Safer Internet Day 2015: Der Staat und die Daten – Material für den Einstieg in die Diskussion

Wer kommende Woche den Safer Internet Day 2015 zum Anlass nehmen möchte, um in Oberstufenkursen über Überwachung und Grundrechte, Sicherheit und Freiheit mit seinen Schülerinnen und Schülern zu diskutieren, findet hier einen kurzen Film von 3Sat, der sich mit historischem Bezug zu den Protesten gegen die Volkszählung 1983 gut als Einstieg in das Thema eignet:

 

Mit einem anderen Zugang ist „Lesen gegen Überwachung“ eine schöne Idee, um ins Gespräch über grundlegende Fragen von Umgang mit Daten und der Rolle von Wirtschaft und Staat in diesem Zusammenhang zu kommen. Die Veranstaltungsform als Lesung mit anschließender Diskussion lässt sich gut in die Schule übertragen, z.B. in dem ältere Schülerinnen und Schüler für jüngere Texte auswählen, diese vortragen und mit ihnen diskutieren.

Je nach Vorwissen, Zeit und Interesse der Schülerinnen und Schüler kann auch ein Vergleich mit der Stasi unternommen werden. Als Grundlage für die Diskussion eignen sich Auszüge aus dem Interview von Roland Jahn im tagesspiegel; als Einstieg eventuell die grafische Aufbereitung der Flächen der „Aktenschränke“ von Stasi und NSA auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung.

Bildnutzung in der Historiana

Historiana ist ein englischsprachiges Projekt des europäischen Geschichtslehrerverbandes euroclio und zum Selbstverständnis und Ziel des Projekts heißt es dort:

„Historiana™ – Your Portal to the Past is an on-line educational multimedia tool that offers students multi-perspective, cross-border and comparative historical sources to supplement their national history textbooks.“ (Zitat)

Zentral gesetzt werden also die angebotenen Materialien, besonders die Quellen, die ergänzend durch Lernende und Lehrer genutzt werden sollen. Als ich mir die Seite noch einmal angeschaut habe, ist mir ein merkwürdiger Umgang mit Bildquellen aufgefallen, der sich nach einer kurzen weiteren Recherche auf den Seite von Historiana nicht als einzelner Fehler, sondern als durchgängiges Fehlkonzept der Seite herausstellte.

Aufgefallen war mir zunächst auf den Seiten zum Kalten Krieg das folgende Porträtfoto von Karl Marx:

Marx portraitEs bedarf nicht viel Recherche, um festzustellen, dass es sich hierbei nur um einen Bildausschnitt handelt. Das Originalfoto von 1875 sieht so aus und findet sich im Wikipedia-Artikel zu Marx bzw. als Quelle in der Wikimedia:

421px-Karl_Marx_001Nicht nur, dass nicht vermerkt ist, dass es sich um einen Bildausschnitt handelt. Für Historiker ist das ein überaus zweifelhafter Umgang mit Quellen. Wer sich historisches Denken auf die Fahnen schreibt, darf so nicht mit Quellen umgehen.

Zudem wird das Bild, das in der Wikimedia unter Public Domain steht und damit frei weiter verwendet werden kann, in der Historiana mit einem Copyrightzeichen versehen (siehe Screenshot oben). Das hat nichts damit zu tun, dass sich das Projekt noch in Entwicklung befindet, sondern ist ein konzeptioneller Fehler, den im Nachhinein zu korrigieren unglaublich aufwendig ist. Gemeinfreie Werke als copyrightgeschützt auszugeben nennt man schlicht Copyfraud.

Die fehlerhafte Rechteangabe reduziert für Lernende wie für Lehrende völlig unnötig die Nutzung der dargebotenen Materialien, mit denen Weiterverwendung, Veränderung und Neuveröffentlichung möglich wäre, womit sich methodisch zahlreiche Möglichkeiten für Lernprozesse und -produkte ergäben, da jeder, der nicht weiter nachforscht oder sich nicht auskennt, mit der Copyright-Kennzeichnung von einer weiteren Nutzung abgehalten wird.

Es ist also nicht nur rechtlich falsch, es wird auch noch das Gegenteil von dem erreicht, was sich euroclio mit der Historiana vorgenommen hat. Dies ist ebenso bedauerlich wie unverständlich bei einem Projekt in dieser Größenordnung und mit dem vorgetragenen Anspruch.

Dass dies kein Einzelfall ist, zeigt der zufällig gewählte Blick auf weitere Bildquellen. Im Kontext zu polnischen „Adelsrepublik“ der Frühen Neuzeit wird auf die Attische Demokratie verwiesen und zur Illustration ein Bild der Pnyx gezeigt.

pnyx source

Auch hier findet sich mit Klick auf den kleinen, grünen i-Punkt zunächst das Copyright-Zeichen. Beim weiterführenden Klick, um das Bild „als Quelle anzeigen“ zu lassen, erhält man die Seite des obigen Screenshots, der nicht ungeschickt abgeschnitten ist, sondern es folgen tatsächlich keinerlei Informationen zum Bild.

Die Quelle des Bildes ist hingegen schnell identifiziert: Es handelt sich wiederum um die Wikimedia, wo das Bild vom Nutzer Qwqchris unter CC-BY-SA 3.0 Lizenz eingestellt wurde. Das Bild darf also weiterverwendet, auch verändert werden, der Autor muss jedoch genannt werden. Das unterbleibt in der Historiana und ist damit eine klare Lizenzverletzung.

800px-Pnyx-berg2Auch didaktisch erschließt darüber der Sinn dieses Bildes bei dem Artikel nur bedingt. Was können/sollen Lernende an oder mit dem Bild hier lernen? Über eine rein illustrative Funktion geht es nicht hinaus. Das ist allerdings auch in vielen Schulbüchern so. Bei dem gewählten Thema zu Polen hätte man aber auch bei der weit angesetzten Kontextualisierung andere Abbildungen wählen können.

