OER als offenes Tor für Lobbyismus?

meh„Sind OER Distributionen ein Einfallstor für Interessenvertretungen bzw. Ideologien? – Wer prüft das?“ So lauten zwei der ersten Fragen Etherpad zur Diskussionrunde der Piratenpartei zu OER (Infos und Podcast hier).

Ähnlich klingt es in einem Bericht von der Bildungskonferenz des Verbands Bildungsmedien vom November 2014. So wird Professor Joachim Kahlert wie folgt wiedergegeben: „Für den Einsatz in der Schule müssen OER laut Kahlert inhaltlich korrekt, passend zum jeweiligen Curriculum sowie rechtssicher sein. ‚Wer soll das prüfen? Lehrer sind damit überfordert’“. Darüber hinaus heißt es dann: „Er warnte vor Schulmaterialien aus dem Internet, mit denen Interessensgruppen zu Themen wie Gentechnik, Energieversorgung oder der Zukunft des Individualverkehrs einseitige Lobbyarbeit betreiben.“

Ehrlich gesagt überraschend mich Frage und Argumentation, weil Lobbying an Schule nicht OER-spezifisch ist. Wie sieht die Situation in der Schule denn aktuell aus?

In der Regel ist von der Konferenz des jeweiligen Faches jeweils die Einführung eines Schulbuchs beschlossen worden. Dieses wird von Ausnahmen abgesehen vermutlich von der Mehrarbeit der Kollegen als Leitmedium im Unterricht eingesetzt. Im Sinne der entstandenen Anschaffungskosten bzw. Ausgaben sowie der kiloschweren Schlepperei der Bücher im Ranzen zur Schule sollten die Bücher auch im Unterricht Verwendung finden.

Lehrkräfte ergänzen und erweitern die Arbeit mit dem Schulbuch schon seit Jahrzehnten durch eine Fülle von zusätzlichen Materialien, deren Umfang und Beschaffenheit immer vom jeweiligen Fach abhängt. Zu diesen Materialien gehören u.a. von Verlagen bereitgestellte Zusatzmaterialien wie Tandembögen oder Übungsaufgaben, selbst erstellte Arbeitsblätter oder verschiedene Fundstücke von einzelnen Aufgaben bis hin zu ganzen Videos oder Unterrichtseinheiten in Printpubllikationen oder im Netz.

Jede Lehrkraft nimmt dabei jeweils selbst die Bewertung der Qualität der Materialien vor. Das gilt für Kaufmaterialien ebenso wie kostenlose Materialien. Die Bewertung und Auswahl eines geeigneten Schulbuchs ist eine der Kernaufgaben der Fachkonferenz an dern Schulen. Die Fähigkeit, die Qualität von Unterrichtsmaterialien zu bewerten, ist – sofern nicht fachfremd unterricht wird – eine Selbstverständlichkeit für Lehrkräfte und dafür sind sie auch ausgebildet.

Das Suchen, Auswählen und Bewerten von Materialien für einzelne Stunden braucht natürlich Zeit, an der es Lehrkräften oft mangelt. Ihnen aber diese Fähigkeit abzusprechen, ist eine massive Unterschätzung der wissenschaftlich ausgebildeten Lehrkräften an deutschen Schulen.

Und das Problem mit dem Lobbyismus gibt es jetzt: Nicht nur dass viele Stiftungen und Unternehmen mit Wettbewerben versuchen, Themen und Inhalte, aber auch bestimmte Methoden in Schulen zu platzieren, vermutlich das bekannteste Beispiel für mehr oder weniger verdeckte Werbung ist die Kritik an einigen kostenlos angebotene Unterrichtsmaterialien der Stiftung Lesen (siehe dazu z.B. den Beitrag in der NOZ von 2011 oder den Beitrag der GEW von 2013) .

Ja, Lobbying ist ein Problem im Bereich Unterrichtsmaterialien, und zwar aktuell, aber es hat erstmal nichts mit Digitalisierung oder OER zu tun. Kostenlos ist nämlich keineswegs gleich OER. Die angebotenen Materialien sind zwar kostenlos verfügbar, aber eben nicht OER: Sie stehen unter Urheberrecht und sind nicht veränderbar. Und das mit gutem Grund: Welcher Konzern hätte denn ein Interesse daran, dass Schülerinnen und Schüler seine Werbetexte umschreiben und in veränderter Form im Netz erneut veröffentlichen?

Ob es eine zentrale Stelle braucht, um Unterrichtsmaterialien zu prüfen und für den Gebrauch in den Schule zuzulassen, darüber kann man streiten.Wobei gäbe es so eine Institution, dürfte man dann nicht mehr spontan einen Artikel aus der FAZ oder der taz mitbringen, einen Tweet oder eine Facebook-Seite zeigen und diskutieren, weil sie nicht offiziell zugelassen sind als Material für die Schule? Das wäre ziemlicher Quatsch und würde nur weiteren nach sich ziehen…

Ich traue es auf jeden Fall meinen Kollegen zu, selbst die Qualität angebotener Materialien zu prüfen. Diesen Aspekt stärker als bisher in der Lehrerbildung zu berücksichtigen, wäre auf jeden Fall sinnvoll. Das Thema Lobbying mit OER zu verbinden erscheint mir hingegen als ungerechtfertige Stimmungsmache gegen OER, der bei näherer Betrachtung die Grundlage fehlt.