Mit Textura prüfen: narrative Prüfungsformate für den Geschichtsunterricht entwickeln

Im Geschichtsunterricht spielen Prüfungen auch eine zentrale Rolle – sei es nun als Test, Klausur, schriftliche Leistung oder mündliche Prüfung. Bei der Suche nach alternativen Prüfungsformaten habe ich mir die Frage gestellt, ob sich ein Spiel wie Textura, das primär als narratives, kreatives Angebot gedacht ist, auch in Leistungsüberprüfungen integrieren lässt, sodass Schüler:innen ihre Kompetenzen zeigen und Lehrkräfte diese gut bewerten können? 

Hier möchte ich einige Überlegungen und Vorschläge kurz vorstellen. Bevor man jedoch über Formate nachdenkt, ist es hilfreich, zu klären, was die Stärken von Textura sind. Mit dem Spiel lassen sich folgende Aspekte besonders fördern:

  • Narrative Kompetenz: Fähigkeit, historische Ereignisse, Prozesse oder Entwicklungen in eine zusammenhängende Erzählung zu bringen – mit Ursachen, Wirkungen, Konflikten, Perspektivwechseln.
  • Kontextualisierung: Einbettung in größere geschichtliche Zusammenhänge; Verständnis der historischen Rahmenbedingungen.
  • Handlungsspielräume erkennen und benennen sowie einschätzen (Was wäre möglich gewesen, was nicht; welche Entscheidungen spielten eine Rolle).
  • Reflexion über Darstellungsformen / Narrative: Welche Erzählung baue ich? Welches Gewicht haben Perspektive, Deutung etc.?
  • Mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit, auch kreativ, argumentativ, differenziert.

Damit alternative Prüfungsformate fair und lernwirksam sind, gilt es einige grundlegende Kriterien & Hinweise zu beachten:

  1. Bewertungskriterien: Es ist wichtig, ein Bewertungsraster zu erstellen, das transparent macht, was erwartet wird (z. B. narrative Struktur, historische Kenntnisse, Reflexion, Quellenbezug, Sprache). Damit wissen die Schüler:innen vorher, worauf geachtet wird.
  2. Vorbereitung & Übung: Damit die Schüler:innen nicht überrascht werden, sollten sie im Unterricht schon Erfahrungen mit Textura gesammelt haben – Erzählen, Perspektivwechsel, Reflexion. So sind sie vertraut mit den Anforderungen.
  3. Feedbackphasen einbauen: Vor der eigentlichen Prüfung Entwürfe sichten, Peer- oder Lehrkraftfeedback geben lassen. Das hilft, Schwächen und Probleme vorab zu erkennen.
  4. Differenzierung: Angebot für verschiedene Niveaus/Interessen/Voraussetzungen (z. B. bei Komplexität der Narrative, Länge, Einsatz von eigenen Recherchen).
  5. Klare Abgrenzung zwischen Realität und Fiktion bzw. Spiel: Die Schüler:innen sollten in der Prüfung zeigen, dass sie erkennen, wo das Spiel narrative Freiheiten hat und was historisch belegt ist. Reflexionsaufträge können helfen, dies sicherzustellen.

Daraus lassen sich folgende Prüfungsformate ableiten, die sich mit dem Ansatz und Material von Textura umsetzen lassen:

