Überlegungen zu Verfassertexten in Schulgeschichtsbüchern

Wie in der Diskussion zum vorangehenden Beitrag deutlich wurde, lassen sich Schulbücher in unterschiedlicher Art und Weise begreifen: Als Lesebücher und Nachschlagewerke oder als Arbeitsmittel. Schulgeschichtsbücher sind in der Regel als Mischform gedacht: Auf der einen Seite Verfassertexte in einem „Darstellungsteil“ oft mit einer Art kleinem Lexikon am Ende, auf der anderen Seite die „Material“-Seiten als „Arbeitsteil“ mit unterschiedlichen Darstellungstexten, Quellen und Aufgaben.

Der Verfassertext des Schulgeschichtsbuchs ist der „Kernbaustein des Darstellungsteils“ (Schönemann/Thünemann, Schulbucharbeit, 84). Verfassertexte sind aber nichts anderes als Darstellungen. Sie werden allerdings nicht so behandelt. In vielen Schulbüchern lassen sich die Autoren der einzelnen Seiten nicht nachvollziehen oder werden allenfalls im Einband genannt. Arbeitsaufträge beziehen sich oft nur auf die Auszüge aus Quellen und wissenschaftlichen Darstellungen, oder dienen, sofern vorhanden, für die Verfassertexte nur der „Informationsentnahme“.

Was ich mich frage: Ist das eine unhinterfragte Tradition oder verbirgt sich darin ein tieferer Sinn?

Mein sehr subjektiver Eindruck ist, dass es gerade auch diese Art der Geschichtspräsentation ist, die die Vorstellung vieler Schülerinnen und Schüler von der „einen“ Geschichte, einer zeit- und kontextunabhängigen Meistererzählung, unterstützt. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Quellen und übrigen Darstellungen die Erzählung der Verfasser belegt, im schlimmsten Fall die Lösungen zu den Aufgaben am „Material“ bereits dem Verfassertext zu entnehmen ist.

Was ließe sich anders machen:

– Gemäß Beutelsbacher Konsens sollte das, was in Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird, aber auch wozu es in der Forschung unterschiedliche Positionen gibt, offen und kontrovers dargestellt werden. Das ermöglicht historisches Lernen und eine eigene Meinungsbildung durch die Lernenden. In vielen Schulgeschichtsbüchern wird zugunsten einer scheinbar sicheren Aussage reduziert. Das ist meines Erachtens falsch verstandene didaktische Reduktion. (vgl. ebd., S. 85)

– Verfassertexte sollten durch Angaben der Autoren als Darstellungen kenntlich gemacht werden. Ergänzend sind altersgemäße Aufgaben zur De-Konstruktion ihrer Perspektivität und Erzählstruktur sinnvoll. Voraussetzung ist die offene Reflektion des eigenen Standpunkts durch die Schulbuchautoren, die Integration verschiedener Perspektiven sowie die Orientierung am aktuellen Stand der Wissenschaft.

– Quellen und andere Darstellungen sind nicht dazu da, um die Erzählung des Verfassertextes zu belegen. Sie dürfen und sollten entweder in einem Spannungsverhältnis stehen, wo dies inhaltlich gegeben ist, um zu Fragen, Nachdenken und eigenen Urteilen anzuregen oder sich gegenseitig inhaltlich ergänzen und aufeinander aufbauen, so dass mit beiden gearbeitet werden kann, ohne dass die Darstellungen die Inhalte der sonstigen Materialien vorwegnehmen noch umgekehrt. (vgl. ebd.)

Abschließend stellt sich die Frage, ob angesichts der vorgetragenen Überlegungen eine Trennung von „Darstellungs-“ und „Arbeitsteil“ überhaupt sinnvoll ist oder ob moderne, i.S. an kompetenzorientierten Lehrplänen entwickelte Geschichtsschulbücher nicht sowohl in der Gewichtung der verschiedenen „Material“-Anteile wie auch in der graphischen Gestaltung grundlegend überdacht werden müssen. Beat Döbeli sieht unter den Bedingungen der digitalen Welt einen Wandel des Schulbuchs vom Endprodukt zum Ausgangsmaterial (siehe dazu seine Präsentation hier).

