Video: Fußballer in Auschwitz

Das Museum der Gedenkstätte Auschwitz hat heute über seine Social Media-Kanäle das oben stehende Video verbreitet. Ich finde es, ehrlich gesagt, etwas seltsam. Nun klar dass man als Institution den Besuch der bekannten Sportler auch nutzen möchte, aber irgendwie wirken die zusammengeschnippelten Statements in dem Video für mich wie die Auszüge aus „Interviews“ mit Spielern direkt nach einem Match – also weitgehend nichtssagend. Ich habe kurz überlegt, ob man den Film für den Unterricht nutzen kann. Ich denke eher nicht. Allenfalls als Einstieg in eine Diskussion über den Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust heute – der Besuch der deutschen Nationalmannschaft war in den Medien kontrovers diskutiert. Zusammen mit den entsprechenden Zeitungsartikeln könnte der Film dann einen ganz guten Ausgangspunkt für diese grundlegendere Fragestellung sein. Interessant und ebenso kontrovers hierzu, soweit sprachlich zugänglich, sind auch die Kommentare der Facebook-Nutzer unter dem Video.

Podcastreihe zu Veränderungen der Erinnerungskultur

In der Hörsaal-Sendereihe von DRadio Wissen läuft diese Woche eine sehr interessante Reihe über die Veränderungen der Erinnerungskultur.

Der erste Vortrag lief bereits am Montag und stammt von Frank van Vree. Unter dem Titel „Die Ästhetik des Schreckens – Aspekte und Probleme einer Visualisierungsgeschichte“ beschäftigt er sich mit der Geschichte der Darstellung des Holocausts in Literatur, Film und Fernsehen. Der Vortrag ist eine Aufzeichnung von einer Konferenz des Goethe-Instituts Paris zum Thema „Mediale Transformationen des Holocaust“ vom 29. Juni 2011.

Der zweite Vortrag beschäftigt sich speziell mit dem Einfluss der „neuen“ Medien auf die Erinnerungskultur. Thomas Weber referiert unter de Fragestellung „Wie werden wir uns erinnern? – Zum fortgesetzten Wandel von Erinnerung an den Holocaust in Film, Fernsehen und im WWW“. Der Vortrag ist gleichfalls eine Aufzeichnung von der oben genannten Tagung in Paris vom 30. Juni 2011.

Alle gelaufenen sowie die noch folgenden Beiträge lassen sich auf den Seiten von DRadio Wissen direkt anhören oder herunterladen.

Workshop: Zeitzeugen und historisches Lernen

Vorab stelle ich hier die Präsentation und Linkliste für den Workshop nächste Woche zur Verfügung und Diskussion. Anregungen und Kritik sind willkommen. Der Workshop kann dadurch nur besser werden.

 

Zum Workshop habe ich als Handout eine Auswahl von Adressen, Links und Literaturtipps als Dokument auf einem Titanpad eingerichtet, das auch bearbeitet und ergänzt werden kann.

Geocaching: historisches Lernen vor Ort und unterwegs

Auf den Geschichtsseiten des Bildungsservers Rheinland-Pfalz findet sich neu ein Artikel zum Geocaching:

http://geschichte.bildung-rp.de/entwicklung/geocaching.html

Der Beitrag ist eine erweiterte und überarbeitete Version des Texts, der vor kurzem hier im Blog erschienen ist.

Geocaching als Teil der Geschichtskultur

Was Geocaching ist, brauche ich hier nicht zu erklären. Wer das nicht weiß, kann das auch an anderer Stelle nachlesen (z.B. hier oder hier). Der Blogbeitrag fasst eigentlich nur eine kleine Beobachtung der Geocaching-Touren der letzten Wochen zusammen.

Geocaching ist in den letzten Jahren zu einer Art Massen- bzw. Volkssport geworden. Hat man erstmal ein paar Caches an seinem Wohnort gehoben, fällt einem erst auf, nicht nur viele Caches überall im Land versteckt sind, sondern viele Leute sie Tag für Tag und natürlich vor allem am Wochenende heben.