Prüfungsformat 1: Narrative Chain Assessment (NCA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Jede:r Schüler:in (oder kleine Gruppen) bekommt ein identisches, begrenztes Set an Inhaltskarten (Ereignisse, Akteure, Konzepte) sowie Verknüpfungskarten.
    • Der Umfang wird vorher definiert (z. B. maxumal 8–12 Karten, damit die Aufgabe lösbar bleibt).
  2. Aufgabe
    • Die Schüler:innen müssen mit diesen Karten eine kohärente historische Erzählung legen.
    • Regeln:
      • Jede Inhaltskarte muss eingebunden werden.
      • Verknüpfungskarten (z. B. „Ursache“, „Folge“, „Konflikt“, „Kontinuität“) bestimmen die Struktur der Erzählung.
      • Am Ende muss eine Erzählkette (Narrative Chain) entstehen, die von einem Anfangsereignis zu einem Endpunkt führt.
  3. Narrative Präsentation
    • Jede:r Schüler:in präsentiert die Geschichte in schriftlicher Form (Kurzaufsatz) oder mündlich (max. 5 Minuten Erzählung).
    • Wichtig: Die Reihenfolge und die Art der Verknüpfung bestimmt das Narrativ – und zeigt, welche Schwerpunkte und Interpretationen die Schüler:innen setzen.

Prüfungsleistungen und -kriterien

  • Kohärenz: Ist die Erzählung logisch und in sich stimmig?
  • Komplexität: Werden Ursache-Folge-Beziehungen, individuelle Entscheidungen und Konsequenzen angemessen verknüpft?
  • Vielfalt der Kartenfunktion: Werden alle Karten sinnvoll eingebunden, nicht nur mechanisch aneinandergereiht?
  • Narrative Kompetenz: Ist die Erzählung plausibel, reflektiert und klar aufgebaut?
  • Reflexion (optional): Schüler:innen schreiben ein kurzes Meta-Statement („Warum habe ich diese Reihenfolge gewählt? Welche Alternativen wären möglich gewesen?“).

Varianten

  • Vergleichende Prüfung: Alle Schüler:innen bekommen die gleichen Karten, danach werden die unterschiedlichen Narrative verglichen.
  • Zeitdruck: Kurze Prüfungsform (ca. 30 Min.), wo die Kartenkette spontan gelegt und mündlich präsentiert werden muss.
  • Kooperativ: Gruppen legen gemeinsam ein Narrativ, dokumentieren den Entscheidungsprozess und verteidigen ihre Entscheidungen.
  • Komplexitätssteigerung: Lehrkraft gibt zusätzlich eine „Störkarte“ hinein, mit z.B. mit einem unbekannten Ereignis, das integriert werden muss oder das fehlerhaft ist, nicht zum Thema passt und daher nicht integriert werden darf.

Prüfungsformat 2: Narrative Arena Assessment (NAA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Die Lehrkraft gibt allen Schüler:innen (oder kleinen Gruppen) das gleiche Set an Textura-Karten (z. B. 6 Inhaltskarten + 6 bis 8 Verknüpfungskarten).
    • Diese Karten repräsentieren ein Thema oder eine Epoche (z. B. Französische Revolution, Kalter Krieg, Industrialisierung).
  2. Aufgabe
    • Statt eine lineare Kette zu bilden, müssen Schüler:innen aus den Karten mindestens zwei unterschiedliche Narrative entwickeln und das Ergebnis jeweils fotografieren
    • Beispiel: Mit denselben Karten kann man eine „Entwicklung von Verfassungen“ erzählen oder eine „Geschichte sozialer Konflikte“.
    • Jede Erzählung muss durch die Karten gestützt sein, aber die Gewichtung, Reihenfolge und Art der Verknüpfung variieren
  3. Meta-Aufgabe
    • Zum Schluss müssen Schüler:innen ihre beiden Narrative vergleichen:
      • Welche Unterschiede in Schwerpunkt, Perspektive und Deutung ergeben sich?
      • Welches Narrativ wirkt plausibler, welches problematischer? Und warum?

Prüfungsleistungen und -kriterien

  • Narrativ-Variation: Fähigkeit, aus denselben Karten verschiedene Geschichten zu formen.
  • Deutungskompetenz: Erkennen, dass Geschichte nicht „eine“ fertige Erzählung ist, sondern durch Auswahl und Verknüpfung unterschiedlich gedeutet und erzählt werden kann.
  • Reflexion: Bewusstsein für Konstruiertheit historischer Narrative.
  • Kohärenz & Klarheit: Jede Geschichte muss in sich schlüssig sein.