Über Bildquellen hinaus sieht es bei der Verwendung von Karten (finden sich unter „Quellen“ auch separat zugänglich) ähnlich aus. Ein Beispiel aus dem Kontext der polnischen Geschichte: Es geht um eine Karte zu polnischsprachigen Gebieten um 1900, also in einer Zeit, in der es keinen polnischen Staat gab. Für die Historiana hat sich euroclio entschieden ausschließlich auf Englisch zu arbeiten. Überraschend ist nun, dass die verwendete Karte vollständig auf Deutsch beschriftet ist.

Es stellt sich die Frage, was Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler – sagen wir mal in Finnland oder Malta – , die die englischsprachige Historiana nutzen wollen, mit einer deutschsprachigen Karte anfangen können. Es wäre weniger ein Problem das Material zu nutzen, wenn zumindest die Legende entsprechend übersetzt wäre.

Auch wird wiederum das Material mit einem Copyrightzeichen „geschützt“. Die Verwendung einer deutschsprachigen Karte in einem englischen Beitrag deutet daraufhin, dass die Karte nicht extra für den Beitrag in der Historiana erstellt, sondern aus einem anderen Kontext entnommen wurde. Es fehlt jedoch jegliche Angabe zu Autor oder Herkunft der Karte.

Solange mit Quellen und Nachweisen in dieser Form in der Historiana umgegangen wird, kann man niemandem ernsthaft empfehlen, das Angebot im Geschichtsunterricht einzusetzen.

 

Von wegen langweilig! Zum Einsatz offener Bildungsmaterialien im Geschichtsunterricht

Im Rahmen der 2. OER-Konferenz dieses Wochenende in Berlin ist auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung ein Dossier zum Thema online gegangen. Im Vorfeld durfte ich für das Dossier in einem Interview ein wenig über meine Erfahrungen berichten. Das Interview steht unter CC-BY-SA 3.0 Lizenz und kann deshalb auch hier im Blog eingestellt werden. Meine Eindrücke von der für mich sehr anregenden Tagung folgen die nächsten Tage.

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Jaana Müller: Sie bloggen schon seit fünf Jahren über Ihre Arbeit als Lehrer und den Einsatz neuer Medien im Geschichtsunterricht, von Apps über Unterrichtseinheiten für Interaktive Whiteboards bis hin zu freien Bildungsmaterialien. Was lässt Sie so eifrig daran arbeiten, die Möglichkeiten neuer Medien zu testen und zu verbreiten?

Daniel Bernsen: Ausgangspunkt war meine Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschichtsunterricht. Einige Schüler, die mich sowohl in meinem zweiten Fach Französisch wie in Geschichte ertragen mussten, sagten mir irgendwann, dass Französisch viel mehr Spaß mache, Geschichte hingegen langweilig sei… Das läge aber nicht an mir als Lehrer, sondern das sei einfach so.

Geschichte langweilig? Das saß und machte mich wirklich nachdenklich, weil Geschichte für mich immer schon eine spannende Angelegenheit und aus meiner Perspektive auch mein „Haupt“-Fach war. In der Folge begann die Suche nach alternativen Formen des Geschichtsunterrichts, im Vergleich zu dem, was ich im Referendariat gelernt hatte.

Um diese Suche und das Ausprobieren von Neuem zu dokumentieren, aber auch um Anregungen und Feedback von außerhalb des Klassenraums zu bekommen, habe ich angefangen, darüber zu bloggen. Natürlich ist die Arbeitsbelastung als Lehrer sehr hoch. Die eigene Arbeit zu reflektieren, ist dennoch zentral. Zu bloggen ist für mich eine Form, genau dies zu tun. Letztendlich funktioniert der Austausch über den Unterricht in Blogs oder über soziale Netzwerke wie Twitter ähnlich wie im Lehrerzimmer, nur dass man den Kreis der Austauschpartner deutlich erweitert und damit auch für vielleicht ungewöhnliche und neue Themen weitere Gesprächspartner und Experten findet.

Warum sind freie Bildungsmaterialien in diesem Kontext ein wichtiges Thema?

Zum einen sehe ich die Arbeitserleichterungen für die Kollegen, die mit bearbeitbaren Dokumenten schneller eigene Materialien erstellen oder die vorhandenen besser an ihren Unterricht anpassen können. Darüber hinaus finde ich OER in einer globalen Perspektive im Sinne der UNESCO wichtig, da durch OER Bildung gerechter werden kann und neue Chancen eröffnet werden können. Das geschieht durch den einfachen und günstigen oder gar kostenfreien Zugang, weitgehend unabhängig von Geburts- oder Wohnort.

Die Projekte der UNESCO in diesem Bereich, die freie Bildungsmateralien mit mobilen Endgeräten koppeln, finde ich beeindruckend und wegweisend. An Orten, an denen bisher keine Bibliotheken aufgebaut werden konnten, haben die Menschen nun über ein Smartphone Zugang zur ganzen Welt; ein Zugang, der weit mehr ist als die oft zitierte „Bibliothek in der Hosentasche“.

Gilt das auch für Deutschland?

Ja, OER können helfen, infrastrukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Bereichen auszugleichen, etwa in Bezug auf die Ausstattung und Versorgung mit Bibliotheken oder anderen Einrichtungen. Sind die Materialien zudem kostenlos verfügbar, gilt dies potentiell auch für den Ausgleich sozialer Unterschiede, was die Lernvoraussetzungen und Zugänge zu Materialien und Informationen angeht.

Für das deutsche Schulwesen haben OER für mich zunächst ihre Berechtigung neben den Angeboten der Schulbuchverlage. Ich sehe das Verhältnis von beiden auch weniger konfrontativ als vielmehr komplementär. Für das Verhältnis von OER und Schulbuchverlagen könnte ich mir eine ähnliche Entwicklung wie bei Open Source- und proprietärer Software vorstellen: Beide werden sich weiterentwickeln und verändern, aber ihre Berechtigung mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen dennoch behalten und in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis zueinander stehen.

Sie haben auf Ihrem Blog und weiteren Portalen über ihre Erfahrungen mit freien Bildungsmaterialien im Geschichtsunterricht berichtet. Warum haben Sie sich diesem Thema angenommen?