Dabei gelangt man nicht nur zu den ungewöhnlichen, schönen oder sonstwie interessanten Plätzen, eine Großzahl der versteckten „Traditional“-Caches führt zu historischen Orten, die mehr oder minder vergessen, ein wenig ab vom Strom und der Aufmerksamkeit liegen…

In der Beschreibung vieler Caches begründen dies die Besitzer der Caches oft ausdrücklich damit, dass der Ort kaum beachtet wird, sie diesen aber interessant finden. So hat uns die Schatzsuche an reichlich zufälligen Städten und Orten in den letzten Wochen zu einer ehemaligen Synagoge geführt, die heute als Kulturcafé und Bibliothek genutzt wird, zu den abseitig gelegenen Fundament eines Limesturms, einer denkmalgeschützten, mehrere hundert Jahre alten Eichen, deren Name auf alte Handelswege verweist, und einem weitgehend unbeachteten frühneuzeitlichen Meilenstein.

Es ist eine wunderbare Art, sich ohne Reiseführer in unbekannten Städten von den Caches zu den besonderen Orten der Gemeinde führen zu lassen und diese so zu entdecken. Tausende von Menschen verstecken in Deutschland kleine Boxen und Dosen an historischen Orten, auf die sie damit aufmerksam machen und erinnern wollen. Und noch mehr Menschen machen sich auf diese Schätze zu entdecken und entdecken dabei auch immer unbekannte Orte und ihre Geschichte oder lernen bekannte Ort neu zu sehen.

Auch hier dienen digitale Medien nicht dem Abtauchen in „virtuelle Welten“, sondern dem Erkunden der eigenen Welt, lokaler und regionaler Geschichte(n) des Ortes, an dem man sich gerade befindet. In einer ausführlichen Beschreibung findet sich in der Regel eine Kopie des Wikipedia-Artikels oder sonstiger Kurzinfos zu dem jeweiligen Ort. Das wirkt oft ein bisschen lieblos, aber woher sollte man denn auch mehr oder andere Informationen bekommen. Und wer mal ein paar Jahre zurückdenkt, selbst wer einen Brockhaus zuhause stehen hatte, konnte darin kaum etwas über die Geschichte der kleinen Kapelle am Bach nachlesen.

Was für ein Teil im besten Sinne populärer und lebendiger Geschichtskultur!

Wenig überraschend ist, dass die Geschichtsdidaktik das Thema noch nicht entdeckt hat (zumindest ist mir nichts bekannt, für Hinweise bin ich dankbar). Die außerschulische und die politische Bildung ist hier (wiederum) weiter und wegweisend. Wer sich dafür interessiert, kann sich im Blog von Jöran Muuß-Merholz kundig machen und z.B. die beiden Projekte in Düsseldorf (Landtagsgeschichten) und Berlin (Martin Luther King) anschauen.

Das didaktische und methodische Potential von „Educaching“ für historisches Lernen auch gerade im schulischen Kontext liegt auf der Hand, ob nun Lehrkräfte einer Schule an einem Studientag gemeinsam eine Tour für ihre Klassen erstellen oder Schüler dies selbst tun im Rahmen eines Projekts im Unterricht oder in einer AG.

Gemeinsam mit dem Leiter der Stadtbildstelle Koblenz, die seit einiger Zeit auch GPS-Geräte für Schule zur Ausleihe anbietet, habe ich Projektanträge eingereicht, in denen wir zusammen mit Schülern  unterschiedliche Touren zur Geschichte von Koblenz erarbeiten wollen. Hoffentlich klappt das mit den Förderung, das würde uns durch die Unterstützung eine etwas professionellere Gestaltung erlauben.

„Lisa, the iconoclast“ oder die Simpsons im Geschichtsunterricht

Auf deutsch lautet der Titel der 16. Folge der siebten Staffel völlig anders, nämlich: „Das geheime Bekenntnis“. Der Film stammt bereits von 1996 und ich gebe zu, kein regelmäßiger Simpsonsgucker zu sein. Vielmehr bin ich nur zufällig auf die Folge aufmerksam geworden (Wer es genau wissen will: über einen Link auf Twitter zu einem Zeitungsartikel eines flämischen Nationalisten!).