Varianten

  • Individuell: Jede:r Schüler:in legt zwei Narrative und schreibt einen kurzen Vergleichstext.
  • Kooperativ: Gruppen entwickeln unterschiedliche Narrative und treten dann in einer Art „Arena“ gegeneinander an: Jede Gruppe verteidigt, warum ihr Narrativ plausibel ist.
  • Prüfungsgespräch: Mündlich: Schüler:in legt die Karten in zwei Varianten und erklärt die Unterschiede im Gespräch mit der Lehrkraft.

Prüfungsformat 3: Card Debate Assessment (CDA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Jede:r Schüler:in zieht zufällig 3–4 Inhaltskarten und 5 Verknüpfungskarten aus dem Textura-Material.
    • Die Karten werden nicht zu einer Geschichte gelegt, sondern bilden das Argumentationsmaterial für eine Debatte.
  2. Aufgabe
    • Die Schüler:innen müssen mit diesen Karten eine These über ein historisches Thema entwickeln (z. B. „Die Ursachen der Französischen Revolution lagen vor allem in …“).
    • Sie müssen ihre Karten als Belege und Argumentationsstütze verwenden.
    • Gegenspieler:innen haben andere Karten und entwickeln eine konkurrierende These.
  3. Durchführung
    • Die Debatte läuft in Runden:
      • Eröffnungsstatement (jede Seite stellt ihre These mit Kartenbezug vor).
      • Konterrunde (jede Seite versucht, gegnerische Karten umzuinterpretieren oder die Relevanz zu relativieren).
      • Schlussrunde (Zusammenfassung, ggf. Integration gegnerischer Argumente).
  4. Dokumentation
    • Nach der Debatte schreiben die Schüler:innen einen Reflexionstext: Welche Rolle haben die Karten gespielt? Wie flexibel lassen sich Karten deuten? Welche Grenzen hatten die Narrative?

Prüfungsleistungen

  • Argumentationsfähigkeit: Karten werden sinnvoll in eine These eingebettet.
  • Kritisches Denken: Fähigkeit, gegnerische Karten umzudeuten oder zu entkräften.
  • Perspektivübernahme: Ein Narrativ aus zufälligem Material entwickeln – und dabei kreativ mit Lücken umgehen.
  • Reflexion: Verständnis, dass Geschichte auf Konstruktionen und Argumentationen beruht.

Varianten

  • Individuell: Schüler:in entwickelt allein eine These und verteidigt sie in einem Prüfungsgespräch.
  • Gruppenbasiert: 2er- oder 3er-Teams treten gegeneinander an (Debattier-Turnier mit Karten).
  • Blitz-Debatte: Karten werden kurz vor der Prüfung verteilt, spontane Argumentation nötig.
  • Es wird eine These vorgegeben, zu der die Schüler dann mit Hilfe ihrer zufällig gezogenen Karten Stellung nehmen.

Prüfungsformat 4: Historical Mapping Assessment (HMA)

Ablauf

  1. Karten-Setup
    • Jede:r Schüler:in erhält ein größeres Set an Textura-Inhaltskarten (z. B. 12–15) und passende Verknüpfungskarten.
    • Die Karten umfassen verschiedene Dimensionen eines Themas (Akteure, Ereignisse, Ideen, Strukturen).
  2. Aufgabe
    • Die Schüler:innen müssen die Karten räumlich anordnen und daraus eine „historische Landkarte“ entwickeln.
    • Es geht nicht um eine lineare Geschichte, sondern um ein System von Zusammenhängen:
      • Welche Karten bilden Ursachen?
      • Welche gehören zu Folgen?
      • Wo entstehen Cluster (z. B. politisch, sozial, ökonomisch)?
      • Welche Karten sind zentrale Knotenpunkte?
  3. Produkt
    • Am Ende liegt ein visuelles Diagramm oder Mindmap aus Karten und Verknüpfungen.
    • Ergänzend schreiben die Schüler:innen eine kurze Analyse:
      • Warum habe ich diese Struktur gewählt?
      • Welche Karte sehe ich als Schlüsselereignis oder Knotenpunkt?
      • Wo gibt es Unsicherheiten oder alternative Anordnungen?

