Auf Spurensuche: Mexikos Protest gegen den „Anschluss“

Der “Anschluss”: Mit dem 12. März 1938 wurde die Republik Österreich in das nationalsozialistische Deutschland eingegliedert. Während die meisten Staaten untätig blieben oder den Anschluss stillschweigend akzeptierten, reagierte Mexiko ungewöhnlich klar. Am 19. März 1938 legte Mexiko als einziges Land beim Völkerbund offiziell schriftlich Protest gegen den „Anschluss“ ein.

Der Protest wurde durch den mexikanischen Gesandten beim Völkerbund in Genf, Isidro Fabela, übermittelt, unter der Regierung von Präsident Lázaro Cárdenas, und bezeichnete die Annexion als Verstoß gegen das Völkerrecht und insbesondere als Angriff auf die politische Unabhängigkeit Österreichs.

Gedenktafeln im Museo del Risco – ehemaliges Wohnhaus von Fabela, das er 1958 dem mexikanischen Volk geschenkt hat

Aber auch der Völkerbund akzeptierte stillschweigend den Bruch internationalen Rechts durch Deutschland – die Trennung von Deutschland und Österreich in zwei unabhängige, souveräne Staaten war durch die Pariser Vorortverträge nach dem Ersten Weltkrieg festgeschrieben.

In Mexiko-Stadt hingegen „hatten die deutschen Nationalsozialisten der NSDAP, Landesgruppe Mexiko […] ein ‚Fest für den vollzogenen Anschluss‘ vorbereitet“, das eine öffentliche Bücherverbrennung einschloss und zu der es „für Personen mit Verwandten in Deutschland oder Österreich ratsam“ sei hinzugehen.

International wurde Mexikos Protest jedoch besonders von den demokratischen Staaten als ein aktiver Ausdruck von Solidarität und als moralischer Bezugspunkt anerkannt. Außenpolitisch pflegte Mexiko insbesondere unter Cárdenas eine Politik, die auf Nicht-Intervention, Selbstbestimmungsrecht der Völker und Rechtstaatlichkeit setzte. Der Anschluss Österreichs war für Mexiko ein Signal dafür, wie einzelne Staaten internationale Regeln missachten konnten. Mexiko sah in der Protestnote nicht nur symbolischen Wert, sondern verstand sie als Teil seiner Außenpolitik gegen aggressive Expansion.

Und das durchaus im eigenen Interesse: 1938 geriet Mexiko zeitgleich in einen Streit mit den USA über die Verstaatlichung der Ölindustrie unter Präsident Cárdenas. Somit diente die Protestnote auch der Selbstbehauptung mexikanischer Souveränität. Gleichzeitig stand sie im Kontext der interamerikanischen Politik und der Monroe-Doktrin: Mexiko forderte die Abkehr von US-Dominanz und ein System gegenseitiger lateinamerikanischer Solidarität, das später auf der 8. Panamerikanischen Konferenz in Lima 1938 bekräftigt wurde.

Spurensuche

Viele exilierte Österreicher fanden in Mexiko vorübergehend Zuflucht. Die genaue Zahl der österreichischen Flüchtlinge in Mexiko ist nicht bekannt (es werden Zahlen zwischen 500 und 1500 genannt), da viele ihren Geburtsort aus der Zeit vor 1918 in den Grenzen des untergegangenen österreichisch-ungarischen Reiches nutzten, um mit einer anderen Staatszugehörigkeit einzureisen. Wer sich dafür näher interessiert: Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hat Biographien von Verfolgten gesammelt und stellt diese online zur Verfügung.

Als sichtbares Denkmal für Mexikos Schritt existiert in Wien der Mexikoplatz im 2. Wiener Gemeindebezirk (Leopoldstadt). Die Umbenennung erfolgte 1956, um an Mexikos offizielle Protestnote zu erinnern. Auf dem Platz befindet sich ein Gedenkstein, der 1985 enthüllt wurde, mit der Inschrift:

„Mexiko war im März 1938 das einzige Land, das vor dem Völkerbund offiziellen Protest gegen den gewaltsamen Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich einlegte. Zum Gedenken an diesen Akt hat die Stadt Wien diesem Platz den Namen Mexiko-Platz verliehen.“

2008 errichtete der Künstler Marko Lulić auf dem Mexikoplatz ein temporäres Mahnmal. Ausgehend von der Inschrift auf dem Gedenkstein mit dem Hinweis auf den “gewaltsamen Anschluss” setzte sich dieses Mahnmal kritisch dem Mythos von Österreich als „erstem Opfer“ des Nationalsozialismus auseinander, in dem es in über drei Meter großen Zahlen „99,73“ auf die Zustimmung in Österreich in der Volksabstimmung im April 1938 verweist. Auch wenn diese Abstimmung nicht unter demokratischen Bedingungen durchgeführt wurde, verweist das Mahnmal auch auf die hohe Zustimmung in der Bevölkerung zur Vereinigung mit Deutschland und zu den Ideen des Nationalsozialismus bereits vor dem „Anschluss“.

