Canossa: ein Lernspiel über den Investiturstreit im Mittelalter

Das Lernspiel „Canossa“ entführt Schüler:innen mitten hinein in den Investiturstreit, einen der bedeutendsten Konflikte des Mittelalters. Statt Fakten auswendig zu lernen, übernehmen die Spielenden die Rollen von König oder Papst und kämpfen um die Vorherrschaft im christlichen Europa. Ziel ist es, möglichst viel Macht zu gewinnen – und das gelingt nur durch geschickte Entscheidungen, wo man Einfluss nimmt und wann man in den Konflikt investiert.

Das Spiel ist für zwei Personen konzipiert und dauert ungefähr eine Unterrichtsstunde. Mit Spielfeldkarten, Aktionskarten und der „Versammlung der Großen“ wird die Auseinandersetzung um Bischofsämter, Reichtum und politische Macht nachgestellt. Jede Runde planen die Spielenden ihre Züge, setzen Gold und Einflussmarker ein und versuchen, die Gunst der Großen des Reiches zu gewinnen

Machtpunkte werden direkt während des Spiels oder am Ende gezählt. Wer die Mehrheit in den Regionen erringt, triumphiert. Die Regeln sind durchaus komplex, sodass das Spiel auch für leistungsstärkere Lerngruppen eine spannende Herausforderung bietet oder sich als Differenzierungsmaterial innerhalb der Klasse eignet.

Um sich das Spiel besser vorstellen zu können, hier ein kurzer Blick in eine typische Spielsituation: Der König hat gerade Gold eingesetzt, um die Unterstützung eines wichtigen Fürsten zu sichern. Doch der Papst kontert sofort mit einer Aktionskarte. Er verhängt die Exkommunikation über den König. Plötzlich verlieren dessen Gefolgsleute im Rat der Grossen an Loyalität, und der dort hart erkämpfte Vorteil droht zu verpuffen. Der König steht nun vor einer Entscheidung: Soll er seine Ressourcen nutzen, um sich neue Verbündete zu zu gewinnen – oder wagt er den riskanten Gang nach Canossa, um die Bannstrafe aufzuheben und das Machtgleichgewicht wieder herzustellen?

In diesem Moment wird deutlich, wie eng Spielmechanik und historische Realität miteinander verknüpft sind: Jede Entscheidung spiegelt die Zerrissenheit des Investiturstreits wider.

Das Besondere an „Canossa“ als Lernspiel ist, dass es kein simples Quiz oder Frage-Antwort-Spiel bietet. Auch anders als Memory-Spiele oder Puzzle-Varianten bildet es den historischen Konflikt durch das Spielgeschehen selbst ab. Aus meiner Sicht ein „modernes Lernspiel“, das die Vorteile des Mediums Spiel nutzt. Neben historischem Wissen trainieren die Lernenden Urteilsfähigkeit, Perspektivwechsel, strategisches Denken und das Reflektieren von Geschichtskultur. Die Rollenübernahme und die Spannung des Wettkampfs machen das Thema Investiturstreit greifbarer und fesselnder. Zunächst wurde das Spiel auch gar nicht für Schule entwickelt worden ist, sondern in normalen Spielerunden und Spiele-Events getestet und erst nachträglich leicht für die Nutzung im Unterricht adaptiert.

Für den Einsatz im Unterricht bietet es sich an, das Spiel schrittweise einzuführen. Eine kurze inhaltliche Einführung in den Investiturstreit schafft die notwendige Grundlage, damit Rollen und Konfliktlinien verständlich sind. Die Regeln sollten zunächst im Plenum erklärt und durch Visualisierungen von Spielfeld und zentralen Aktionen unterstützt werden, um den Einstieg zu erleichtern. Sinnvoll ist es, die Klasse in Kleingruppen aufzuteilen, in denen jeweils zwei Personen (oder vier Personen in Zweierteams) aktiv spielen, während die übrigen beobachten und mitschreiben. Beobachtende können ggf. auch als „Versammlung der Großen“ in das Spiel einbezogen werden. Von zentraler Bedeutung ist eine anschließende Reflexionsphase, in der Fragen wie „Welche Machtmittel standen König und Papst zur Verfügung?“ oder „Welches Bild vom Investiturstreit vermittelt das Spiel?“ thematisiert werden. Auf diese Weise wird das Spiel nicht nur zum motivierenden Einstieg, sondern auch zur vertieften Auseinandersetzung je nach Schwerpunkt mit Geschichtsbildern und/oder mittelalterlichen Machtstrukturen.