Prüfungsleistungen

  • Analysekompetenz: Fähigkeit, historische Elemente zu ordnen, zu clustern und zu gewichten.
  • Systemdenken: Erkennen von Zusammenhängen und Kausalitäten über lineare Erzählungen hinaus.
  • Abstraktionsfähigkeit: Karten nicht nur erzählen, sondern zu einem Beziehungsnetz organisieren.
  • Reflexion: Bewusstsein dafür, dass jede Struktur eine Deutung ist.

Varianten

  • Individuell: Jede:r erstellt eine eigene Karte + Reflexion.
  • Vergleichend: Mehrere Schüler:innen legen Karten → anschließend Diskussion über Unterschiede in Struktur und Schwerpunkt.
  • Prüfungsgespräch: Schüler:in präsentiert die eigene „Landkarte“ der Lehrkraft und erklärt die Knotenpunkte.

Die vorgeschlagenen Prüfungsformate mit Textura sind innovativ, weil sie konsequent von der Idee ausgehen, dass historische Kompetenz mehr ist als Faktenwissen zu reproduzieren. Sie fordern Schüler:innen heraus, Geschichte aktiv zu erzählen, zu deuten, zu argumentieren oder zu strukturieren. Damit werden zentrale Fachkompetenzen sichtbar: narrative Kohärenz, Perspektivenvielfalt, kritisches Geschichtsbewusstsein, Urteilskraft und analytisches Denken. 

Jedes Prüfungsformat nutzt die Karten auf andere Weise – einmal linear, dann vergleichend, argumentativ oder systematisch –, wodurch die Vielfalt individueller Zugänge deutlich wird. Prüfungen mit Textura sind dadurch offener, flexibler (schriftlich, mündlich, individuell oder kooperativ möglich) und weniger standardisiert. Sie bieten klare Bewertungsmaßstäbe und gewähren gleichzeitig einen Einblick, wie Lernende historische Zusammenhänge denken. 

Textura bietet gute Chancen, Prüfungen lebendiger und kompetenzorientierter zu gestalten. Voraussetzung sind klare Standards, ausreichend Übung und eine gute Einbettung in den Unterricht. Ich bin gespannt zu hören, wie Kolleg:innen das umsetzen – hat jemand schon narrative Prüfungsformate mit Textura oder ähnlichen Spielen entwickelt? Eure Erfahrungen würden mich sehr interessieren.


P.S. Im März 2026 erscheint übrigens bei Kallmeyer Link-15 Geschichte die Weiterentwicklung von “Textura” angepasst an die deutschen Lehrpläne für Geschichte in der Mittelstufe. 

Nationalstaat und Nation-Building im Vergleich: Deutschland und Mexiko im Geschichtsunterricht

Nach meinen bisherigen Erfahrungen im Unterricht bietet gerade das Thema Nationalstaat und Nationalstaatsbildung spannende Anknüpfungspunkte. Immer wieder kommt es bei Schüler:innen zu Missverständnissen, wenn wir von „Deutschland“ sprechen – gerade in Epochen, in denen es diesen Staat noch gar nicht gab. Erst 1871 wurde ein deutscher Nationalstaat gegründet, zuvor bestanden zahlreiche souveräne Fürstentümer, Königreiche und freie Städte.