Gedenkstein in Mexiko-Stadt von 2019

Darüber hinaus gibt es seit 2005 in der Wiener Donau-City die Isidro-Fabela-Promenade, deren Strassenschild eine Tafel mit erklärendem Text umfasst. 

In Mexiko-Stadt gibt es seit 2019 einen Gedenkstein mit Inschriftentafel auf einer kleinen Grünecke mitten in einer breiten Autokreuzung, wo sich der Paseo de la Reforma und Insurgentes kreuzen, in Nähe des mexikanischen Senats. Der Text auf der Tafel würdigt Mexikos offiziellen Protest gegen die Annexion Österreichs. Die Skulptur hat der österreichische Künstlers Mathias Hietz geschaffen und ist ein Geschenk Österreichs an Mexiko als Dank für den offiziellen Protest.

Das Thema im Unterricht

Schrifttafel auf dem Gedenkstein in Mexiko-Stadt

Der Protest Mexikos gegen den Anschluss ist mehr als ein historisches Randereignis. Er zeigt, dass auch Staaten, die nicht unmittelbar betroffen sind, moralische und völkerrechtliche Verantwortung übernehmen können. Für den Geschichtsunterricht bieten sich mehrere Lerngelegenheiten:

Quellenarbeit: Die Protestnote (Digitalisat im französischen Original und Transkript auf Deutsch) und zeitgenössische Reaktionen ermöglichen ein differenziertes Bild und betten den “Anschluss” in eine globalgeschichtliche Perspektive ein.

Erinnerungskultur: Die Straßenbenennungen und Gedenksteine in Wien und Mexiko zeigen, wie Geschichte in den öffentlichen Raum eingeprägt wird und wie Erinnerungspolitik und -kultur sich verändern. Die Orte in Wien bzw. Mexiko können auch Gegenstand von (virtuellen) Exkursionen und Erkundungen vor Ort sein.

Politische Ethik und Sanktionen: Der mexikanische Protest ist ein Beispiel, wie internationales Recht und multilaterale Institutionen gestärkt oder geschwächt werden, je nachdem wie Staaten handeln, und kann im Unterricht mit der Appeasement-Politik kontrastiert werden.

Zum Weiterlesen seien abschließend noch diese beiden online verfügbaren Artikel empfohlen:

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Österreicher im Exil. Mexiko
1938–1947 (2002), https://www.doew.at/cms/download/81056/mexiko_protest.pdf

Gerhard Hafner, A Swallow in Winter: The Mexican Protest in 1938 (2018), https://viennalawreview.com/index.php/vlr/article/view/121

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Erinnerung sichtbar machen: 80 Jahre Reichspogromnacht 2018. Ein Projekt für Schulklassen als Beitrag zur Erinnerungskultur

burning_synagoge_siegen_1938Ein kurzer Hinweis auf ein spannendes Projekt, das heute startet. Es ist zu wünschen, dass viele Schulen und Klassen sich daran beteiligen. Aus der Projektbeschreibung:

Schulklassen sollen angeregt werden, altes Bildmaterial zu Synagogen in ihrer Stadt zu recherchieren und in einer speziellen Datenbank zu publizieren, die den historischen Vergleich mit der heutigen Situation aus identischem Blickwinkel ermöglichen wird. Mit Hilfe der GPS-Koordinaten und mit Hilfe der augmented reality Technik auf dem Smartphone oder Tablet soll damit Geschichte vor Ort sichtbar und real erlebbar gemacht werden. Die Inhalte werden darüber hinaus über das Internet auch weltweit verfügbar sein. Zusätzlich zum Bildmaterial können pro Klassenprojekt Texte, Videos und Audiobeiträge erarbeitet und eingestellt werden. So könnten Schüler z. B. eventuell noch lebende Zeitzeugen oder deren direkte Nachkommen interviewen, daraus einen ‚Radio-‚ oder Youtube-Beitrag schneiden und diesen dem Projekt beifügen bzw. mit ihm verlinken. Auch die Archive der Städte und Gemeinden sowie der lokalen Zeitungen sollten aufschlussreiche Hinweise auf die damalige Zeit enthalten, die aufgearbeitet werden könnten.