Um sich die Bedeutung und das Potential von OER für die einzelne Lehrkraft klarzumachen, muss man sich nur die Entwicklung der letzten zehn Jahre anschauen: Als ich als Referendar in der Schule angefangen habe, gab es in den Lehrerzimmern der Schulen manchmal Aktenordner einzelner Fachschaften, in die einige Kollegen ihre selbst erstellen Unterrichtsmaterialien, vor allem Arbeitsblätter, zum Nutzen für alle eingestellt hatten. Ich habe mehrfach erlebt, dass solche Initiativen schnell im Sand verlaufen sind, weil die Beteiligung gering war.

Nun sieht das anders aus: Wenn ich als Lehrkraft Materialien erstelle, kann ich sie selbst einer viel größeren Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und habe zugleich auch Zugriff auf die Angebote von viel mehr Kollegen. OER mit den PD- oder CC-Lizenzen bieten mir dabei eine Orientierung, was Formate und Rechtsrahmen angeht. Außerdem helfen entsprechende Netzwerke oder Plattformen wie z.B. das ZUM-Wiki bei der Verbreitung wie beim Auffinden in den „unendlichen Weiten“ des Internets.

Ein Problem ist allerdings, dass viele Kollegen gute Materialien herstellen, dafür allerdings urheberrechtlich geschützte Elemente (z.B. Fotos) verwenden. Deswegen können sie diese nicht öffentlich teilen. Oder sie sind sich nicht sicher, ob ihre Materialien „sauber“ sind und verzichten dann aus rechtlicher Unsicherheit auf eine Weitergabe und Veröffentlichung.

Kann jeder einfach so freie Bildungsmaterialien im Schulkontext einsetzen? Wann ist das sinnvoll und was müssen Lehrende dafür wissen?

Ja, klar. Jeder kann die Materialien einsetzen, die didaktisch und methodisch sinnvoll erscheinen. Ebenso wie freie Bildungsmaterialien dürfen Lehrkräfte ja auch in begrenztem Maß Kopien aus anderen Schulbüchern ergänzend im Unterricht einsetzen.

Ergänzende Materialien machen jederzeit Sinn, zum Beispiel als methodische Alternativen, Aktualisierungen oder Anregungen sowie insbesondere für die Öffnung des Unterrichts und eine Individualisierung des schulischen Lernens. OER bilden hier einen Teil der notwendigen Infrastruktur, verbunden mit der Möglichkeit, diese Materialien als Lehrender selbst zu bearbeiten und anpassen zu können, ohne jeweils das Rad neu erfinden zu müssen. Auch Lernende können die Materialien zur Erstellung von Lernprodukten nutzen.

Speziell für Geschichte bieten die Wikimedia Commons, die Europeana-Sammlungen u.a. sowie die seit einigen Jahren entstehenden Videoportale riesige Mengen von Quellen und Darstellungen, mit denen eigene Lernmaterialien von Lehrenden wie von Lernenden produziert werden können. Die Formen können dabei ganz unterschiedlich sein (von einer kompletten Unterrichtsreihe zum Alten Ägypten, entstanden im Rahmen eines Landesprojekts zum Thema Heterogenität und Differenzierung im Fachunterricht am Gymnasium bis hin zu Videos auf Youtube).

Diese Materialien können benutzt, verändert, neu zusammengestellt und weitergegeben werden. So werden sehr vielfältige Zugänge angeboten und die Resonanz der Lernenden auf diese Angebote ist trotz der z.T. wenig professionellen Umsetzung, sehr gut. Und das weit über den eigenen Klassenraum hinaus.

Es wirkt so, als müsse man erst einmal im Thema sein, um zu wissen, wo man freie Bildungsmaterialien finden kann. Wie könnte eine Lösung dieses Problems aussehen?

Tatsächlich erscheint mir die Auffindbarkeit der vielen dezentralen Angebote als ein zentrales Problemfeld. Landeslösungen sind sinnvoll in Bezug auf den Erwerb von Lizenzen für geschütztes Material; für das Sammeln und Bereitstellen von freien Materialien weniger, weil diese nicht landesspezifisch sind und zudem einen hohen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordern.

Ein OER-Portal könnte ähnlich aufgebaut sein wie z.B. chefkoch.de: Die Nutzer stellen ihre Materialien zur Verfügung, gesucht wird nach Bewertung, einzelnen Zutaten, redaktionellen Beiträgen oder gezielt nach Rezepten. Auch wenn es natürlich kein „Rezept für guten Unterricht“ gibt und die Metapher keineswegs neu ist, kann sie dennoch als Denkkonzept hilfreich sein, um ein OER-Portalangebot für Lehrende und Lernende (!) möglichst benutzerfreundlich und nicht zu komplex werden zu lassen.

Da die Nutzer aber bei OER nicht nur eigene Rezepte hochladen, sondern auch noch die Zutaten mitliefern, müssen Lehrkräfte einen grundlegenden Überblick über Lizenzmodelle und Nutzungsbedingungen haben. Es ist allerdings ebenso realistisch wie wenig dramatisch, von einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Material-„Produzenten“ auszugehen und einer Mehrheit, die die Angebote nur als Rezipienten nutzt. Das ist bei Kochrezepten nicht anders.

Und was ist mit den Schülern? Sie betonen, dass Portalangebote auch für Lernende ausgelegt sein sollten. Wie können sie davon profitieren, dass so etwas wie eine OER-Bewegung entsteht?

Schüler können von OER in mehrfacher Hinsicht profitieren, z.B. für ihr eigenes, selbst organisiertes Lernen, ob nun im Rahmen von Schule oder darüber hinaus. Mit der Verbreitung von OER sind mehr geeignete Materialien auf einfache Weise und kostenfrei zugänglich. Die Kostenfreiheit ist im Übrigens ein kontrovers diskutiertes Merkmal von OER, aber zutreffend für die große Mehrheit der. Die Schüler können außerdem selbst Lernmaterialien für Mitschüler erstellen und diese publizieren. Eine schöne Möglichkeit dazu bieten z.B. die learningapps. Im Unterricht habe ich diese bisher fast ausschließlich dazu verwendet, dass Schüler zum Abschluss eines Themas oder wiederholend eigene Übungen für den Rest der Klasse erstellen, die aber zugleich auch darüber hinaus online für andere Lerngruppen zur Verfügung stehen. Das Erstellen von konkreten Produkten, die zudem genutzt und veröffentlicht werden, kann sehr motivierend sein und ist für die vertiefte Auseinandersetzung mit einem Gegenstand auf jeden Fall gewinnbringend.

