Ende der Weimarer Republik: neue Perspektiven aus der Gegenwart für den Geschichtsunterricht

Die Weimarer Republik gilt in Schulbüchern oft als eine mehr oder weniger von Anfang an zum Scheitern verurteilte Demokratie: politisch zerrissen, wirtschaftlich instabil und durch eine anfällige Verfassung geschwächt. Zwar wird das „Krisenjahr 1923“ erfolgreich gemeistert und es folgen die „Goldenen Zwanziger“, aber mit der Weltwirtschaftskrise werden die vorhandenen strukturellen, in Verfassung und Gesellschaft bereits vorhandenen Ursachen aktiviert und die Republik geht angesichts fehlender Handlungsoptionen ihrem Untergang entgegen.

Vermittelt wird damit zugleich eine quasi Gewissheit, dass es die BRD mit der Konstruktion des Grundgesetzes strukturell so viel besser gemacht habe und eine vergleichbare Entwicklung nicht möglich sei. Doch mit Blick auf aktuelle Entwicklungen wird zunehmend diskutiert, dass es auch in der Weimarer Republik keineswegs vorrangig strukturell bereits angelegte Merkmale eine entscheidende Rolle gespielt haben, sondern wesentlich in mindestens gleichem Maße einzelne Entscheidungen. Bei mir hat sich in letzten Jahren daraus tatsächlich die Art und Weise, wie ich das Thema im Unterricht bespreche, geändert. Wie sieht es bei euch aus?

Die klassische Darstellung in Schulbüchern fokussiert auf strukturelle Probleme: Die Demokratie litt unter mangelnder Unterstützung, die Weimarer Verfassung begünstigte Instabilität, und die Weltwirtschaftskrise gab der NSDAP den entscheidenden Schub. Beiträge aus den letzten Jahren hingegen hinterfragen diese Darstellung zunehmend. Beispielhaft genannt seien hier ein FAZ-Artikel über ein mögliches Verbot der NSDAP („Im Jahr 1930 versuchten preußische Beamte, die NSDAP zu verbieten. Die Regierung lehnte das ab. Sie wollte die Nazis lieber politisch stellen.“), ein Interview im Spiegel über die Rolle des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold („Die Weimarer Republik war ein vielversprechendes demokratisches Experiment, das rechtsautoritäre Politiker wie Hindenburg, Papen und Brüning bewusst zerstörten.“) oder ein Krautreporter-Beitrag über alternative Szenarien zu Hitlers Aufstieg und Ernennung zum Reichskanzler („Hitlers Machtübernahme wackelte sogar noch fünf Minuten vor seiner Vereidigung zum Reichskanzler.“). Die Autor:innen zeigen auf, dass verschiedene Akteure durchaus Handlungsspielräume hatten, die entscheidend hätten sein können – aber nicht genutzt wurden.

Es wird vermehrt auf verpasste Chancen, fatale Fehleinschätzungen und zentrale Entscheidungen hingewiesen: ein Parteiverbot (durchaus möglich und praktiziert in der Weimarer Republik), die keineswegs unausweichliche Entscheidung Hindenburgs, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, die Rolle von demokratischen Großorganisationen wie dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold usw. Anschaulich aufzeigen kann man das z.B. auch an den Reaktionen auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit einer Liste von Presseschlagzeilen vom 31.01.1933, die gut die unterschiedlichen Stimmungen und Reaktionen in den Parteien und der Gesellschaft widerspiegeln – in der Mehrheit eben kein entschiedener Widerstand, sondern ein zögerndes Abwarten und Beobachten. Oder: die Einschätzung von Theodor Heuss, der als Experte zur Geschichte und Entwicklung der NSDAP Ende 1932 davon überzeugt war, dass sich die auf dem Rückzug befinde und vorerst „gelähmt“ sei.

Man könnte zugespitzt sagen, die Demokratie ist in Weimar nicht an sich selbst gescheitert, sondern an politischen Entscheidungen, die ihre Gegner bewusst oder unbewusst ermöglichten.

Daher wäre es aus meiner Sicht gut, nicht nur die vermeintlich strukturellen Schwächen der Weimarer Republik und die Abfolge von Ereignissen (Weltwirtschaftskrise, Präsidialkabinette usw.) zu vermitteln, sondern die Einschätzungen, Handlungsspielräume und tatsächlichen Entscheidungen der politischen Akteure im Rahmen von Verfassung und historischer Entwicklung im Unterricht stärker in den Fokus nehmen.

