Seit einigen Tagen verfolge ich die Kommentare auf Zeittaucher zu den von Studierenden verfassten Geschichtsblog-Rezensionen. Zunächst einmal vorne weg: Ich finde die Idee gut, möglichst umfassend aktuelle Geschichtsblogs zu erfassen und schon an der Uni auch das Web 2.0, insbesondere Blogs, zu thematisieren und in die Lehre einzubeziehen. Fragen sollte man sich allerdings auf einer allgemeinen Ebene, in welcher Form dies in Schule und Studium sinnvoll geschehen kann.
Einige der vorliegenden Rezensionen finde auch ich persönlich, wie von anderen in Kommentaren schon angemerkt, weitgehend verfehlt. Wer sich in die Öffentlichkeit wagt mit seinen Texten, muss allerdings auch mit Kritik rechnen und umgehen können. Sich anschließend auf das Argument zurückzuziehen, man würde ja nur „üben“, kann in dem Fall nicht greifen. Es geht ja keineswegs um einen Angriff auf die Personen der Autoren/Studierenden und ich wundere mich über die scharfen, z.T. beleidigten Reaktionen auf die m.E. durchaus zu Recht geäußerte Kritik. Einerseits wird hier in vergleichweise großer Öffentlichkeit Kritik an Form und Inhalt von Blogs geübt, andererseits wird Kritik am eigenen Vorgehen (inklusive Urteilen und Fehlern) persönlich genommen und zurückgewiesen. Interessant fände ich übrigens auch ein Offenlegen, was vom Betreiber des Blogs, Christian Jung, als „unsachliche Mutmaßungen“ empfunden und mit umfangreicher Zensur bestraft wird (Update: Da war ich etwas langsam, siehe dazu hier auf archivalia).
Meine Kritik richtig sich nicht an die Studierenden. Ich denke, als Lehrer bzw. Dozent sollte man sich fragen, welche Form der Heranführung an das Web 2.0 und die Blogosphäre geeignet ist. Rezensionen setzen ein vergleichsweise großes Wissen und einen guten Überblick über das Thema voraus. Niemand würde z.B. auf die Idee kommen, in einer von ihm herausgegebenen Zeitschrift erste Texte von allen Studierenden eines Seminars zu veröffentlichen. Ein, zwei gelungene Versuche vielleicht, aber nie alle, eben weil es noch erste Gehversuche sind und es sich um Lernen handelt. Lernen darf (sollte?) manchmal in geschützten Räumen erfolgen. Es ist sicher sinnvoll und gut, Rezensionen zu üben und Studierende mit der wachsenden Landschaft der Geschichtsblogosphäre vertraut zu machen, aber das Vorgehen erscheint mir didaktisch, soweit von außen einsichtig, wenig durchdacht. Vielleicht wäre es sinnvoller, Rezensionen in der geschlossenen Öffentlichkeit des Seminarraums vorzustellen und zu diskutieren, auch ein LMS wie z.B. Moodle böte hier gute und sinnvolle Möglichkeiten. Ein eigener Blog für das Seminar und die Rezensionen der Studierenden oder zunächst einmal Kommentare zu einzelnen Teilthemen auf anderen Blogs wären mögliche Alternativen. Ansonsten muss man sich der öffentliche Kritik für die eigene Arbeit stellen und diese auch aushalten können. Und dabei geht es keineswegs, um ein „Niedermachen“ oder „Demotivieren“ studentischer Arbeit. Was für absurde Behauptungen! Im Gegenteil: Es geht um eine angemessene Würdigung der Arbeit, die hinter den vielen (zumeist privat, in der Freizeit) betriebenen Blogs steckt. Nicht jeder Rezensent muss auch selbst üben, was er kritisiert. Es ist aber gut sich auszukennen. Eine gute Möglichkeit der Hinführung für Schüler und Studenten wäre z.B. über Semester begleitend zum Seminar selbst einen Blog zu betreiben. Ich denke, danach würden einige der geäußerten Bewertungen anders ausfallen.
Angesichts der Rezensionen, die ich bisher gelesen habe, hatte ich den Eindruck, dass vielen (leider nur implizit) eine präzise Idee von Blogs zugrunde liegt, die wiederum in der Wirklichkeit sehr vielfältige Formen annehmen können. Andererseits scheint der Versuch einer begriffsscharfen Definition im Seminar nicht unternommen worden zu sein, da Hinweise auf entsprechende Überlegungen, was überhaupt ein Blog ist, in den Texten fehlen und es bei einigen der rezensierten „Blogs“ zumindest fraglich ist, ob es sich überhaupt um solche handelt, wie z.B. beim Nachrichtendienst für Historiker. Eine entsprechende Diskussion über diese Frage an dem genannten konkreten Beispiel, ist bei den Kollegen von histnet bereits geführt worden. Ebenso wird nur mit einem Blick in einen anderen Blog deutlich, dass auch ein bereits eingestellter Blog („Geschichte und neue Medien“) noch rezensiert wurde. Der neue Blog ist hingegen in der angefangenen Auflistung der (Geschichts-) Blogs noch ergänzen .