Wie sähe Ihre Wunschvision zur Zukunft freier Bildungsmaterialien aus? Was müssen Entscheider, Materialproduzenten, Berichterstatter und Co. ändern, um das Thema mit den Lehrern und nicht an ihnen vorbei zu diskutieren?

Statt einer vagen Vision möchte ich ein konkretes Beispiel aufzeigen, in dem ich ein hohes Potential für OER sehe: In den Bundesländern gibt es verschiedene Institute der Lehrerfort- und weiterbildung. Dort werden regelmäßig Handreichungen von Unterrichtsmaterialien erarbeitet. Diese entstehen in der Dienstzeit durch Mitarbeiter der Institute sowie durch Lehrkräfte in entsprechenden Arbeitsgruppen. Sehr lange wurden diese Publikationen ausschließlich gedruckt an die Schulen verteilt. Mittlerweile werden sie teilweise auch als PDF online zur Verfügung gestellt.

Selbst das geschieht nur teilweise: Das Problem dabei ist, dass auch hier mit geschützten Materialien gearbeitet wird und die Institute die entsprechenden Lizenzen für die eigenen Veröffentlichungen erwerben muss. Im Printbereich ist das möglich. Die Rechte für eine Online-Veröffentlichung sind aber oft zu teuer.

Wie wäre es nun, wenn zunächst einmal für solche Handreichungen das Ziel gesetzt wird, dass diese als OER online veröffentlicht werden und damit vor allem ubiquitär in einem veränderbaren Format verfügbar sind? Wäre die Erstellung von Materialien als OER in den Ländern die Regel, müsste dort nicht mehr bei der einzelnen Handreichung eine gesonderte Klärung stattfinden, sondern OER wäre der Normalfall und die Abweichung davon müsste begründet werden. Dazu ist allerdings ein Umdenken notwendig, sowohl bei den Enscheidern in den Instituten und Ministerien als auch bei den Erstellern der Materialien.

Würden die vielen Handreichungen, die in den Ländern entstehen, den Kollegen nicht nur in gedruckter Form oder als PDF, sondern als bearbeitbare Dateien zur Verfügung stehen, wäre deren Nutzen um ein Vielfaches höher, da die Materialien und Aufgaben sehr einfach an die eigene Schulart, Altersstufe und Lerngruppe angepasst werden könnten. Es sollte nicht unbedingt Ziel, könnte aber ein positiver Nebeneffekt sein, dass auch die Produktion für die Länder kostengünstiger werden könnte, weil man auf die Printversion vielleicht ganz verzichtet und keine Rechte für einzelne Materialien mehr erwerben muss. Die Landesinstitute besitzen seit Jahrzehnten viel Erfahrung darin, professionell Unterrichtsmaterialien zu produzieren. Kommerzielles Interesse verfolgen die Länder mit ihren Angeboten sowieso nicht. Insofern besteht hier ein hohes Potential für den OER-Ansatz.

Twitter im Geschichtsuntericht: Virtuelles Reenactment oder kreatives Schreiben von Geschichte(n) im Netz

Ehrlich gesagt, verwundert mich das Interesse und die Debatte über die Nutzung von Twitter in der Schule.  Wenn man mal die Bedeutung digitaler Medien, besonders von Twitter, in verschiedenen Aufständen und Revolutionen im Iran und im arabischen Frühling beiseite lässt, so ist doch die Bedeutung als Nachrichtenkanal beim Durchzappen durch verschiedene Fernsehkanäle sofort evident. Tweets haben selbst mitlerweile Nachrichtenwert oder dienen als Bild-Belege in Nachrichtensendungen. So zuletzt gesehen in den Heute-Nachrichten auf dem ZDF, wo die Aussage, dass die internationalen Schauspielerkollegen um Philip Seymour Hoffman trauen, visuell mit Bildern von Tweets gestützt wurde. Allgegenwärtig und meines Erachtens reichlich nervig ist der Versuch „Stimmungen“ des Publikums über das Vorlesen von Tweets während Livesendungen einzufangen.

Auch im Wissenschaftsbereich findet sich zahlreiche Experimente bei Konferenzen und öffentlichen Debatten über digitale Medien Rückanäle für Fragen und eine Partizipation des Publikums besonders bei Livestreams von dem jeweiligen Empfangsgerät aus einzubinden. Auch hier spielt Twitter eine wesentliche Rolle (siehe z.B. History@Debate – Europa1914. Schlafwandler oder Brandstifter? vom 24.1.2014).

Man könnte also durchaus sagen, ob sie das nun selbst nutzen oder nicht, ist es für Jugendliche relevant für das Verständnis und Einordnen von Nachrichten sowie als eine Partizipationsmöglichkeit Twitter zu kennen, die Funktionsweise zu verstehen und ggf. selbst nutzen zu können. Twitter ist gegenwärtig ein wichtiger Teil unserer medialen Lebenswelt, und daher wichtig zu verstehen, was es ist und wie es funktioniert.

Nachdem verschiedene Geschichtsprojekte auf Twitter nicht nur viel Aufmerksamkeit erhalten haben (besonders @9Nov38), sondern zum Teil auch kontrovers diskutiert wurden (z.B. @1914 im Blog von Moritz Hoffmann), folgen hier noch einmal ein paar Gedanken zur Arbeit mit der Methode ¨virtuelles Reenactment¨ im schulischen Geschichtsunterricht.