Eine kurze Zusammenfassung der Folge findet sich u.a. in der Simpsonspedia:

„Lisa recherchiert für einen Aufsatz. Dabei findet sie Ungeheuerliches heraus: Stadtgründer Jebediah Springfield war in Wirklichkeit ein bösartiger Pirat. Lisa fühlt sich der Wahrheit verpflichtet und schreibt dies in ihrem Aufsatz. Ein Sturm der Entrüstung bricht los, niemand schenkt ihr Glauben – außer Homer. Durch Homers überzeugendes Auftreten als Ausrufer wird beschlossen, Jebediah zu exhumieren. In seinem Sarg sollte sich der Beweis finden, doch da ist keiner. Und zwar weil der Museumsdirektor ihn schnell verschwinden ließ. Als Lisa das herausfindet beschließen sie, die Sache öffentlich kundzutun. Aber als sie vor den Feiernden steht und sieht, dass alle nur wegen ihrem Glauben an Jebediah zusammenhalten, bringt sie es nicht übers Herz die Wahrheit zu sagen.“

(Besser und auch deutlich umfangreicher ist die Beschreibung der Folge in der englischsprachigen Wikipedia.)

Eine Folge der Simpsons dauert knapp über 20 Minuten, eignet sich also von der Länge ideal für den 45-Minuten-Schulrhythmus, so dass noch ausreichend Zeit zur Besprechung und Diskussion bleibt.

Wie lässt sich diese Folge für den Geschichtsunterricht nutzen?

Eingesetzt habe ich die Folge in der Oberstufe und wir haben daran verschiedene gesellschaftliche Funktionen von Geschichte erarbeitet (in einer Gegenüberstellung der Bewohner Springfields mit Lisa), die Unterscheidung von historischen Quellen und späterer Mythosbildung, die eine eigene Wirkmächtigkeit und Bedeutung entfalten kann, verdeutlicht und abschließend das Verhalten Lisas diskutiert.

Die offene Frage, wie die Schüler ihr Verhalten beurteilen, ob sie ihrer Meinung nach richtig gehandelt hat, führte zu einer weitgehend selbstläufigen, sehr kontroversen Diskussion. Es wurden dabei sowohl Unterschiede zwischen der deutschen und US-amerikanischen Geschichts- und Erinnerungskultur als auch mögliche Vergleichspunkte mit der deutschen Geschichte (Denkmäler, historische Vorbilder, moralische Integrität) diskutiert. Insgesamt konnten die Schüler in diesem Zusammenhang in selten umfangreicher Weise Vor- und Kontextwissen aktivieren und sinnvoll anwenden.

Die Simpsons-Folge ist auf jeden Fall ein guter Impuls für eine Einzelstunde oder kann als motivierender Einstieg in eine entsprechende Reihe dienen (z.B. zum Thema Denkmäler). Es scheint sich zu lohnen, auch solche geschichtskulturellen Produkte, selbst wenn sie, wie in diesem Fall rein fiktiver Natur sind, zum Gegenstand des Unterrichts zu machen, wenn man die Entwicklung des Geschichtsbewusstseins und den kompetenten Umgang mit geschichtskulturellen Phänomenen in das Zentrum des Unterrichts stellen will.

Musikrätsel vor den Ferien

Eine Idee zu einer kleinen Aktitivtät für zwischendurch, eine Vertretungsstunde oder die letzten Minuten vor den Ferien:

Gebraucht werden mindestens 20 Minuten Zeit, Musik und ein entsprechendes Abspielgerät.

Einzelne historische Lieder werden angespielt. Sobald ein Schüler „Stopp“ ruft, wird die Wiedergabe angehalten. Geraten werden soll das Veröffentlichungsdatum des Liedes. Bei der genauen Jahreszahl gibt es 5 Punkte, bei einem Jahr mehr oder weniger noch 3, im Rahmen von bis zu 5 Jahren 1 Punkt. Liegt der Vorschlag ganz daneben, wird ein Punkt abgezogen. Dann wird das Lied weiter abgespielt, bis jemand so nah dran liegt, dass er mindestens einen Punkt erzielt. Letzteres verhindert, dass durcheinander reingerufen wird und einfach Jahreszahlen runtergerattert werden.