Zentral ist die Frage, ob und ggf. wie dies addressatengerecht, also für Kinder und Jugendliche, umsetzbar ist. Angesichts der auch in der eigenen Unterrichtspraxis beobachteten erheblichen Verständnisprobleme, die auch Gymnasialschülerinnen und -schüler mit den Verfassertexten haben, sei in diesem Zusammenhang an den Ausruf Bodo von Borries erinnert:

„Benutzt die Hauptschulbücher in den Gymnasien und
schreibt neue, einfachere Hauptschulbücher!“

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4 Gedanken zu „Überlegungen zu Verfassertexten in Schulgeschichtsbüchern

  1. Sehr guter Beitrag; zwei Fragen interessieren:

    1. Wie viele Prozent der Schüler_innen lesen Darstellungstexte in Schulbüchern (bzw. bekommen im Geschichtsunterricht die Gelegenheit dazu)?

    2. Wie viele Prozent verstehen diese Texte?

    Arbeitshypothese: zu 1) 10%; zu 2) davon 10% = 1%

    zugegeben: (leicht) überspitzt!

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  2. Verfassertexte (wohl ein geschichtbuchdidaktischer Terminus?) „leben“ offenbar davon, dass sie aus dem vermeintlichen objektiven „Off“ sprechen. Wie du sagst, sie basieren auf der Vorstellung einer objektiv gültigen Meistererzählung, die dann offenbar mittig zwischen „umstrittenen“ wissenschaftlichen extrempositionen imn der sicheren Fahrinne dahintuckert. Wenn die Verfasser ihren Sorechort markieren müssten, würden sie es dann so tun (wenn sie sich über ihren Sprechort überhaupt im Klaren sind!):
    „Unsere Texte sind von Lehrern und Unbekannten Geschichtsschreibern verfasst, und sie tun so, als gäbe es eine objektive Geschichtserzählung. Wir machen das absichtlich, weil es zum Einstieg in die Disziplin leichter fällt, so einen Überblick zu gewinnen. Aber wir warnem davor, alles für bare Münze zu nehmen. Wir sehen alles traditionalistisch, mit dem Blick eines weißen Europäers, meist männlich. Es könnte auch ziemlich anders dargestellt sein. Gerne nehmen wir überzeugend begründete andere Darstellungen entgegen, ja wir loben sogar einen Schülerwettbewerb mit wertvollen Sachpreisen aus …“

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  3. @Christoph: Ich würde den ersten Prozent deutlich höher schätzen. Gut, mein Referendariat ist jetzt schon ein paar Jahre her, aber den Unterricht, den ich damals beobachtet habe, der bestand in der Mittelstufe zum allergrößten Teil aus dem Lesen der Verfassertexte, die dann in einem sehr gelenkt-frontalen Verfahren in ein Tafelbild gepackt wurden.

    Falls noch Zeit blieb, konnte im Sinne (?) eines problemorientierten Unterrichts noch die mit einem „Oder“ provozierend formulierte Überschrift des Tafelbildes diskutiert werden.

    Ich weiß nicht, inwieweit sich das verallgemeinern lässt, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass wohl nicht allzu selten ist und daher den Darstellungsteilen, aufgrund des vermeintlich leichteren Einstiegs, wie Lisa schreibt, und der Glaube dadurch eine schnelle und effektive „Stoffvermittlung“ zu erreichen, in der Unterrichtspraxis schon recht weit verbreitet ist.