Im Kern handelt es sich bei solchen Projekten im Geschichtsunterricht (siehe z.B. hier) um alternative Formen des kreativen Schreibens. Dazu gibt es für den Geschichtsunterricht eine Reihe von Veröffentlichungen und Unterrichtsvorschläge (u.a.Memminger 2007; Geschichte lernen 4/2009). Dabei geht es nicht um das für historisches Lernen in der Tat problematische Nachfühlen oder Nacherleben des realer Reenactment-Versuche, sondern um quellenbasierte Perspektivübernahmen.

Im Unterricht, besonders der jüngeren Klassen, sind diese Formen des kreativen Schreibens von Tagebucheinträgen, Briefen, Reden usw. schon länger angekommen und etabliert. Die Übernahme historischer Rollen, das Schreiben und Publizieren in sozialen Netzwerken oder in Blogs ist zunächst einmal nur eine andere Art kreativen Schreibens. Sie bietet allerdings durch z.B. das Hinzufügen von Fotos, Audio- oder Videodateien sowie die Möglichkeiten der Interaktion zwischen verschiedenen Akteuren zugleich auch erweiterte Darstellungs- und Ausdrucksformen.

Die Spannbreite möglicher Ansätze reicht dabei von einem sehr quellennahen, nacherzählend-zusammenfassenden Schreiben und damit von einem vergleichsweise niedrigen Anforderungsniveau, das aber dennoch helfen kann das Verständnis von Quelleninhalten und Zusammenhängen zu verstehen, bis hin zu relativ freien Formen der Auseinandersetzung. Bei letzteren können sowohl Quellen wie Darstellungen Grundlage der Einarbeitung in die Rolle sein. Zentral ist die parallele oder anschließende Reflexion und Begründung, inwieweit die verfassten Erzählungen historisch triftig und plausibel ist.

Eine Gefahr besteht bei diesem Ansatz in der Fokussierung auf historische Personen, die Gefahr läuft einem personalisierten Geschichtsverständnis Vorschub zu leisten und historische Prozesse wieder auf die Geschichte ¨großer Männer¨ zu reduzieren. Dem ist jedoch mit einer entsprechenden Vorbereitung und Einbettung der Projekte im Unterricht leicht entgegenzuwirken.

Warum die Revolution des Lernens mit digitalen Medien ein offener Prozess ist

Jöran wollte mit seinem Beitrag provozieren. Das ist ihm auch gelungen. Mit der bewusst einseitigen Darstellung hat er eine hohe Aufmerksamkeit erreicht. Das Video des Vortrags dreht entsprechende virale Runden in den sozialen Netzwerken.

Der Vortrag ist hörenswert. Grundsätzlich stimme ich ihm in den wesentlichen Punkten zu. Die Arbeit mit digitalen Medien wird immer wieder in Schulen und Universitäten genutzt, um das bisherige Lernen in anderer Form abzubilden und vermeintlich „effektiver“ zu machen; oft wird es dadurch aber keineswegs besser, oft ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Die Berichte sind Legende von Lernplattformen voller PDF Dokumente, die niemand lesen kann und auch niemand in diesem Umfang in analoger Kopie zur Verfügung gestellt hätte.

Die positiven Tendenzen lässt Jören (absichtlich) weg. Das kann man machen. Damit erreicht er eine Fokussierung auf problematische Entwicklungen, die hoffentlich breiter diskutiert werden. Aus Sicht eines Geschichtslehrers würde ich aber gerne noch ein paar Gedanken zum verwendeten Revolutionsbegriff verlieren.

Zum Revolutionsbegriff äußert Jöran sich nicht weiter. Dieser ist letztlich nur ein Schlagwort, das er widerlegt bzw. an dem er versucht das Scheitern von grundlegenden Veränderungen aufzuzeigen. Aus historischer Sicht, würde ich sagen, hat er eben nur einen unklaren Revolutionsbegriff (ein Schlagwort eben), was wir erleben, ist nicht vergleichbar mit einer politischen Revolution (schnell, gewaltsam, wie z.B. der Französischen), sondern gesellschaftlichen Prozessen, die sich in Analogie auch als Revolution bezeichnen lassen, wie z.B. die Industrielle. Wenn man sich die Entwicklung unter diesem Blickwinkel anschaut, dann kann von „Scheitern“ kaum gesprochen werden. Vielmehr findet sich dieselbe Uneindeutigkeit einer vergleichweise schnellen Entwicklung mit tiefgreifenden Veränderungen heute wie in der Industriellen Revolution. Historisch basiert unser Wohlstand wesentlich auf den Prozessen und Veränderungen der Industrialisierung, die aber mit zahlreichen negativen Erfahrungen vor allem in der Frühzeit wie hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, Ausbeutung, neue Abhängigkeiten usw. einherging.

In eine ähnliche Richtung geht auch die Diskussion rund um den Beitrag von „Deutschlands bekanntestem Internet-Experten“ Sascha Lobo, dessen Kernbotschaft „Das Internet ist kaputt.“ auch von der überregionalen Presse (u.a. FAZ, Focus, Welt) aufgegriffen und verbreitet wurde und mittlerweile einige Erwiderungen (u.a. netzwertig, taz, mspro, schmalenstroer.net) erfahren hat.

Ehrlich gesagt wundert mich die geäußerte Naivität, der offensichtlich zerbrochene Traum, dass eine – mal abstrakt formuliert – technische Entwicklung die Welt quasi automatisch besser machen soll. Das hat doch nicht wirklich jemand geglaubt, dass das von alleine passiert? Nur weil ich Wahlurne aufstelle und Stimmzettel verteile, habe ich doch auch noch keine Demokratie. Genauso wie es angesichts der Veränderungen im Laufe der Industrialisierung gesellschaftliche Aushandlungen und regulierende Eingriffe gegeben hat, sind diese heute nötig. Dafür ist Politik da (nicht nur die Politiker!), um gesellschaftliche Entwicklung zu gestalten.