Weitere Informationen und die komplette Ausschreibung unter: https://www.zum.de/kff/reichspogromnacht/

80 Jahre: Novemberpogrome 1938

zwei-zugc3a4ngeNachdem 2013 zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht das Twitter- und Blogprojekt 9nov38 mit breiter Außenwirkung gelaufen ist, ist nun mit 2018 bereits der 80. Jahrestag in Sichtweite. Karl-Friedrich Fischbach, Mitbegründer der ZUM, hat ein Projekt vorgeschlagen, das bereits im Januar 2017 starten soll und von der Zentrale für Unterrichtsmedien koordiniert werden wird.

Alle Schulen in Deutschland sind aufgerufen mitzumachen und vor Ort zu recherchieren, was aus den Synagogen im Schulort und gegebenenfalls in benachbarten Wohnorten der Schülerinnen und Schüler nach 1938 wurde. Quellen, insbesondere Bilder, sollen digitalisiert und dann in einer zentralen Datenbank erfasst werden, um sie anschließend für digital unterstützte Stadterkundungen in einer AR-App zur Verfügung zu stellen. Neben Quellen können aber auch selbst erstellte Fotos des heutigen Orts, Darstellungstexte, Umfragen, Interviews hinzugefügt werden. Hier bieten sich zahlreiche Möglichkeiten Projektarbeit vor Ort mit der Nutzung digitaler Medien (Aufnahme von Foto-, Video-, Audiodateien, Geodaten, Kartenarbeit, Online-Recherche usw.) zu verbinden. Die Idee ist, dass Schülerinnen und Schüler die Geschichte, Gegenwart und Erinnerung des Orts aufbereiten und für andere in digitaler Form zugänglich machen. Dabei wird das Projekt technisch professionell durch eine Kooperation mit Future History aus Freiburg unterstützt.

Der vollständige Projektvorschlag findet sich seit heute online im ZUM-Blog. Obwohl es schon zahlreiche Projekte zur Dokumentation der Synagogen und der Novemberpogrome gab, so hat dieses durch das Angebot eigenständiger, lokale Projektarbeit durch Schülergruppen noch einmal einen anderen Schwerpunkt und führt im Idealfall auch zu realen oder online gestützten Kooperationen zwischen Projektteams aus verschiedenen Schulen. Wenn viele Schule sich beteiligen, kann dies zudem auch zu einer einmalig umfangreichen Dokumentation führen, die auch die teilweise weniger gut dokumentierten, ländlichen Räume umfasst.

Auf jeden Fall hoffe ich auf eine breitere Beteiligung, als sie unserem Projekt zur jüdischen Geschichte am Mittelrhein und in Rheinhessen beschert war, wo trotz mehrfacher Aufrufe leider exakt niemand mitgemacht hat….

Der 9. November – „ein deutscher Schicksalstag“?

Angesichts des Datums überschlagen sich die Medien mit Nachrichten und Berichten zum historischen Datum. Auf den Internetseiten der Deutschen Welle findet sich ein bemerkenswert umotivierter und schlechter Artikel mit dem Titel Ein deutscher Schicksalstag, der auf die aufregend formulierte Banalität verweist, dass der 9. November „im historischen Kalender gleich mehrmals ein bedeutendes Datum“ war.

Das wird in jedem Geschichtsunterricht so gelehrt: 9.11. 1918, 1923, 1938 und 1989. „Schicksal“ klingt unheilvoll,  als wäre die Geschichte „der Deutschen“ von irgendwelchen höheren Mächten bestimmt. Hilfreicher wäre es auf die Zusammenhänge der Daten zu verweisen: 1923 hielt Kahr im Bürgerbräukeller in München eine Rede zum 5. Jahrestag der Revolution, 1938 versammelten sich die Nationalsozialisten zum Gedenken ihrer gefallenen „Helden“ von 1923. Die beiden Ereignisse stehen also in einem inneren Zusammenhang mit dem ersten. Der Mauerfall hat nichts mit der Revolution von 1918 zu tun. Also fallen zwei wichtige Ereignisse zufällig auf dasselbe Datum, das kann schon mal passieren. Mehr ist es aber auch nicht.

Das wäre im übrigen auch etwas, was man Schüler an geeigneten Materialien herausarbeiten lassen könnte.