Dass Mexiko hingegen schon 1821, also rund fünfzig Jahre früher, mit der Unabhängigkeit von Spanien einen eigenen Staat bildete, sorgt im Vergleich dann für Überraschung. Zunächst in ein Kaiserreich unter Agustín de Iturbide umgewandelt, wurde Mexiko bald zur Republik. Dieses Datum markiert die formale Staatsgründung, doch der junge Staat stand vor großen Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf Identität und Einheit: Große Teile der indigenen Bevölkerung sprachen kein Spanisch (1820 ca. 60% der Bevölkerung) und waren kulturell stark divers. Ähnlich wie in Frankreich versuchte der mexikanische Staat unter anderem durch das Schulsystem, eine sprachliche Homogenität auf dem Territorium herzustellen – ein Prozess, der jahrzehntelang mit der Unterdrückung indigener Kulturen, Traditionen und Sprachen einherging.

Diese Unterschiede eröffnen die Möglichkeit, grundlegende Fragen zu stellen: Wie entsteht eigentlich eine Nation? Was macht sie aus? Und wie selbstverständlich ist das, was wir heute „Nation“ nennen, wirklich? Nationen sind, wie Benedict Anderson beschreibt, keine naturgegebenen Gebilde, sondern historisch „erfundene“ Gemeinschaften, die sich über politische, kulturelle und symbolische Prozesse entwickeln und verändern.

Gerade im Vergleich von Deutschland und Mexiko wird dies für Schüler:innen besonders greifbar. In Deutschland existierte bereits vor der Reichsgründung eine kulturell-intellektuelle Nationalbewegung, die sich über die Sprache als nationale Gemeinschaft imaginierte und eine politische Einheit forderte. Wichtige Etappen waren die napoleonischen Kriege, das Hambacher Fest, Hoffmanns von Fallerslebens „Deutschlandlied“ und die Paulskirchenverfassung, um nur einige zu nennen. In Fall Deutschlands geht die konstruierte Identität dem Staat voraus, aus der imaginerten Gruppe erwächst die Forderung nach einem Nationalstaat für eben diese – allerdings: Der später entstehende Nationalstaat war keineswegs homogen, sondern schloss zahlreiche nicht-deutschsprachige Gruppen ein, die einer starken Assimilations- oder Ausgrenzungspolitik ausgesetzt waren (vgl. die „Germanisierungspolitik“ Bismarcks).

In Mexiko verlief der Prozess umgekehrt: Der Staat existierte zunächst formal, mit Grenzen und Institutionen, doch eine gemeinsame nationale Identität musste erst geschaffen werden. Die Gesellschaft war stark in soziale Schichten gegliedert, und nur ein kleiner Teil beteiligte sich politisch aktiv. Nation-Building erfolgte nachträglich über Verfassungen, Bildungssystem, Symbole und Rituale. Sprache und Religion eigneten sich dabei nur eingeschränkt als Abgrenzungskriterien gegenüber den Nachbarstaaten mit Ausnahme der USA – Spanisch und Katholizismus sind bis heute weit verbreitet. Nationale Symbole, allen voran die Flagge, gewannen daher besondere Bedeutung und prägen bis heute den Zusammenhalt der mexikanischen Gesellschaft.

Für Schüler:innen wird durch diese Gegenüberstellung sichtbar, dass es unterschiedliche Wege zur Nationsbildung gibt – und dass die vermeintliche Selbstverständlichkeit der eigenen Geschichte erst im Vergleich verständlich wird. Ausgehend von der ihnen vertrauten mexikanischen Perspektive gelingt so ein vertieftes Verständnis auch für die deutsche Entwicklung. Besonders spannend ist außerdem, die Schüler:innen selbst einzubeziehen: Wenn sie mir als Lehrer im Gastland die Funktionsweise des Gesetzgebungsverfahrens oder das Wahlrecht in Mexiko erklären, lassen sich daran die entsprechenden Fachbegriffe im Deutschen (wie z.B. Verhältnis- oder Mehrheitswahl) einführen und wir können auf dieser Grundlage kontrastiv arbeiten. Im Vergleich mit den Verfassungen des Deutschen Reichs, der Weimarer Republik oder der Bundesrepublik werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlicher, ebenso wie die jeweiligen Stärken und Schwächen.