Es geht also um Gestaltung, das Erkennen der Chancen, das Nutzen der Möglichkeiten, wie auch das Reduzieren und Bannen von Gefahren und Fehlentwicklungen. Und da sind wir auch wieder im Bildungsbereich. Auch hier entstehen Veränderungen auf Ebene von Unterricht und Institution nicht von alleine. Es gibt sogar gute Gründe anzunehmen, dass Schule als System besonders veränderungsresistent ist. Nur weil es neue Technik gibt, wird dadurch weder das Lernen noch die Schule besser. Auch ein paar gelungene Beispiele und überzeugende Ideen machen noch keine Bildungsrevolution. Revolutionen in diesem Sinne sind lange Prozesse, mit Vor- und Rückschritten, die meist nur rückblickend als solche erkannt werden, mit gelungenen, steckengebliebenen und ganz gescheiterten Initiativen. Die Frage des Erfolgs oder Scheiterns hängt in der Regel weniger mit der Qualität der dahinterstehenden Ideen oder der Leistung der Personen zusammen als schlicht mit den jeweils momentan wirksamen Rahmenbedingungen. Es gibt keinen Automatismus der Weltverbesserung. Wir sind mitten in einer Entwicklung, die man als Digitalisierung, digitalen Wandel oder digitale Revolution bezeichnen kann, ohne dass wir den Ausgang vorhersehen könnten.

Unsere Enkel werden entscheiden, ob das was wir gerade erleben, eine Revolution war und ob diese gelungen oder gescheitert ist.

Du-entscheidest-selbst-Videos

Das Projekt ist schon etwas älter, ich bin aber erst heute über einen Tweet von Russel Tarr (@activehistory auf Twitter) darauf aufmerksam geworden. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an die Du-entscheidest-selbst-Bücher – Abenteuerromane, wo man je nachdem, für welche Reaktion des Helden man sich entschied, auf einer anderen Seite weiterlesen musste.

Ein ähnliches Prinzip hat ein Geschichtslehrer auf selbst erstellte Videos auf Youtube übertragen. Das Prinzip bietet über das spielerische Element zusätzliche Motivation für den Zuschauer, wenn die Schüler die Videos selbst erstellen, zudem allgemeine Medienkompetenz (Filmtechnik, Bildbearbeitung, Urheberrecht etc.) über die praktische Arbeit und speziell für historisches Lernen Förderung der narrativen Kompetenz.

Wie man solche Videofolgen erstellt, erklärt Greg Kulowiec in dem Videotutorial unten anschaulich selbst (siehe unten). Einen ausführlichen Bericht über das spannende Schülerprojekt zu Revolutionen (der Französischen und den arabischen) findet sich im seinem Blog. Hiflreich ist auch der Überblick zu Projektplanung. Die Lektüre sei empfohlen: eine sehr anregende Idee für die eigene Praxis!

Workshop: Zeitzeugen und historisches Lernen

Vorab stelle ich hier die Präsentation und Linkliste für den Workshop nächste Woche zur Verfügung und Diskussion. Anregungen und Kritik sind willkommen. Der Workshop kann dadurch nur besser werden.

 

Zum Workshop habe ich als Handout eine Auswahl von Adressen, Links und Literaturtipps als Dokument auf einem Titanpad eingerichtet, das auch bearbeitet und ergänzt werden kann.

Qualitätscheck von Wikipedia-Artikeln

Es ist kein Zufall, dass ich hiermit schon der zweite Artikel diese Woche zur Wikipedia in diesem Blog findet. Der 12er-Leistungskurs Geschichte entwickelt gerade ein „Wikipedia-Unterrichtsmodul“ am Beispiel des Themenbereichs Industralisierung und Soziale Frage für die 9. Klasse. Wie erfolgreich Idee und Umsetzung sein werden, wird sich zeigen. Die Arbeit ist auf jeden Fall bislang interessant und anregend.

Aus den gemeinsamen Diskussionen habe ich versucht ein kleines Schema zu entwickeln, das sicher noch verbesserungsdürftig ist, aber wesentliche Aspekte bereits veranschaulicht. Die Idee von Blogs ist ja durchaus auch Zwischenergebnisse bereits öffentlich zu machen und zur Diskussion zu stellen. Kritik und Anregungen sind also sehr willkommen. Die Darstellung kann dadurch nur besser werden.

Vergrößerung durch Klick auf die Abbildung

Verwendete Literatur/Links:

Christia Staas, Je umstrittener, desto besser. Was taugen die Geschichtsartikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia? Ein Gespräch mit dem Historiker Peter Haber, in: DIE ZEIT, 08.07.2010 Nr. 28, online: http://www.zeit.de/2010/28/Wikipedia-Daten/komplettansicht

Wikibu, http://wikibu.ch/about.php

Thomas Emden-Weinert, Wikipedia und Wahrheit. Quellen für eine Quellenkritik, http://wikipedia-quellenkritik.de/2-Quellenangaben_zur_Quellenkritik/index.html

Bedeutung der Wikipedia für Schüler

Anbei nur eine kleine Beobachtung aus dem laufenden Unterricht: Die Schülerinnen und Schüler der 7. Klasse hatten letzte Woche den Auftrag, zur römischen Geschichte allgemein und zur Rheinland-Pfalz und Koblenz speziell Internetseiten zu suchen und auf der gemeinsamen Lernplattform abzuspeichern. Weitere Vorgaben habe ich absichtlich nicht gemacht. Wir hatten im Vorfeld auch nicht über Suchstrategien oder Qualitätsmerkmale von Internetseiten gesprochen. Ich wollte mal sehen, welche Seiten von den Lernenden gefunden und für so gut befunden werden, dass sie für alle gespeichert und bereitgestellt werden.

Das Ergebnis ist – für die meisten Leser – vermutlich wenig überraschend: (Fast) Alle Links führten zur Wikipedia. Es gab nur zwei Ausnahmen: Eine Diskussion auf gutefrage.net sowie ein Link zur Seite roemische-kaiser.

Das heißt auch (vielleicht gerade?) jüngere Schüler greifen zunächst, vor allem und oft  offensichtlich auch ausschließlich auf die Wikipedia als Nachschlage- und Recherchewerk zurück. Dass viele Artikel dabei viel zu detailliert und komplex und dadurch für viele Schüler weitgehend unverständlich sind, ist nur eines der Probleme.