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  4. Ja, volle Zustimmung. Wirklich neu sind diese Einsichten ja nicht aber wohl durch rezente Entwicklungen wieder verschärft relevant und weiter zu befragen und zu entwickeln ist:
    Dass Schulbücher nicht „neutral“ sind, ist schon in Erich Kästners Ansprache zum Schulbeginn 1925 (vor wohl etwas mehr als 100 Jahren, weil damals wohl noch Einschulung zu Ostern galt) ausgesprochen: „Misstraut gelegentlich euren Schulbüchern. Sie sind nicht auf dem Berge Sinai entstanden, meistens nicht einmal auf verständige Art und Weise, sondern aus alten Schulbüchern, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind. Man nennt das Tradition. Aber es ist ganz etwas Anderes.“ (i)
    Ob diese Rede zum Schulbeginn wirklich eunmal vor Schüler*innen (und offenkundig Erstklässler*innen) gehalten wurde, habe ich nicht überprüft. Sie hätte sie in der Tat überfordert (vgl. https://horstheller.wordpress.com/2024/08/17/erich-kastner-ansprache-zu-schulbeginn/; gelesen 20.9.2025). Ich bezweifle es. Vielmehr ist es wohl eine mit gewohnt geschickt-ironischem Gestus formulierte Rede gegenüber Eltern (die werden ja explizit mit angesprochen, dass sie ihre Kinder – nun Schüler*innen – fragen sollen, wenn sie etwas nicht verstehen), eigentlich der ganzen Gesellschaft und ihrem Schulsystem und den darin Tätigen — also der Schuladministration, Bildungsplan- und Schulbuchautor*innen und Lehrpersonen. Hier liegt denn auch der Kern der aktuellen Relevanz angesichts rezenter Entwicklungen. Zu diesen gehören insbesondere
    eine bildungspolitische Entwicklung, in welcher die (in sich durchaus wichtige) Evidenzbasierung nicht wesentlich im Sinne von Material-, Methoden- und Systemevaluation und darauf basierender Entwicklung von Materialien, Methoden, Lernumgebungen etc verstanden wird, sondern als eine enge Bindung des Lernens auch der Einzelnen an ständige summative Überprüfung und — eine durchaus problematische Vorstellung, dass empirische Evidenz quantitativ- statistischer wie qualitativ-diagnostischer Art unmittelbar präskriptives Handlungswissen erzeuge. Es ist ein Unterschied zwischen Einsichten darin, was unter Berücksichtung wahrgenommener Bedingungen und ihrer Variation (der „Kontrolle unabhängiger Variablen“) nie, selten, weniger oder öfter und besser „wirkt“ und der Konzeption konkreter Lehr- und Lernprozesse und entsprechender didaktischer Lernumgebungen, -materialien, -aufgaben unter Berücksichtigung ersterer Einsichten. Weder ist das „what works“ didaktischer Analyse, Reflexion, Konstruktion und Durchführung unabhängig von dem „what works“ empirischer Bildungsforschung noch ist es damit identisch oder einfach daraus ableitbar. In diesem Sinne evoziert Kästner an anderer Stelle derselben Rede ausgesprochene Einsicht, dass die (scheinbar angesprochenen) Schüler*innen das „Wachsen“ selbst leisten müssen, zwar durchaus aufgrund der der Gärtner-Metaphorik eine problematische Reifungs-Entwicklungspsychologie, ist aber eigentlich anschlussfähig insofern dieses Lernen ein aktiver Vorgang in der (Mit-)Verantwortung der Lernenden sein muss. In diesem Zusammenhang hier lässt sich daraus (und aus der Warnung, das Pult nicht mit einem Thron oder einer Kanzel zu verwechseln) durchaus ableiten, dass schon Kästner Lernen nicht als die Übernahme von „Wissen“ oder als solches geltenden Deutungen, Überzeugungen, Haltungen durch die Schüler*innen von den Lehrkräften gelten lassen und gestaltet wissen wollte. Von hier aus ist es eigentlich nur ein kleiner, aber wesentlicher Schritt zu einem Verständnis von Verfassertexten in Lernbüchern nicht als die von den weiteren Materialien nur gestützte/belegte oder