Geschichte spielerisch entdecken – Top 10 Lernspiele

Für die meisten von uns als Lehrerinnen und Lehrer ist Geschichte interessant und faszinierend – das ist aber naturgemäß nicht bei allen Schülerinnen und Schülern auch so. Spielerische Angebot können helfen, über das Spiel Interesse an den Inhalten zu wecken oder als vergleichsweise langweilig bewertete Tätigkeiten wie Auswendiglernen interessanter zu gestalten.

Aus meiner Erfahrung als Geschichtslehrer und Spieleautor habe ich deshalb das Heft Die Top 10 Lernspiele für den Geschichtsunterricht für den Auer-Verlag entwickelt. Nicht, weil ich glaube, dass ich den perfekten Geschichtsunterricht erfunden habe, sondern weil ich selbst immer wieder auf der Suche nach Methoden war, um Geschichte greifbarer und den Geschichtsunterricht lebendiger zu machen.

In diesem Heft findet ihr zehn bewährte Spiele zu ganz unterschiedlichen Themen und in ganz unterschiedlichen Formaten. Sie reichen von Quiz über Rollenspiele bis hin zu interaktiven Gruppenaufgaben. Mein Ziel war es, Spiele auszuwählen, die nicht nur Wissen abfragen, sondern die Schüler aktiv ins historische Denken bringen – sei es durch Perspektivwechsel, kreative Herausforderungen oder Diskussionen.

Zeit ist knapp und gefühlt in den letzten Jahren immer knapper geworden, ich weiß. Deshalb sind die Spiele alle direkte einsetzbar. Das Heft enthält Kopiervorlagen, so dass die Lernenden in kleinen Gruppen spielen können. Jedes Spiel ist in maximal 3-4 Minuten erklärt. Auch das erleichtert den Zugang und daher passen die Spiele auch gut in eine Geschichtsstunde von 45 Minuten.

Falls ihr Lust habt, euch das Heft anzusehen, würde mich über euer Feedback freuen. Wenn ihr mögt, könnt ihr mal reinschauen, ihr findet hier das Inhaltsverzeichnis sowie ein paar Beispielseiten.

Link zur Verlagsseite:

https://www.auer-verlag.de/pp08832-die-top-10-lernspiele-fur-den-geschichtsunterricht.html

Nationsbildung und Demokratiegeschichte: Korsika 1755

Denkmal für Pasquale Paoli in Corte

„Überhaupt ward Corsica ein Muster einer wohlgeordneten Democratie…“, schrieb August Ludwig Schlözer 1769. Wer die Geschichte von Nationsbildung und der Entstehung der modernen Demokratie einmal anders als in der Schrittfolge USA, Frankreich, deutsche Nationalbewegung und Vormärz angehen möchte, findet in der korsischen Republik von 1755 einen möglichen, interessanten Unterrichtsgegenstand.

Im Aufstand gegen Genua und dann später gegen Frankreich unter der Führung von Pasquale Paoli gaben sich die Korsen 1755 die erste moderne, d.h. geschriebene,  durch gewählte Vertreter beschlossene und auf Gewaltteilung beruhende Verfassung der Welt. Hier wurden erstmals die Begriffe „Konstitution“ und „Nation“ von der politischen Theorie in die Praxis übersetzt.

In den schulischen Geschichtskanon haben es die korsischen Ereignisse nicht geschafft trotz ihrer Wirkung auf das aufgeklärte Europa und die englischen Kolonien vor den Revolutionen. Genau das macht die Thematisierung im Unterricht interessant. So könnten z.B. Schülerinnen und Schüler der Oberstufe selbst recherchieren und hinterfragen, warum es die korsische Verfassung weder in die Lehrpläne und daraus folgend auch nicht in die Schulbücher geschafft hat, um abschließend zu diskutieren, ob diese Verkürzung gerechtfertigt ist.

Darüber hinaus können Verfassungstext und Aufbau der Verfassung im Hinblick auf Nationsbildung, Demokratieentwicklung und deutliche Orientierung an der römischen Idee einer Mischverfassung untersucht werden. Gerade der Einfluss der Antike auf diesen Staatsbildungsversuch lässt sich mit dem korsischen Beispiel gut in einen Längsschnitt zur Verfassungs- und Demokratiegeschichte einbinden.

Der vollständige Text der Verfassung findet sich auf Französisch u.a. in Wikisource. Eine von mir auf Deutsch übersetzte Fassung der Präambel kann hier als Word-Dokument oder als PDF heruntergeladen werden. Vor ein paar Jahren habe ich den Verfassung in ein einfaches Schema umgesetzt, das ich zur Nutzung im Unterricht hier auch gerne zur Verfügung stelle.

Schema Verfassung Korsika 1755

 

 

Aus den Fehlern der Weimarer Verfassung gelernt?

„Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben schließlich aus den Fehlern von Weimar gelernt.“ (Planet Wissen, Geschichte der Verfassung in Deutschland) Damit ist ein mittlerweile klassisches Lernziel des deutschen Geschichtsunterrichts formuliert. Im Vergleich der Verfassungen sollen die Schülerinnen und Schüler erarbeiten, wie weise die Verfasser das Grundgesetz angelegt haben. Das deutsche Grundgesetz erscheint im Unterricht  quasi als  Endpunkt der Entwicklung, als Krone der Verfassungsschöpfungen. Überspitzt formuliert. Dass das problematisch ist, zeigt schon ein Blick in Länder wie Frankreich oder die USA, deren Verfassungen zeigen, dass ein starker Präsident nicht zwingend gegen eine funktionierende Demokratie spricht, sondern dass das Argument nur im spezifischen Kontext der Weimarer Republik valabel ist.

Hinzu kommt: Gemäß des zweiten Punkts des Beutelsbacher Konsenses muss, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Natürlich haben die die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ versucht, Lehren aus der Weimarer Verfassung zu ziehen. Das zu verstehen und aufzeigen zu können, ist ein Punkt. Zumindest müsste allerdings eine Differenzierung zwischen den von den Verfassern des Grundgesetzes als Probleme erkannten Ursachen und dem heutigen Forschungsstand differenziert werden, z.B. in Bezug auf die „Zersplitterung“ des Parteiensystems.

Das leisten schon die meisten Schulgeschichtsbücher nicht. Eigentlich müsste der Unterricht aber auch noch darüber hinausgehen, zumindest in der Oberstufe am Gymnasium, weil es genau einige dieser „Lehren“ sind, die heute diskutiert und in Frage gestellt werden. Zu nennen wäre hier u.a. die 5%-Hürde oder die Diskussion über Formen der direkten Demokratie.

Die Gegenwartsbezüge liegen auf der Hand. Daher darf der Unterricht nicht bei der Frage nach den Lehren des Grundgesetzes aus der Weimarer Republik stehenbleiben, sondern muss heute mit den Lernenden diskutieren, ob nach über 60 Jahren noch dieselben Grundsätze gelten, an denen sich die Verfasser orientiert haben oder eine Revision sinnvoll sein könnte. Das versetzt die Lernenden erst in die Lage die aktuelle politische Lage zu analysieren und ihre Interessen zu artikulieren (Beutelsbacher Konsens Punkt 3), statt nur einen auswendig gelernten Vergleich ohne Bezug zu ihrer Lebenswirklichkeit zitieren zu können.

¡Viva la Pepa! Zum 200. Geburtstag der ersten spanischen Verfassung

Heute,  am 19. März, feiert Spanien den Bicentenario der ersten Verfassung. Der ungewöhnliche Spitzname der Verfassung stammt vom Heiligen dieses Tages, dem heiligen Joseph, auf Spanisch „José“ bzw. in der Koseform „Pepe“.  Der spanische Begriff für Verfassung „constitución“ ist weiblich, daher dann „La Pepa“.

Auf Deutsch wird die Verfassung auch nach dem Ort, an dem sie erarbeitet wurde, als Verfassung von Cádiz bezeichnet. In nicht französisch besetztem Cádiz tagten die Cortes. Zu den Inhalten und zum historischen Hintergund ist der entsprechende Wikipedia-Artikel hilfreich.

In Deutschland ist die Verfassung weniger bekannt. Der schulische Geschichtsunterricht beschränkt sich in der Regel auf einen Hinweis des spanischen Widerstands gegen die napoleonische Herrschaft. Die Berücksichtigung der spanischen Verfassung wäre in einer europäischen Perspektive allerdings durchaus interessant, könnte dies doch helfen, das Bild von einem politisch und wirtschaftlich rückständigen Spanien zu korrigieren und die Entwicklung von Liberalismus und Nationalismus über die Entwicklung in Frankreich und Deutschland hinaus vergleichend zu betrachten. Für die spanische Verfassungs-, Demokratiegeschichte sowie Nations- und Nationalstaatsbildung ist die Pepa absolut zentral.

Entsprechend wurde im spanischen Fernsehen dem Thema gestern schon viel Aufmerksamkeit geschenkt (siehe z.B. hier). Dabei wurde in einer Dokumentation auf dem Fernsehsender 24h dann behauptet die „Pepa“ sei weltweit (nach den USA und Frankreich) die dritte moderne Verfassung; modern in dem Sinne, dass sie geschrieben ist und auf der Idee der Volkssouveränität basiert.