Für jüngere Schüler besonders geeignete Seiten, wie z.B. Planet Wissen oder Was ist was? werden gar nicht „gefunden“ bzw. aufgerufen und benutzt.

Die Konsequenzen sind nicht neu, die Beobachtung bestätigt eher bereits Bekanntes: (Geschichts-) Lehrer dürfen nicht von einem naiven Begriff von „digital natives“ ausgehen, sondern müssen altersgerechte Alternativen zur Information im Netz aufzeigen. Die Schülerinnen und Schüler müssen das Recherchieren im Internet lernen ebenso wie den Umgang  mit der Wikipedia (Reichweite, Grenzen, Hilfen). Fachspezifische Zugänge müssen dabei berücksichtigt. Nicht zuletzt deshalb muss dies Teil des Fachunterrichts sein.

Das schrittweise Erlernen von  „Informationskompetenz“  muss möglichst früh ansetzen und darf nicht nur an einen Kurs zur informationstechnischen Grundbildung, der vielleicht auch erst in der Klasse 8 oder 9 erfolgt, abgegeben werden, sondern gehört integrativ, in einem spiralförmigen Aufbau mit Wiederholungen und Vertiefungen als Querschnittsaufgabe in alle Fächer.

Schule im digitalen Zeitalter – Zum #speedlab2

Vorne weg ein Dankschön an die Organisatoren für den weitgehend gelungenen Rahmen zum anregenden Austausch mit interessanten Menschen. Wer sich fragt, was überhaupt ein Speedlab ist und wer das wo organisiert hat, kann das auf den Seiten von werkstatt.bpb.de nachlesen. Dort ist die „Mikrokonferenz“ auch ausführlich dokumentiert.

Auf dem Heimweg von Köln sind mir noch einige Sachen durch den Kopf gegangen, die ich völlig ins Unreine versuche durch das Niederschreiben zugleich zu ordnen und auszulagern.

Zuhause habe ich dann auch noch den (nicht ausgefüllten) Feedbackbogen in meiner Tasche gefunden, vielleicht geht der Beitrag dann hier auch als nachträgliche Rückmeldung zur Veranstaltung durch.

Zunächst war ich gespannt auf das für mich neue Format „Speedlab“. Es hat mich in vielem an ein World Café erinnert. Das Speedlab war mir aber über den Tag, ehrlich gesagt, zu laut, zu wuselig, was vielleicht auch an dem offenen Raum gelegen haben mag. Dieser war zwar schön, aber mir, und da war ich sicher nicht der einzige, dröhnte am Nachmittag schlicht der Kopf. Persönlich interessant fand ich bei der Veranstaltung viele Leute, die ich bisher nur über ihre Beiträge von Twitter oder ihren Blogs kannte, als Referenten oder Teilnehmer live und in 3D zu erleben. Das ist schon immer noch einmal etwas anderes.

Insgesamt hat die Veranstaltung bei mir einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen. Es wurden teilweise durchaus kontrovers, laut und emotional diskutiert. Oft allerdings an der Oberfläche oder wie zum Teil auf dem Podium auch schlicht aneinander vorbei. Was ich von dem Tag mitnehme, ist wenig Neues und viel Bestätigung eigener Ansichten. Es stimmt schon, dass solche Veranstaltungen auch ein Echoraum sein können, der die eigene Meinung unter „Gleichgesinnten“ positiv verstärkt.

Ein paar dieser neuen und bestätigten Gedanken will ich als Thesen kurz zusammenfassen und, sofern nicht eh altbekannter Konsens, damit natürlich auch zur Diskussion stellen. Außerschulische Bildung ist natürlich auch wichtig, kam aber auf der Veranstaltung eher am Rande vor und da ich Lehrer bin, beschränke ich mich auf den Bereich der Schule:

– Es gibt eine wachsende Kluft zwischen einer veränderten und sich weiter verändernden Gesellschaft (und damit auch Lebenswelt der Lernenden sowie der Arbeitswelt) und einer sehr trägen Institution Schule. Problematisch finde ich allerdings, die auch heute wiederholt gehörte Formulierung bisher sei aller Unterricht „schlecht“, „öd“, „fad“, „langweilig“ gewesen (alles heute auf dem Podium heute ernsthaft so geäußert). Das ist schlicht falsch und führt nicht weiter. Viele Kollegen fühlen sich damit zu Recht angegangen, ungerecht und falsch beurteilt und verschanzen sich, wie zu erwarten, in einer Abwehr- und Verteidigungshaltung. Richtig ist hingegen, dass die Digitalisierung unsere Gesellschaft durchdringt und verändert (dazu kommen noch ein ganze Reihe anderer Faktoren, die zu grundlegenden Veränderungen führen) und dem kann sich Schule nicht versperren, will sie nicht ihre grundlegenden Aufgaben verfehlen. Aber nochmal: Das heißt nicht, dass bisher alles schlecht gewesen wäre, sondern nur dass die bisherigen Konzepte von schulischen Lernen nicht mehr zur Realität unserer heutigen Welt passen.

– Es ist deutlich zu trennen zwischen der Ebene des Unterrichts und der des Systems Schule. Auf der Unterrichtsebene lässt sich vieles verändern. Das zeigen die vielen Beispiele von Edu-Hackern, -Bloggern, Bildungsaktivisten und wie sich der einzelne auch selbst gerne bezeichnen mag. Die Möglichkeiten zu Veränderung stoßen aber systembedingt an Grenzen. Felix Schaumburg hat das sehr schön formuliert, in dem er darauf hinwies, dass er sich mit seinem beruflichen Selbstverständnis in einem ständigen Widerspruch in Bezug auf die Vorgaben der schulischen Realität befindet.