Kontrastive Zugänge eröffnen so wertvolle Gelegenheiten, komplexe historische Entwicklungen für Schüler:innen verständlicher zu machen, ihre historische Gewordenheit herauszustellen und das Verständnis von Nation, Staat und Identität in unterschiedlichen Kontexten zu fördern.

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Deutsch-mexikanische Geschichte: didaktische Impulse aus dem Geschichtsunterricht an einer Auslandsschule

Nach zwei Jahren an der Deutschen Schule Mexiko-Stadt West beginnt für mich nun das letzte Schuljahr hier – im Sommer 2026 geht es dauerhaft zurück nach Deutschland. Anlass genug, auf manches genauer zu schauen, was mich überrascht, irritiert oder zum Nachdenken gebracht hat.

Überraschend war für mich vor allem, wie viele Bezugspunkte es zwischen Deutschland und Mexiko in der Geschichte tatsächlich gibt. Ganz anders als in Ecuador, wo ich zuvor drei Jahre gelebt und gearbeitet habe, stößt man hier auf eine Vielzahl von Verflechtungen, Begegnungen und Konflikten, die im öffentlichen Raum, in der Erinnerungskultur und nicht zuletzt auch im Schulunterricht eine Rolle spielen.

In den kommenden Wochen möchte ich eine Reihe kleiner Beiträge veröffentlichen, in denen es um zwei Dinge geht:

  1. Kurze Schlaglichter auf Aspekte der deutsch-mexikanischen Beziehungen
  2. Didaktische Überlegungen und konkrete Erfahrungen, wie sich im Geschichtsunterricht der Oberstufe an einer deutschen Auslandsschule die Geschichte des Gastlandes und das Wissen der Schüler:innen darüber nutzen lassen kann, um im Vergleich ein vertieftes Verständnis für die deutsche und europäische, aber auch für die eigene Geschichte zu fördern.

Für mich ergeben sich daraus drei zentrale didaktische Chancen:

  1. Vergleichendes Lernen: Der Vergleich deutscher und mexikanischer Entwicklungen ermöglicht es, Kategorien wie „Nation“, „Revolution“, „Diktatur“ oder „Demokratie“ in unterschiedlichen Kontexten zu betrachten. Das macht diese Begriffe plastischer und regt zur kritischen Reflexion an.
  2. Multiperspektivität: Der Blick auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Mexiko eröffnet immer wieder die Frage: Wer erzählt die Geschichte, aus welcher Perspektive, mit welchem Interesse? Damit lässt sich eine Kernkompetenz des Faches gezielt fördern.
  3. Identitätsstiftung und Verortung: Für Schüler:innen an einer deutschen Auslandsschule ist es wichtig, die eigene Position zwischen verschiedenen kulturellen und historischen Traditionen zu reflektieren. Die deutsch-mexikanische Geschichte bietet eine hervorragende Grundlage, um an einer bikulturellen Begegnungsschule über eigene Zugehörigkeiten und Identitäten nachzudenken.

Mir ist bewusst, dass dies ein sehr spezielles Thema ist, das auch nicht überall umsetzbar ist. Aber vielleicht ist gerade das der Reiz: Einblicke aus einem bestimmten Kontext können Anregungen für ganz andere Situationen geben – sei es im bilingualen Unterricht, in Projekten mit internationalem Bezug oder schlicht bei der Frage, wie man lokale und regionale Geschichte stärker in den Unterricht einbindet.

Ich freue mich daher, in den kommenden Wochen und Monaten Beobachtungen und Erfahrungen zu teilen – und vielleicht bei der einen oder dem anderen Leser Interesse für Mexiko und seine Geschichte zu wecken.

Zu Teil 2 dieser Beitragsreihe.