gar nur illustrierte autoritative Zusammenfassung des eher passiv zu Lernenden, sondern als Teil derjenigen Materialien, mittels derer und gegenüber denen eine kognitive Aktivierung (deren Relevanz für bedeutungsvolle Lernprozesse eines der wesentlichen Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung ist; vgl. Kunter & Tratutwein) der Schüler*innen zu Zwecke einene „Wachsens“ an Aufgaben anzuregen, zu ermöglichen, zu unterstützen, zu begleiten ist — eine Prozess also, der nicht anhand der Übereinstimmung des Ergebnisses mit einem eng gefassten Lösungsraum allein oder wesentlich zu beurteilen ist, sondern insbesondere auch an den prozeduralen Lernbewegungen, auch und gerade dort, wo sie als vielleicht sich als falsch oder unterschiedlich herausstellende Vermutungen und Überlegungen wesentliches zum eigenen Lernen beitragen (die Unterscheidung von „Lern-“ und „Leistungsaufgaben“ ncoh Josef Leisen ist hier sehr weiterführend; nur muss auch das Lernen als eigene Form von Leisten verstanden werden).
    Das aber erfordert von der Gesellschaft, von seinem Schulsystem und insbesondere von seinem Prüfungswesen eine Orientierung auf Formen des Prüfens, die ihrerseits gerade nicht eng auf das Reproduzieren konkreten Wissens bzw. auf das „richtige“ Bearbeiten mit engem Lösungsraum konstruierter Aufgaben ausgerichtet ist, sondern sehr wesentlich auch die „Lernbewegungen“ und die Leistungen dabei mit in den Blick nimmt. Zu solchen Lernbewegungen müsste dann wesentlich auch die selbst- bzw. eigenständige Auseinandersetzung mit jeglichem Material gehören – auch mit „Verfassertexten“ (und „selbstständig“ meint dann auch „ständig selbst“, nicht gänzlich zu dispensieren in Prüfungssituationen; vgl. auch Körber 2022)
    Dies aber wiederum erfordert von Lehrpersonen eine Orientierung auf solche nicht vollkommen relativistisch, wohl aber wesentlich offenen Lernprozesse und auf die ihnen zur Verfügung stehenden sowie von ihnen entsprechend um-zugestaltenden) Lehr- und Lernmaterialien, die in Zeiten redzuierter und enggeführter Lehrkräftebildung leider auf dem Rückzug zu sein scheint. Insbesondere zwei Entwicklungen, die zu bedenken sind
    Lehrkräfte, die bereits sehr früh in ihrer (Aus-)Bildung verantwortlich Unterricht erteilen und somit nicht nur stetig unter Handlungsdruck stehen, sondern sowohl ihr Fach als auch Schule selbst ohne wesentliche Unterbrechung und Perspektivenwechsel „in Funktion“ erleben, dürften deutlich stärker dazu tendieren, auf Materialien zurückzugreifen, die vor allem die beiden Ziele „cover the curriculum“ und „maintain control“ (Barton & Levstik 2004) sicherstellen, als Lehrkräfte, die Zeit und Raum hatten und haben, sowohl selbstständig als auch mit Anleitung und Gegenüber Lehr-Lernkonzepte zu entwickeln, welche die Lernenden in die Lage und die Situation versetzen (Anforderung), sich zu den Materialien zu verhalten. Das gilt somit wohl hauptsächlich (wenn auch nicht notwendig) für „duale“ Formen der Lehrkräftebildung, frühe Lehraufträge und Vertretungen, aber auch für völlig unbegleiteten Unterricht in der zweiten Phase.
    Etwas anders liegt die Sache wohl bei Lehrkräften, die sehr wohl ihr Fach im Studium anders kennengelernt haben denn als Schulfach, also wohl vor allem „Quereinsteiger*innen“ nach einem fachlichen BA- oder gar MA-Studium in einen Lehramts-Master oder „Seiteneinsteiger*innen“ direkt in den Vorbereitungdienst oder gar direkt in den Schuldienst nach einem solchen Studium. Auch hier ist es einerseits denkbar, dass das Inteesse an weitgehend „bruchlos“ aufbereitetem und „direkt einsetzbarem“ Material hoch ist und ggf. auch eine Abhängigkeit davon besteht. Allerdings sollte (zumindest ist es zu hoffen) eine fachliche Sozialisation, die das Fach als Gegenstand von Forschung und Diskussion eröffnet hat und nicht nur gesellschaftliches, sondern auch wissenschaftliches Wissen als Konstruktion, als vorläufig, revisionsbedürftig und — nicht nur,a aber insbesondere in unserem GFach – auch hochgradig perspektivisch eröffnet hat, eine gute Grundlage sein, auch Lehr-Lernprozesse daran zu konzipieren.