„Canossa“ ist ein spielerisches Experimentierfeld, auf dem die Schüler*innen im Spiel die Entscheidungen von König und Papst nachahmen. Geschichte wird damit nicht nur als feststehende Erzählung nachgelernt, sondern die Offenheit historische Prozesse wird erlebbar. Damit eignet sich „Canossa“ hervorragend, um das oft abstrakte und lebensweltferne Thema „Investiturstreit“ lebendig, verständlich und reflektiert in den Geschichtsunterricht zu bringen.


Das Spiel findet sich mit Anleitung und Vorlage zum Ausdrucken der Materialien im Heft „Top 10 Lernspiele für den Geschichtsunterricht“ beim Auer-Verlag.

ZDF-Serie „Die Deutschen“ im Geschichtsunterricht?

Das Fragezeichen im Titel mag überraschen. Wenn nicht da, wo dann, mag der ein oder andere denken. Mir erscheint der Einsatz der Serie im Unterricht nicht so selbstverständlich. Nachdem auf Twitter bereits angeregt diskutiert wurde, würde ich das Thema hier gerne noch einmal aufgreifen und zur Diskussion stellen.

Über die beiden Staffeln der ZDF-Serie kann man neben zum Teil sehr beißendem Spott im Feuilleton an verschiedenen Stellen auch viel Lob  und vor allem explizite Empfehlungen für den Unterrichtseinsatz lesen. Ein Vorteil ist sicherlich, dass die Filme auch längerfristig auf den Seiten des ZDF als Stream zur Verfügung stehen und somit im Unterricht eingesetzt werden können. Der Verband der Geschichtslehrer ist zudem Kooperationspartner, hat Materialien für den Unterricht erstellt und wirbt für den Einsatz der Serie und der Materialien im Unterricht. Es ist also eine Serie, die sich nicht mehr nur an ein allgemeines Fernsehpublikum wendet, sondern gezielt auch an den Geschichtsunterricht.

Wie sieht es aber in der Praxis des angesprochenen Geschichtsunterrichts aus? Mich würde interessieren, wie sind die Erfahrungen der Leser dieses Blogs? Hat jemand schon einzelne oder mehrere Folgen überhaupt schon einmal im Unterricht eingesetzt? Und wenn ja, wie? Wurde eventuell auch mit dem vom Geschichtslehrerverband erarbeiteten Material oder anderen (Lern-) Angeboten auf der Internetseite der Serie gearbeitet?

[Update 22.03.:] Um die Diskussion anzustoßen, berichte ich mal von meinen Unterrichtserfahrungen, die zugleich Ausgangspunkt für die oben notierten Fragen waren:

Im Unterricht stand der Investiturstreit auf dem Plan und ich dachte, da gab es in der Reihe „Die Deutschen“ doch eine Folge zu: Taugt diese und das angebotene Material für den Unterricht?

Schnell kam ich zu der Erkenntnis, dass ich den Film so nicht einfach einsetzen kann. Das  vom Geschichtslehrerverband bereitgestellte Material (PDF) zielt zudem – sofern es sich auf die Arbeit mit dem Film bezieht – auf reine Informationsentnahme.

Zum Einstieg die Unterrichtseinheit haben die SchülerInnen zunächst gesammelt, mit welchen filmischen Mitteln Informationen und Wertungen transportiert werden können (Texte, Auswahl der Schauspieler, Licht, Musik etc.). Die SchülerInnen der 11. Klasse haben dann den Auftrag erhalten, zunächst nur für den Beginn der Folge zu beobachten, wie die beiden Protagonisten Heinrich IV. und Gregor VII. dargestellt werden.