Um die Lieder einzuordnen, muss sehr genau zugehört werden, zum einen auf die Musik und die Aufnahmequalität, zum anderen und vor allem auf den Text. Entsprechend sollten die Lieder auch ausgewählt werden. Wie bei dem Beispiel des „Trizonesien“-Songs: Hier lässt sich die Entstehungszeit zwischen Ende des 2. Weltkriegs und Gründung der BRD gut eingrenzen. Das macht durch den Spiel-/Wettbewerbscharakter Spaß. Entscheidend für das historische Lernen ist die argumentative Begründung zur Einordnung des jeweiligen Liedes. Wer nicht auf Youtube oder ähnliche Webangebote zurückgreifen und selbst Lieder zusammensuchen möchte, findet mehrere gute Zusammenstellungen, z.B. in den

Protestsongs bei der BpB (2. Hälfte 20. Jahrhundert, Schwerpunkt: 70er-90er Jahre)

– in der CD-Beilage zu Praxis Geschichte Heft 5 (2004): Hi(t)story (Heft allerdings vergriffen)

– 4 CD-Boxen mit 12 CDs „Dass nichts bleibt, wie es war“ 150 Jahre Arbeiter- und Freiheitslieder (von 1844-1990, Rezension in der Zeit)

Hilfreich und sehenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Seite Historisch-Kritisches Liederlexikon des Deutschen Volksliedarchivs.

Spanische Geschichte in kleinen Spielfilmhäppchen

Für die Geschichtsscreencastvideos bin ich weiter auf der Suche nach Inspirationen. Da kam mir der Bericht bzw. das Interview heute morgen im Radio gerade recht. Ein spanischer Lehrer hat im letzten Jahr auf seinem eigenen Youtube-Kanal (ClipHistoria) fast 1200 Videos für seine Schüler zur spanischen Geschichte online gestellt. Die Video sind allerdings (nur) Ausschnitte aus Filmen und TV-Serien, die er selbst zusammengeschnitten, online gestellt und chronologisch bzw. thematisch zusammengestellt hat. Der Kanal hat über 800 Abonnenten und die Videos sind über 600.000 angeklickt worden. Sowohl der Kollege wie auch der Journalist waren im Interview völlig begeistert, Leider wurde nicht darüber gesprochen, was die Schüler dann im Unterricht machen und wie die Geschichtsdarstellungen  der Filme besprochen werden. Der Lehrer berichtete nur von den positiven Reaktionen seiner Schüler und war der Meinung die Bereitstellung von der Videoausschnitte wäre durch das „Zitatrecht“ gedeckt. Ich bin kein Spezialist, was das Urheberrecht angeht, aber zur Zeit würde ich sagen, er begeht hier permanente Verstöße gegen das Urheberrecht…

„Wozu soll das denn gut sein?“

Das Zitat der Überschrift stammt aus der (übrigens großartig unterhaltsamen) Fernsehserie Dowton Abbey, deren erste Staffel in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg spielt. Eines der Highlights einer Folge ist die Installation eines neumodischen Geräts namens Telefon im Haus.

Es mag nur Zufall sein durch die zuletzt geschauten Filme und Serien, aber ich habe den Eindruck, dass mediale Brüche der Vergangenheit bedingt durch die Einführung neuer Medien zunehmend Thema in Geschichtsserien und -filmen werden.

Verwunderlich ist das nicht, da bekanntermaßen immer das Interesse der Gegenwart die Fragen an die Vergangenheit bestimmt. Insofern ist es nachvollziehbar, dass in einer Zeit, in der viele von einem Leitmedienwechsel und einer digitalen Revolution sprechen, die Frage entsteht, wie Menschen in früheren Zeiten auf die Einführung jeweils „neuer „Medien reagiert haben und welche Veränderungen  damit einhergingen.

Es ist nur logisch, dass sich diese Fragen auch in aktuellen Produkten der Geschichtskultur, wie z.B. Filmen, widerspiegelt. Dabei dürfte das auch ein Thema sein, das Jugendliche sehr interessiert.

Entsprechende Filmausschnitte eignen sich gut als Einstieg in das Thema im Unterricht. Daran anschließend lassen sich Quellen, z.B. über digitalisierte Zeitungen, zum Thema recherchieren und besprechen. In Geschichtsschulbüchern findet sich dazu bisher meines Wissens nichts. Auch eine mediengeschichtliche Quellensammlung für den Unterricht ist mir nicht bekannt, obwohl das sicher mal eine sinnvolle Online- oder Printpublikation wäre.