    Hier ist dann der Hinweis auf den Beutelsbacher Konsens wiederum hilfreich, insofern er in Wissenschaft und (lies: „oder“) Gesellschaft strittiges Wissen als auch im Unterricht „als strittig“ zu präsentieren einfordert. Daraus wären zwei unterschiedliche Forderungen ableitbar, die zueinander in Spannung stehen, aber durchaus miteinander kompatibel und kombinierbar sind:
    zum Einen kann daraus gezogen werden, dass Verfassertexte dort, wo sie in ein Thema einführen, wo sie – insbesondere nicht umfassend in ein Thema eingearbeitete bzw. unerfahrene, (noch) nicht hinreichend professionalisierte — Lehrkräften helfen sollen, den jeweiligen Gegenstand zu thematisieren, sowohl solche Kontroversen und Unsicherheiten als auch die Bedingungen des eigenen chreibens (die Sprecherposotionen etc) offen und explzit machen und solche zur Entwicklung solcher Leitfragen anregen müssen, die spezifisch Erörterung und Erwägung ermöglichen, und bei denen nicht nur die Bearbeitung der expliziten Aufgaben, sondern auch die Lektüre der Materialien einschließlich der Verfassertexte selbst keine „Ergebnisse“ oder „Lösungen“ darstellen, sondern in ihrer zu erwartenden Unterschiedlichkeit das eigentliche Material für die erörternden, erwägenden, differenzierenden Lernprozesse.
    Zu Anderen bedarf es dann aber auch der Funkktion, dass Schulbuchmaterialien nicht nur vermeintlich neutrale Einführungen in eine Thematik sind, sondern durchaus erkennbar machen, dass und wie (auch: in welcher Weise) ein jeweiliger Gegenstand in einer Gesellschaft als lernrelevant, als zu thematisieren angesehen wird. Schulbücher völlig von ihrer Situiertheit abzukoppeln, würde somit einem relevanten historischen Lernen ebenso nicht gerecht. In diesem Sinne dürfen und müssen Schulbücher durchaus als Teile des geschichtskulturellen und -politischen Diskurses erkennbar sein, ja auch ihre mandatierte Position sichtbar machen.
    Auch schulisches Geschichtslernen ist durchaus gesellschaftlich mandatiert. Staatliche Bildungspläne zeugen davon und strukturieren es. Und es ist da (zum Glück und zu verteideigender Weise) durchaus richtig, dass als wesentliches Ziel solcher staatlichen Bildung nicht die Vorgabe und Übernahme eines geschlossenen und einheitlichen Master Narrativs, sondern das selbst-ständig-historische Denken Lernen gilt.
    Eine weitere weitere Bendigung ist zugleich gesellschaftlicher und pädagogisch-didaktischer Natur: Die öffentliche Diskussion um das Phänomen von „Fake News“ in Zeiten sowohl wachsender politischer Ideologisierung (vor allem von rechts) als auch von nicht im überkommenden Sinne der (analogen wie digitalisierten) Massenmedien mit überwiegend wenigen Produzent*innen und Redakteur*innen einer- und wesentlich vielen Rezipient*innen von Wissen und Deutungen andereseits weitgehend zentral kontrollierbaren digitalen Kultur, in der prinzipiell Mitglieder Angehörige der redaktionellen Gesellschaft (Pörksen) sein müssen, und pädagogisch-didaktische Reaktionen darauf und Programme zu ihrer Bearbeitung. Insofern diese aber entlang des Schlagwortes „Fake News“ eine binäre Untereilung von „Fake“ vs. „True“ News bzw. die Möglichkeit derartiger binärer Einsichten und Erkenntnisse verlaufen, sind sie nicht hilfreich, insofern sie nicht ziletzt aufgrund der