Es ist „Irrsinn“, sagt ein Geschichtsdidaktiker

In der aktuellen Ausgabe der ZfGD setzen Christopher Friedburg und Markus Bernhardt mit der Dichotomien von analog/digital bzw. alt/neu auseinander. Gleich zu Beginn heißt es dort:

“Maßgeblich beeinflusst wird der Diskurs von ‚digital affinen‘ Praktikern, die aufgrund von Technikbegeisterung und Mediennutzung Expertentum beanspruchen – sie waren es vor allem, die mit Hilfe der Social Media eine Diskussion über den ‚digitalen Wandel‘ in der Geschichtsdidaktik angeschoben haben. Ihre Forderung lautet im Kern: Angesichts des revolutionären Charakters der ‚Neuen Medien‘ müsse die Geschichtsdidaktik eine Neuausrichtung vornehmen und von traditionellen Prinzipien des historischen Lernens Abstand nehmen.” (117)

Beim ersten Lesen bin ich hier bereits gestolpert und dachte, wer fordert denn so einen Quatsch wie die Abkehr “von traditionellen Prinzipien des historischen Lernens”? Mit Überraschung musste ich in der Fußnote zur Kenntnis nehmen, dass wir das gewesen sein sollen in dem mit Alexander König und Thomas Spahn gemeinsam verfassten Beitrag (PDF) . Nun liegt das Verfassen des genannten Artikels schon ein wenig zurück und Positionen verändern sich. Sollten wir das wirklich vor drei Jahren formuliert haben? Ich habe mir unseren Artikel noch einmal vorgenommen und konnte diese Forderung dort nicht wiederfinden.

Friedburg und Bernhardt kritisieren ausgehend von unserem Artikel eine argumentative “Zäsur analog versus digital, der aktuellen Ausprägung des ‘alt’ versus ‘neu’. Es werden Begriffe und Ideen der digitalen Medienwelt ins Feld geführt, um einen Entwicklungsbruch zu unterstellen, der einerseits Innovationsbedarf beim historischen Lernen suggeriert und andererseits bislang bewährte Formen des Geschichtsunterrichts als hoffnungslos veraltet darstellt.” (122)

Hier wird eine Gegenposition aufgebaut und uns als “’digital affinen‘ Praktikern” zugeschrieben, um am Ende eine “Synthese des ‘Alten’ und ‘Neuen’” (133) zu fordern.

Lese ich unseren Beitrag noch einmal finde ich genau das dort. Es ging in Fokussierung auf das “Neue”, das “Digitale”, um das Aufzeigen von Veränderungen und Forschungsdesiderata. Am Ende steht bereits die als vermeintlich neu postulierte Synthese:

“Angesichts der digitalen Durchdringung der Gesellschaft ist eine Trennung von ‘realer’ und ‘virtueller’ Welt nicht möglich. Ebenso wenig macht eine isolierte Betrachtung von analogen und digitalen Medien Sinn. Sie müssen jeweils integrativ als Teil des Ganzen betrachtet und im Hinblick auf den Unterricht aufeinander bezogen gedacht und analysiert werden. Es bedarf also weniger verschiedener ‘Online-Kompetenzen’, sondern allgemeiner und fachspezifischer Kompetenzen im Umgang mit Medien historischen Lernens, die für digitale Medien andere sein können als für analoge. […] Wichtige Kompetenzen wie Recherche oder Quellenkritik werden grundlegend im schulischen Geschichtsunterricht vermittelt und eingeübt. Es ist sinnvoll, diese Kompetenzen auf die digitale Welt auszuweiten und entsprechend anzupassen.” (25)

Die grundlegenden Prinzipien der Geschichtsdidaktik werden an keiner Stelle im Artikel in Frage gestellt, wohl aber darauf hingewiesen, dass z.B. der Medienbegriff überdacht werden sollte und Wissenschaftler wie Lerner z.B. zur Quellenkritik im digitalen Raum neue Instrumente brauchen, da die Überprüfung von Echtheit und Glaubwürdigkeit bei digitalen Objekten nicht in der gleichen Weise funktioniert wie bei den bislang zugrundeliegenden historischen Quellen. Ein Teil der aufgeworfenen Fragen wurden in den drei zurückliegenden Konferenzen in München, Salzburg und Köln in konstruktiver Auseinandersetzung aufgegriffen und weitergeführt.

Schärfer im Ton ist die im gleichen Band erschienene Rezension der Dissertation von Jan Hodel durch Michele Barricelli (167-170, PDF). So schreibt er von “Irrsinn” (167) mit Bezug auf das vermeintliche Infragestellen der “Existenzberechtigung” der Geschichtsdidaktik. Belegt wird dies mit dem Zitat dieses einen Wortes aus einem Text von Ulf Kerber. Schaut man sich das Wort im Kontext an, dann klingt es ganz anders als in der Rezension referiert:

“Die Medienkompetenzforschung der Erziehungswissenschaften eröffnen dem Fach Geschichte neue Perspektiven, wenn die Geschichtsdidaktik in der Lage ist, das Thema als Chance für ihre eigene Existenzberechtigung zu begreifen. Hierfür ist es wichtig, sich von den Fächern Musik, Kunst und Deutsch abzusetzen, die bislang eher im Fokus der Aufmerksamkeit durch die Medienpädagogik standen.” (Absatz 53)

Das Zitat ist dem Open Peer Review-Verfahren entnommen und stammt also aus einem Entwurf des Beitrags. Liest man die Passage, so wird schnell deutlich, dass der Autor mit “Existenzberechtigung” einen eher unglücklichen Begriff gewählt hat. Setzt man stattdessen “Selbstverständnis” passt dies nach meinem Verständnis besser. Mit anderen Worten und einfacher formuliert, steht dort, dass die Geschichtsdidaktik eine große Expertise für das Lernen mit Medien besitzt. In der Schule ist dies bislang anderen Fächern zugeordnet worden, dabei sind die Geschichtslehrkräfte vom Fach aus ebenso Experten, wenn es um “Medienbildung”. Dieses in das Selbstverständnis des Schulfachs ebenso wie der Fachdidaktik aufzunehmen und zu reflektieren, wäre nach Kerber eine Chance für deren Entwicklung.

Im Kontext kann ich kein Infragestellen der “Existenzberechtigung” der Fachdidkatik erkennen. Zudem handelt es sich,  wie gesagt,um einen Entwurf und es ist zu hoffen, dass die missverständliche Wortwahl in der Printversion korrigiert ist. Natürlich kann man das nutzen, um zu polemisieren oder man kann versuchen, eine inhaltlich konstruktive Auseinandersetzung zu führen. Barricelli hat sich für ersteres entschieden. An anderer Stelle heißt es: “Entgegen mancher legenda aurea haben digital natives keine andere, gar privilegierte Geschichte.” (170) Der Satz bleibt ohne Beleg. Mir ist keine entsprechende Position bekannt. Es ist eine fiktive Gegenposition, letztendlich eine Luftnummer. Allerdings bekommt man so eine steile Argumentation, hilfreich oder weiterführend ist das nicht.

Die angeführten Beispiele sollen an dieser Stelle reichen, um deutlich zu machen, dass es sich um eine Scheindebatte handelt. Es stellt sich die Frage, warum und mit welchem Ziel die Autoren sie in dieser Form führen. Markus Bernhardt formulierte als Reaktion auf einen Tweet meinerseits:

Dem ist in jedem Fall zuzustimmen.