In der Auswertung kamen wir zu einem sehr eindeutigen und deutlichen Ergebnis: Während der Text von den Schüler als relativ neutral darstellend angesehen wurde,  erschien ihnen die mediale Vermittlung stark und eindeutig wertend: Der König wird positiv dargestellt (warmes Licht, junger, sympathisch aussehender Schauspieler, Kamera auf Augenhöhe etc.), der Papst eindeutig negativ (Kameraeinstellungen, Licht, Gesicht und Körperhaltung des Schauspielers, Inszenierung der Person usw.). Das zeigt sich eigentlich bereits beim Titel: „Heinrich IV. und der Papst“ und geht sogar soweit, dass in den Bildern z.B. die reitenden Boten des Papstes an die Nazgul aus der Verfilmung des Herrn der Ringe erinnern! So wird durch die Bilder ein (moralisches) Gut-Böse-Schema vermittelt. Wird der Film unreflektiert eingesetzt, halte ich dies für höchst problematisch und historisch für völlig verfehlt.

Während die historische Forschung heute dazu neigt, den Gang nach Canossa als „geschickten Schachzug“ Heinrichs IV. zu intepretieren, im Sinne Althoffs sogar als das Ausnutzen ritueller Spielregeln, wird dies in den Bildern des Films ganz anders dargestellt: Heinrich IV. erniedrigt sich hier vor den Türen der Burg, hinter denen ein überheblicher Papst höchst unappetitlich ein fettiges Hähnchen (?) verspeist. Das knüpft an die völlig überholte Sichtweise an, die den Gang nach Canossa als (nationale) Demütigung interpretiert hat.

Das Prinzip ist wiederum dasselbe: Der Text aus dem Off stellt das Geschehen durchaus angemessen dar, die Bilder nicht. Man könnte zudem bedauern, dass unterschiedliche wissenschaftliche Deutungen auch im Text nicht dargestellt werden, was sich bei den beiden befragten Mediävisten (Weinfurter und Althoff) durchaus angeboten hätte, deren Aussageschnipsel aber in bekannter Manier monoperspektiv in das Narrativ des Film eingebaut werden. Aber selbst, wenn man davon ausgeht, dass eine kontroverse, multiperspektivische Betrachtung dem ZDF-Publikum nicht zuzumuten sei, gilt es zu fragen, eignet sich diese Darstellung für den Schulunterricht und was bleibt denn beim Zuschauer hängen: die kurze Erklärung Weinfurters oder die wirkmächtigen Bilder? Ich denke, die Antwort fällt eindeutig aus. Wer das nicht glaubt, möge den Film mit Schülern schauen und anschließend die Fragen aus dem Material beantworten lassen (z.B. von Arbeitsblatt 3: „Warum ging Heinrich nach Canossa? Was machte den Gang nach Canossa so beschwerlich?“).

Um es kurz zu machen: Zumindest für diese Folge eignet sich die Serie hervorragend zur exemplarischen Dekonstruktion einer geschichtskulturellen Erzählung. Das ist allerdings weder von den Machern beim ZDF noch vom Geschichtslehrerverband so intendiert. Die Geeignetheit für den Einsatz im Unterricht „zur Information“ möchte ich ausdrücklich in Frage stellen. Grundlegende didaktische und wissenschaftliche Prinzipien finden keine Berücksichtigung und durch die Bilderflut wird eine in höchstem Maße problematische Geschichtsdeutung suggeriert.

Dies bewusst zu machen und ein kritisches Sehen zu schulen, sollte Aufgabe des Geschichtsunterricht sein. Warum der Verband der Geschichtslehrer die Serie so unkritisch lobt, für deren Einsatz im Geschichtsunterricht wirbt und dafür zumindest in diesem Fall wenig geeignete Materialien zur Verfügung stellt, erschließt sich mir nicht.

Abschließend noch eine Anmerkung: Nach der Analyse der Filmausschnitte haben die SchülerInnen die Ergebnisse mit der Darstellung (Verfassertext und Quelllen) in ihrem Buch verglichen. Einige SchülerInnen fragten daraufhin, warum die Serie so schlecht gemacht sei. Nur um das klarzustellen: Das ist sie nicht. Sie ist sogar sehr gut gemacht und bietet eine extrem professionelle und actionreiche Inszenierung historischer Stoffe, die schön anzuschauen ist und sicherlich „naiv“ für Geschichte begeistern kann. Für den Unterricht eignet sie sich aber vor allem  für die schwierige Förderung von Kompetenzen im Bereich der Dekonstruktion historischer Narrationen.