Theoretische Grundlagenarbeit schadet nicht. So kann vermieden werden, dass statt des Blogs das Wiki der Autoren rezensiert wird (wie bei der Rezension zu „Kritische Geschichte“ geschehen). Bei den Rezensionen zeigt sich auch der (völlig normale und verständliche) studentische Tunnelblick: Die Rezensenten lesen und bewerten eine ausgewählte Internetseite. Das ist ja auch ihre Aufgabe. Die meisten Blogs sind allerdings untereinander vernetzt, reagieren aufeinander und miteinander. Es sind nicht unbedingt die Kommentare, die die Relevanz von Artikeln aufzeigen (vgl. die Kontroverse um die Thesen zu Blogs und Kommentarkultur von Schulmeister, z.B. hier).
Problematisch scheint mir zudem, dass den rezensierenden Studierenden wesentliche Grundlagen fehlen, wobei ich mich frage, ob dies nicht zuvor im Seminar erörtert und geklärt worden ist. Es verlangt ja keine großen medientheoretischen Kenntnisse, dass unterschiedliche Medien sich an unterschiedliche Zielgruppen richten und für diese eine besondere Relevanz besitzen können. Im Idealfall sind sie darüber hinaus auch für andere Gruppen interessant. Aber ich kann doch kein Automagazin kritisieren, dass ich darin nichts für Fußballfans finde, dann aber zubillige, dass es für Autointeressierte interessant sein kann. Das Vergleich ist sicher etwas überzogen, trifft aber den Kern einiger (nicht aller) Rezensionen und führt natürlich zu einer Verärgerung der betroffenen Blogger, die sich und ihre Arbeit in verzerrter Art und Weise bewertet sehen.
Dabei lassen sich aus dem konkreten Fall ganz allgemeine Grundsätze für die Arbeit mit Schülern und Studenten im Web 2.0 ziehen: Anstatt Schüler und Studierenden in das offene Messer der im Umgangston nicht immer freundlichen Blogosphäre laufen zu lassen, ist es m.E. Aufgabe von Lehrern und Dozenten, solche Gehversuche im Web 2.0 in angemessener Form zu begleiten. Das gilt für Anfänger im Printbereich oder bei wissenschaftlichen Publikationen ja ebenso: Statt sofort zu publizieren, nochmal mit Hinweisen zur Bearbeitung zurückgeben, die Texte im Plenum oder Einzelgespräch besprechen, als Lehrer/Dozent drüberlesen und offenkundige Fehler vor der Publikation rausnehmen usw.
Im übrigen, um zum konkreten Fall zurückzukommen, aber auch das ist eigentlich von allgemeiner Bedeutung, wird nicht bei allen Rezensionen deutlich nach welchen Maßstäben die oft sehr deutlichen und auch abwertenden Wertungen erfolgen. Diese lassen sich nicht immer nachvollziehen und einige Rezensionen dadurch anmaßend erscheinend. Ein vorsichtigeres, reflektiertes, ausgewogeneres Urteil würde vielen Rezensionen gut zu Gesicht stehe, eben weil die Autoren keine Spezialisten, sondern Anfänger sind. Das Problem der Reflektion und Offenlegung eigener Maßstäbe ist ja bekannt (siehe zuletzt für den Geschichtsunterricht: „Was können Abiturienten?“ 2010). Was Abiturienten schwerfällt, ist logischerweise auch für viele Studierende schwierig und muss gelernt. Die Frage ist nur die nach dem Raum des Lernens und der Umgangsformen.
P.S. Zuletzt noch ein Hinweis: Der Zeittaucher-Blog sieht sich selbst u.a. auch als Blog des Verbands der Geschichtslehrer (die Beiträge des Newsletters bzw. der Rubrik „Szene“ der Verbandszeitschrift geschichte für heute erscheinen vorab auf Zeittaucher), was seine Reichweite nochmals erhöht. Einen entsprechenden Hinweis hielte ich an prominenter Stelle im Blog für redlich, um Transparenz zu gewährleisten. Der Verband sollte sich allerdings fragen, ob das der richtige Weg in Richtung größere Leserschaft und Resonanz ist, als Verband auf einen Blog zu verweisen, der wiederum keinen Hinweis auf den Verband enthält, dafür aber zahlreiche durchaus sehr persönliche, wertende Beiträge und zudem unterschiedlichste Funktionen (u.a. persönlicher Blog von Christian Jung, der Studierenden in seinem Seminar, weiterer Autoren, des Verbands mit Beiträgen aus der Redaktion) in einem Medium vermischt.
Ich hatte zunächst auch einige kleine Hinweise für die neue Rubrik in der Verbandszeitschrift beigesteuert, weil ich die Idee gut fand, hier speziell für „neue“ Medien ein Forum für die breite Leserschaft der organisierten Geschichtslehrer zu schaffen. Diese Ultrakurzbeiträge erscheinen als namentlich nicht gekennzeichnete, redaktionelle Hinweise. Ich hatte mich allerdings gewundert, dass dieselben Beiträge dann im persönlichen Blog von Christian Jung vorab auftauchten; ob mit oder ohne Namensnennung ist eigentlich unwichtig. In einem konkreten Fall wurde mein Name anschließend im Blog ergänzt, aber darum geht es nicht. Ich sehe da einen elementaren Unterschied zwischen offiziell als solchen kenntlich gemachten Veröffentlichungen, ob nun auf Papier oder im Netz, eines Verbandes und einem persönlichen Blog (vgl. Profil und About von Zeittaucher). Auf Nachfrage wurde mir erklärt, dass man einen Versuch der „Öffnung“ unternehme und Zeittaucher der offizielle Blog des Verbandes sei. Ich habe dann vom Einsenden weiterer Beiträge abgesehen.
Update (07.10) Ein sehr lesenswerter und besonnener Beitrag zum Thema von Alexander König.