So bedeutend die Verfassung für die spanische Geschichte und das Selbstverständnis der spanischen Republikaner und Demokraten ist, so baut sie doch auf einigen Verfassung in anderen Ländern auf, die ihr zeitlich vorausgehen. Da dies auch in vielen Geschichtsschulbüchern nicht korrekt dargestellt wird, hier eine kleine Auflistung der ersten vier modernen Verfassungen:

1755 Korsika

1787 USA

1791 Polen (3. Mai)

1791 Frankreich (3. September)

 

Constitución Cádiz 1812

Das Alte Reich als Vorbild für die Verfassung der USA?

Und zwar durch die Vermittlung des Reiseberichts von Montesquieu, so Jürgen Overhoff heute in einem Beitrag der Zeit Online:

„[…] als [Montesquieu] Deutschland im Herbst 1729 »sehr betrübt« verlässt, weil er sich dort wohlgefühlt hat, ist er davon überzeugt, dass das Reich, trotz aller Einwände im Grunde einen vorbildlichen Weg politischer Organisation gefunden hat: den Staatsaufbau auf zwei Ebenen. Bändigten die Deutschen Preußen und gewährten sie den Einwohnern der Fürstentümer ähnliche Freiheiten wie den Bürgern der Städte, sei ihr Staatswesen ein völlig neuartiges Musterbeispiel des föderativen, bündischen Organisationsprinzips. Das Potenzial dazu habe das Reich bereits, weshalb Montesquieu es im Esprit des Lois ausdrücklich als République fédérative d’Allemagne bezeichnet, ein Begriff, der sich mit »Bundesstaat« oder, etwas freier, mit »Bundesrepublik Deutschland« übersetzen lässt.

Mit der République fédérative prägt er eine neue Begrifflichkeit – von welthistorischer Tragweite. Nachdem sich nämlich die britischen Kolonien Nordamerikas 1776 vom Mutterland gelöst und sich zu den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenschlossen haben, studiert der virginische Jurist und Politiker James Madison die Schriften des Barons de Montesquieu, den er als sein »Orakel« bezeichnet. Besonders interessieren ihn im Esprit des Lois die Passagen über Deutschland. Als er 1787 die bis heute bestehende US-Verfassung entwirft, die aus dem lockeren amerikanischen Staatenbund eine bundesstaatliche Union macht, lässt er sich auch von der Reichsverfassung inspirieren. Eine atemraubende Volte der Geschichte.“

Weimarer Verfassung auf dem IWB

Selbst im Referendariat habe ich nicht mit Moosgummi gearbeitet (nein, wirklich nicht). Auch Papierschnipsel waren mir eher suspekt, insofern kommt mir die Arbeit mit interaktiven Whiteboards bzw. deren Software sehr entgegen, weil man hier schön schnipsel- und klebefrei Verfassungsschemata zerlegen und wieder zusammensetzen kann. Ein einfacher Entwurf dazu als Puzzle oder Lückentext und mit entsprechender Lösungsfolie steht seit eben zum Download bei prometheanplanet online.

Die Flipcharts können zur Wiederholung am Anfang einer Stunde eingesetzt werden oder als Vorlage, mit der die Schüler aus einem Text selbst die Verfassung zusammenbasteln. Durch die Vorgabe der Elemente kürzt sich hier die Bearbeitungszeit und in den meisten Fällen ist das Produkt auch ansehnlicher und übersichtlicher als komplette Zeichnungen von Lehrer- oder Schülerhand.

Zudem: Wer die entsprechende, in der Grundversion kostenlose Software benutzt, kann die Vorlagen entsprechend seiner Ideen für den eigenen Unterricht ergänzen, korrigieren und verändern und gegebenfalls z.B. die zweite Folie auch zum Ausfüllen ausgedruckt  und kopiert den Schülern als Arbeitsblatt ausgeben.

Fortschrittsdenken und Geschichtsunterricht

Dass Schülerinnen und Schüler mehrheitlich mit dem Konzept von Fortschritt an die Gegenstände historischen Lernens herangehen ist mittlerweile vielfach empirisch belegt. Geschichte präsentiert sich Schülern als Erfolgsgeschichte des immer Schnelleren, Weiteren, Besseren. Viel zu wenig Beachtung hat m.E. in diesem Zusammenhang bisher die Rolle der Geschichtscurricula und -bücher bei der Konstruktion oder zumindest Unterstützung dieses Konzeptes gefunden.