Unmöglichkeit, in komplexen arbeitsteiligen Gesellschaften immer alle Informationen und Deutungen selbst zu prüfen, wiederum auf Abhängigkeit von korrekten Angeboten hinauslaufen. Gerade auch solche Konzepte, die — etwa mittels spezifischer Lesestrategien des „Fact Checking“ darauf hinauslaufen, die einzelnen Bürger*innen (Lernenden) einerseits dazu zu befähigen, gut und schnell selbst prüfbare Facetten von Informationen zu entdecken und diese zu überprüfen, andererseits angesichts des Ergebnisses dann aber in die „Vertrauen“/“Nicht-Vertrauen (und-nicht-weiter-Berücksichten)“-Dichotomie münden (vgl. etwa Wineburg 2018; Caulfield/Wineburg 2023: „Verified“), helfen gerade nicht – vor allem deswegen nicht, weil es in unseren post-traditionalen Gesellschaften zum EInen immer mehrere (positionale und perspektivische) Wahrheiten tatt einer gibt, zum Anderen aber gerade die Botschaften der nicht-vertrauenswürdigen Nachrichten, Informationen und Deutungen wie auch ihre Macharten mindestens ebenso wichtig sind für die eigene Positionierung und Befähigung zu Teilnahme und Teilhabe wie die „guten“ Informationen.
    Man würde somit heute in Kästners oft genutztem Zitat daher wohl sowohl das „gelegentlich“ als auch das „misstraut“ einschränken oder besser ganz ersetzen wollen durch einen Appell zu einer grundsätzlich kritischen Haltung auch und gerade gegenüber Schulbüchern — und zwar einer Form kritischer Haltung, die nicht immer (aber, wenn nötig schon auch) auf die Entwertung dessen gerichtet ist, sondern auf deren differenzielle Analyse: Was wird dort eigentlich erzählt, wie und warum? Wir nennen das „De-Konstruktion“ im Gegensatz zu Destruktion. Anders als letztere kann eine De-Konstruktion auch Einsichten ergeben, inwiefern eine Darstellung durchaus relevant, signifikant, triftig ist bzw. (differenziell) für wen, unter welcher Fragestellung, etc.: „Misstrauen“ ist insofern richtig, als es das Andere des einfachen Vertrauens ist, andererseits darf es auch kein Misstrauen um des Misstrauens Willen sein, oder ein grundsätzlicher entwertender Verdacht gegenüber allen Schulbuchtexten. Vielmehr muss es um einen grundlegenden Prüfungsvorbehalt von Triftigkeit, Relevanz, Reichweite der jeweiligen Deutungen gehen.
    Dringend aber müssen — und auch insofern ist hier zuzustimmen — die „inneren“ Relationierungen der Elemente eines Schulbuchkapitels derart in den Blick kommen. Er wäre sehr zu wünschen, wenn Materialien und Aufgaben weder den Verfassertext lediglich illustrieren noch ihn nur mit Belegen unterfüttern, sondern wenn es durchaus auch (Deutungs-)Spanunngen zwischen ihnen gibt (vgl. Sochatzy et al 2013) , und Aufgaben deren Analyse und Reflexion einfordern. würden
    Caulfield, Mike; Wineburg, Samuel S. (2023): Verified. How to think straight, get duped less, and make better decisions about what to believe online. Chicago: The University of Chicago Press.
    Kästner, Erich (1952): Ansprache zum Schulbeginn. In: Erich Kästner: Die kleine Freiheit. Chansons und Prosa. Zürich: Atrium, S. 11–16.
    Körber, Andreas (2022): Leistungsbeurteilung und Kompetenzmessung im Geschichtsunterricht. In: Monika Fenn und Meik Zülsdorf-Kersting (Hg.): Geschichts-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen Pädagogik (Fachdidaktik), S. 288–309.
    Kunter, Mareike; Trautwein, Ulrich (2013): Psychologie des Unterrichts. Paderborn: Schöningh (UTB#Bd.#3895 StandardWissen Lehramt).
    Sochatzy, Florian; Schöner, Alexander; Schreiber, Waltraud (2013): Analyse von Schulbüchern als Grundlage empirischer Geschichtsdidaktik. 1. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=1714576.

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