Geplant ist allerdings ein Heft von Geschichte lernen zur Mediengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, der Aufruf zur Mitarbeit steht nun auch online (PDF).

Hier einige, der zuletzt auch mit Oscars ausgezeichneten Filme, die mediale Neuerungen thematisieren:

– The King’s Speech (Einführung des Radios)

– The Artist (Einführung des Tonfilms)

– Hugo Cabret (Kino)

Wem weitere Filme und TV-Serien einfallen, kann sie ja als Kommentar ergänzen.

Ebenso beschäftigen sich auch Fernsehgeschichtsdokus mit Medieninnovation, zuletzt Terra X mit einer Sendung über einen „Pionier der drahtlosen Kommunikation“: Guglielmo Marconi.

Mal laut gedacht… Stichwort: Betroffenheitspädagogik

In den letzten beiden Wochen bin ich mehrfach darauf gestoßen und habe das Thema verschiedentlich diskutiert. Die Gedanken sind  sicher noch nicht ausgereift, aber genau dazu  scheinen Blogs gut geeignet: um laut zu denken und kleinere Beobachtungen oder Gedanken zur Diskussion zu stellen. Die Beiträge mit den unausgegorenen Ideen waren für mich persönlich bislang oft die mit den spannendesten und weiterführenden Diskussionen.

Um die Anstöße aufzuzeigen und nachvollziehbar zu machen hier eine kleine Chronologie der Ereignisse:  Zunächst war da die Debatte um die Veröffentlichung von kommentierten Auszügen aus „Mein Kampf“, dann eine Forsa-Umfrage des Stern zu „Auschwitz“, daran anschließend die Forderungen von Charlotte Knobloch nach neuen Konzepten für den Geschichtsunterricht, einer Anfrage und einer spannenden Diskussion dazu mit einem Journalisten sowie, vorerst abschließend, eine sehr anregende, leider für die  spannenden Inhalte viel zu kurze Fortbildung letzte Woche am PZ in Frankfurt zu aktuellen Jugendbüchern über den Holocaust.*

Die Forderungen nach neuen Konzepten für den Geschichtsunterricht wundert mich. Ich würde sagen, die Konzepte sind da (siehe u.a. im Blog von Lisa Rosa mit einer interessanten Diskussion) und sie sind nicht alle neu. Ich kann die Forderung , ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen:  Weder in der Geschichtsdidaktik noch in Lehrplänen, Schulbüchern oder, soweit ich das überblicken kann, der Unterrichtspraxis geht es heute um „Betroffenheit“. Eine „Betroffenheitspädagogik“ jeder Art scheint mir längst überholt und überwunden. Gleiches gilt auch für die Gedenkstättenpädagogik (siehe dazu den Beitrag von Mathias Heyl im LaG-Magazin vom Januar 2012).

Dennoch scheint der eine oder andere (hier stellvertretend Frau Knobloch und Harald Welzer im Gedenkstättenrundbrief 8/2011) eine solche auf „Betroffenheit“ zielende Praxis weiter zu beobachten. Wie kann das sein?

Sicher klafft zwischen Konzepten und ihrer Umsetzung in der Praxis eine Lücke, die dadurch vergrößert werden kann, dass junge Lehrkräfte trotz Uni und Referendariat oft Unterrichtskonzepte reproduzieren, die sie selbst als Schülerinnen und Schüler erlebt haben. Zudem thematisiert der Geschichtsunterricht die Judenverfolgung erst viel zu spät (in der Regel in Klasse 9 oder 10). Das ist bedingt durch den chronologischen Aufbau, der vom Altem zum Neuen schreitet. Die Schülerinnen und Schüler interessieren sich aber schon viel früher für das Thema. Nach meiner Erfahrung kommen sie auch mit der Erwartung in das neue Fach Geschichte, hier etwas über „Hitler“ oder „die Juden“ zu lernen. Erwartungen, die dann aber enttäuscht und auf eine Zeit in vier oder fünf Jahren vertröstet werden. Wenn dann das Thema im Geschichtsunterricht „drankommt“, sind wesentliche Einstellungen schon geprägt und je nach Gruppe das ursprüngliche Interesse manchmal bereits gesättigt.

