinnbringend sind, wenn sie nicht nur Ressourcen präsentieren, sondern auch fundierte didaktische Konzepte und methodische Hinweise liefern. Eine reine Übersicht über vorhandene Materialien ohne didaktische Durchdringung ist aus Sicht der Institutionen verständlich, reicht aber nicht aus, um eine gute Orientierung und Unterstützung zu bieten. Ein entscheidender Aspekt für die Qualität solcher Fortbildungen ist daher, inwiefern sie den Lehrkräften nicht nur Material an die Hand geben, sondern auch konkrete Impulse zur didaktischen Umsetzung liefern. Sinnvoll wäre es daher aus meiner Sicht, wenn Online-Fortbildungen vermehrt auf praxisorientierte Module setzen würden, diese präsentieren oder Lehrer*innen sich über bewährte Unterrichtspraktiken mit diesen Materialien austauschen oder sogar mit den anderen Teilnehmer*innen an der Entwicklung von Unterrichtseinheiten mitarbeiten und diese Ergebnisse als OER geteilt werden.

Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir lernen und lehren, grundlegend verändert. Besonders im Bereich der historischen Bildung bieten sich durch digitale Formate neue Möglichkeiten, gerade deshalb bleibt die kritische Reflexion der Qualität solcher Angebote essenziell.

Welche Erfahrungen habt ihr mit Online-Fortbildungen zu diesem Thema gemacht? Welche Angebote haben euch besonders überzeugt? Ich freue mich auf eure Kommentare und Anregungen!