– Wirklich ärgerlich fand ich, dass (mal wieder) über Lehrer, gerne auch pauschalisierend über „die“ Lehrer gesprochen wurde, aber auf dem Podium kein Lehrer saß, obwohl bei den Referenten einige mögliche Kandidaten dabei gewesen wären. Es muss darum gehen, mit den Lehrkräften zu reden und nicht nur über sie. Eigentlich sollte das klar sein. Ich erlebe das aber leider immer wieder anders. Pauschale Lehrerschelten helfen nicht. Positive Beispiele gehören hervorgehoben, diskutiert und verbreitet. Es gibt viele, die sich im Rahmen des Möglichen bemühen und Veränderungen in Gang setzen.

– Die Frage, wie man die erreicht, die sich den notwendigen Veränderungen widersetzen oder (weniger aktiv) schlicht entziehen, wurde mehrfach gestellt, eine überzeugende Antwort habe ich nicht gehört… Entscheidend scheinen Neugier, Bereitschaft zum Ausprobieren und Experimentieren, zu kritischer Selbstreflexion und dem Wunsch nach größerer Berufszufriedenheit zu sein. Das lässt sich allerdings schlecht vorgeben, allenfalls vorleben.

– Es waren übrigens insgesamt wenig aktive Lehrkräfte anwesend. Das sollte man aber nicht vorschnell einem Desinteresse zuschreiben: Freistellungen für Fortbildungen in der Dienstzeit sind schwierig, überhaupt ist Zeit, bzw. deren Mangel, ein Riesenproblem für Lehrkräfte und ein wesentliches Hemmnis für Innovationen. Auch hier verschärfen G8 und Zentralabitur die Situation zusätzlich.

– Ich habe den Eindruck, dass Lehrkräfte Fortbildungen, fachdidaktisch reflektierte Konzepte und Unterrichtseinheiten brauchen, wie sie digitale Medien in ihren Untericht integrieren können. Das ist noch nicht der schulische Leitmedienwechsel und Systemwandel, aber es ist das, was sofort im Kleinen möglich ist und eine Brücke bildet zur Heranführung an die Entdeckung der Potentiale. Als Technologie könnte auch das interaktive Whiteboard so eine Brücke, ein Katalysator sein. Es lässt sich in jede Art Unterricht integrieren, bietet aber zusätzliche Möglichkeiten und schöpft sein volles Potential erst aus, wenn die Lernenden mit eigenen Endgeräten digital arbeiten.

– Die Arbeit mit digitalen Medien ermöglicht / führt zu / erzwingt eine Öffnung des Unterrichts, und zwar auf allen Ebenen (inhaltlich, methodisch usw.). Das ist entgegengesetzt zur Ausbildung von Lehrern, sowie wie ich sie vor ein paar Jahren noch durchlaufen habe, die in anderthalb bis zwei Jahren lernen (und teilweise verinnerlichen), die Klasse, den Raum, die Inhalte, Methoden usw. zu kontrollieren. Wenn sie das können und in einer in höchstem Maße kontrollierten Situation vorführen, erhalten sie mit dem zweiten Staatsexamen die Erlaubnis zu unterrichten. Kein Wunder also, wenn in der Diskussion auch immer die diffuse, oft gar nicht bewusste Angst vor Verlust dieser (Illusion von) Kontrolle mitschwingt. Es ist ja genau das, was man gelernt hat, was eine gute Lehrkraft ausmacht.

– Ich bin immer wieder erstaunt zu hören, wie es mit den Einsatz digitaler Medien in anderen Bundesländern aussieht. Ich höre immer wieder: Es fehle an Konzepten, Ausstattung und Fortbildungen. Es scheint so, als wären wir in der Tat in Rheinland-Pfalz relativ weit. Wenn man selbst drinsteckt, muss ich sagen, sieht man doch eher die Mängel und Fehler und was man noch tun könnte. Der Blick von außen ist immer ein anderer.

– Es geht nicht um Geräte, sondern um Didaktik. Wir brauchen Lernsettings, eine neue Aufgabenkultur und vor allem neue Prüfungsformate. Über die Zulassung alternativer Bewertungen wird sich das Lernen und Lehren in Schulen grundlegend verändern. So lange zentral immer noch Klassenarbeiten und Klausuren stehen, die eine Wiedergabe auswendig gelernten Wissens verlangen, wird sich auch Unterricht nicht grundlegend verändern. Das Zentralabitur wirkt sich hier hemmend aus. Ein großer Schritt wäre die Zulassung von Open Educational Resources als reguläre „Schulbücher“ durch die Behörden der Bundesländern. In anderen Ländern, wie z.B. Kalifornien, passiert das bereits, berichtete Basti Hirsch in seinem Workshop. Für Deutschland scheint die Vorstellung noch utopisch und geradezu revolutionär.

– Die technische Entwicklung geht weiter und sie geht schnell voran. Daher veralten Geräte schnell. Schule kann sich eine permanente Erneuerung ihrer Ausstattung aber nicht leisten. Das lässt sich einfach z.B. an den meisten Computerräumen ablesen. Es kann also nicht darum gehen, dass Schulen nun in Klassenstärke oder größeren Zahlen iPads, Tablets oder was auch immer anschaffen, um sie in ein paar Jahren auszutauschen. Das kann sich niemand leisten, mal abgesehen von den Problemen, die entstehen, wenn Lernende die Geräte nur leihweise in ein oder zwei Stunden im Unterricht nutzen: So können dort z.B. keine eigenen Dateien abgelegt werden (darauf hat André Spang in seinem Kurz-Workshop hingewiesen) und sie stehen auch zuhause nicht zur Verfügung, sie können also nicht als eigenes Werkzeug in eine persönliche Lernumgebung integriert werden. Deshalb kann der Weg meines Erachtens nur über Geräte der Schüler führen, die dann mit Verlassen der Schule auch ihre Geräte mitnehmen. Die Lernenden finanziell zu unterstützen, die sich das von zuhause nicht selbst leisten können, kommt allemale günstiger als die komplette, regelmäßig notwendige Erneuerungen ganzer Schulausstattungen in diesem Bereich.

Wie gesagt, ein paar Gedanken zum heutigen Tag, schnell runtergeschrieben, ich hoffe nicht allzu wirr, aber zumindest sind sie jetzt aus meinem Kopf 😉