Um kurz zu rekapitulieren: Was bedeutet das unterschwellig vorhandene Fortschrittskonzept für historisches Lernen? Für Schüler heißt es oft: Abstand zur Vergangenheit, i.S. von „die“ konnten das „damals“ noch nicht wissen, „wir“ sind da heute viel „weiter“. Daraus kann sich dann ein Überlegenheitsgefühl der Gegenwart gegenüber der Vergangenheit ableitenn. Gerade dieses verhindert aber historisches Lernen.

Ein Blick auf typische (so schwierig und pauschal das jetzt auch sein mag) Themen und deren Abfolge im Geschichtsunterricht zeigt aber eben eine Auswahl erfolgreicher Entwicklungen: vom Absolutismus zur Demokratie (englische, us-amerikanische und französische Revolution), vom Ackerpflug zum Computer (bäuerliches Leben und Handwerk in Mittelalter und Früher Neuzeit über Manufakturen zu Liberalismus und Industrialisierung ) ebenso wie bei Philosophie und Religion (Mittelalter – Renaissance / Humanismus – Aufklärung). Nuancen, Brüche und Gegenentwicklungen verschwinden dabei weitgehend: Die meisten Schüler verstehen das Besondere des Absolutismus nicht, weil sie keine Ahnung von Herrschaft und Mitbestimmungsrechten seit dem Mittelalter haben (siehe auch das aktuelle Heft von Geschichte lernen).

Es gibt wenige Stelle, wo „Scheitern“ im Geschichtsunterricht ausdrücklich thematisiert wird: die Revolution von 1848/49, die aber als Bezugpspunkt für die Demokratieentwicklung noch positiv umgedeutet wird, im schlimmsten Fall behalten die Schüler, dass die Zeit noch nicht „reif“ war (ähnliches gilt für die Französische Revolution); und  ohne Einschränkung das Scheitern der Weimarer Republik, das wiederum von Schülern und Lehrkräften meiner Erfahrung nach als eines der spannendsten Themen angesehen wird. Und das eben nicht nur, weil hier eine „Urfrage“ der Beschäftigung mit Geschichte heute thematisiert wird („Wie war Hitler möglich?“).

Gerade in der Thematisierung von gescheiterten Entwicklungs- und Reformversuchen liegt m.E. eine enormes, bisher kaum berücksichtigtes didaktisches Potential, weil hier aufgezeigt werden kann, dass der Gang der Geschichte eben nicht nur, wie die Auswahl von Geschichte für den Geschichtsunterricht oft suggeriert, Fort- sondern auch Rückschritte und Rückschläge beinhaltet. Außerdem lassen sich an solchen Gegenständen auch sehr gut  Fragen nach Relevanz und Auswahl historischer Themen für den Unterricht stellen. Gerade wenn man exemplarisch das Scheitern an einem Gegenstand herausgreift, der nicht im Geschichtsbuch steht, lassen sich solche Fragen  mit Schülern gewinnbringend diskutieren. Die oft beklagte Stofffülle und die geringe Stundenzahl stehen dem nicht im Wege, wenn man das Prinzip der Exemplarität wirklich ernst nimmt.

Drei mögliche Themen, um das „Scheitern“ im Geschichtsunterricht beispielhaft zu thematisieren, sind z.B.

1) Die Friedensbewegung vor dem 1. Weltkrieg. Jeder Lehrer kennt das vermutlich aus dem Unterricht, dass Schüler meinen heute wäre der Kriegsausbruch wäre so nicht mehr möglich. Warum steht denn viel über die „Kriegsbegeisterung“ in den Geschichtsbüchern, aber nichts über die Friedensdemonstrationen, die 1913/1914 Hunderttausende in ganz Europa auf die Straßen brachten? Nur, weil sie nicht erfolgreich waren? Die Thematisierung dieser Bewegung kann uns ein Stück unserer gegenwärtigen Überheblichkeit nehmen.

2) Die korsische Revolution von 1755: Unter Pasquale Paoli gibt sich Korsika die erste geschriebene demokratische Verfassung der Neuzeit, lange vor den USA, Polen oder Frankreich und erklärt sich zugleich von Genua unabhängig. Die Genusesen überlassen die Insel Frankreich, das mit seinen überlegenen Truppen 1769 die korsische Demokratie und Unabhängigkeit blutig beendet. Die französischen Revolutionäre schließlich bestätigen 1789/90 die Annexion Korsikas, die bekanntlich bis heute Bestand hat

3) Dasselbe gilt für die polnische Verfassung und Reform von 1791. Gerade im Vergleich mit Frankreich und den USA können hier tiefere Einsichten gewonnen werden, weswegen „Scheitern“ als Gegenkonzept zu „Fortschritt“ einen Platz in Geschichtsdidaktik  und -unterricht erhalten sollte.