Zudem muss man sich klar machen, wieviel Einfluss das Fach Geschichte mit 1-2 Stunden pro Woche auf die Kenntnisse und Einstellungen von Jugendlichen tatsächlich hat. Schon im Kanon der schulischen Fächer nimmt es  mittlerweile einen der kleineren Plätze ein, in vielen Schularten und Bundesländern ist es zudem als eigenständiges Fach in der Sekundarstufe I ganz abgeschafft und für die Behandlung von Nationalsozialismus und Holocaust stehen wohl im Schnitt 12-18 Stunden Unterrichtszeit zur Verfügung. Verlässt man die Schule und erweitert das Blickfeld muss man sich eingestehen, dass „Holocaust im Geschichtsunterricht“ für den durchschnittlichen Jugendlichen wohl eine völlige Marginalie darstellt. Hier konzeptionelle Veränderungen zu fordern ist also nicht nur angesichts der tatsächlichen Möglichkeiten des Geschichtsunterrichts sowie sehr wohl exisitierender Konzepte, z.B. der Holocaust-Education, allenfalls wohlfeil und wenig weiterführend.

Bedient wird das hohe Interesse der Kinder durch die mediale Präsenz des Themas – Guido Knopps Geschichts-TV-Maschinerie hat nicht ohne Grund so viele junge Zuschauer –  und zwischen der 5. und 7. Klasse oft auch durch eine Holocaust-Jugendbuch-Lektüre im Deutschunterricht. Beiden Zugängen gemeinsam ist der hohe Grad an Personalisierung und Emotionalisierung. Und vielleicht, aber das ist nur eine Vermutung, liegt hier vielmehr als bei dem vermeintlich naheliegenden Geschichtsunterricht das Fortbestehen einer „Vermittlung historischen Wissens mit einer moralischen Gebrauchsanweisung“ statt aktiver „Aneignungsprozesse und […] Entwicklung eigenständiger Deutungen und Bewertungen“ (Welzer).

Ein Hinweis darauf, dass dem so sein könnte, zeigt sich für mich in der Tatsache der anhaltenden Popularität von „Damals war es Friedrich“ als Lektüre im Deutschunterricht der unteren Klassen, obwohl es viele gute Gründe gibt, dieses Buch von 1961 nicht mehr einzusetzen (siehe den Beitrag von Ulrike Schrader hier als PDF). In der Fortbildung letzte Woche verteidigten mehrere Kolleginnen in der Runde den Einsatz des Buchs auch sinngemäß mit den Worten, dass das Buch  „gut  im Unterricht funktioniere“, weil es bei den Schülerinnen und Schüler „so viel Emotionen“ hervorrufe. Vielleicht bin ich da überkritisch, aber ich höre in diesen Äußerungen Betroffenheit als übergeordnetes Unterrichtsziel, das zumindest Geschichtsdidaktiker und -lehrer ad acta gelegt glaubten.

*Auf die Anregung habe ich mir im Anschluss an die Fortbildung direkt von Uri Orlev, Lauf, Junge, lauf gekauft und in zwei Tagen regelrecht verschlungen. Das Buch scheint mir für den Unterricht absolut empfehlens- und darüber hinaus auch sonst einfach lesenswert. Aus geschichtsdidaktischer Sicht ist vor allem hervorzuheben, dass das Buch den Protagonisten als aktiv handelnden Juden und auch Handlungsspielräume anderer Personen(gruppen) aufzeigt,  die Grenzen zwischen „gut“ und „böse“ nicht einfach sind, sondern viel Grauzone bleibt und in den einzelnen Episoden der Flucht zahlreiche Personengruppen und Ereignisse thematisiert werden, die im Geschichtsunterricht aufgegriffen werden können, wo sie sonst auch oft zu wenig Beachtung finden, wie u.a. das Warschauer Ghetto, polnische Partisanen , Kollaboration oder Zionismus.

Sollte meine Kollegin aus Sicht einer Deutschlehrerin die Lektüre ebenso gut finden und die Schulleitung unseren Wunsch berücksichtigen können, werden wir das Buch im nächsten Schuljahr mal in einem fächerübergreifenden Projekt mit einer 7. Klasse lesen.