Des Bloggers Kaffeekränzchen oder zur Nutzung digitaler Medien in Geschichtswissenschaft und -unterricht

Angeregt durch den Verweis auf dem Paderborner FNZ-Blog lese ich gerade das neue Buch von Wolfgang Schmale. Darin schien mir eine Beobachtung ganz interessant, die auch teilweise helfen kann, die vom „Basler Kaffeekränzchen“ aufgeworfene Frage nach der Zurückhaltung von Geschichtswissenschaftlern beim Bloggen zu beantworten:

„Die meisten Studierenden nehmen die Sache mit den digitalen Medien pragmatisch hin, ohne dabei unkritisch zu sein. Im Grunde bevorzugen sie die Arbeit mit dem Buch, mit Gedrucktem, weil dies – paradoxerweise – wohl weniger aufwändig als die Arbeit mit einem bestimmten digitalen Medium, dem Internet bzw. WWW, zu sein scheint […] gerade weil eine Reihe von Qualitätsprüfungen von anderen vorab durchgeführt wurde, während im Web die Qualitätsprüfung und -bestimmung auf den individuellen Nutzer zurückfällt.“ Schmale (2010, S. 21f.)

Ein ähnliches Verhalten sehe ich auch bei Schülern in meiner Unterrichtspraxis. Nur wenige sind begeistert von der Arbeit mit Computer und Internet. Für die meisten ist diese Art von Arbeit schwieriger, sowohl was die Handhabung der Technik als auch was die von Schmale angesprochene Qualitätsprüfung angeht.  Ich denke, es geht also nicht nur um das Bloggen selbst, sondern um den gestaltenden Umgang mit digitalen Medien. Es ist schlicht Arbeit und zwar viel Arbeit, gerade die Pflege eines Blogs. Das ist Arbeit, die, wie vielfach angemerkt (noch?) nichts für die wissenschaftliche Karriere bringt und bei der man nicht weiß, ob sie gelesen wird und wenn ja, von wem. Siehe dazu auch den Kommentar eines Lesers von gestern, der eine Außenperspektive auf die Blogosphäre vermutlich ganz gut zum Ausdruck bringt.

Wenn nicht gerade in der Schule oder der Uni mit Gastzugang auf einer zentralen Plattform publiziert wird,  geht wohl in der Regel die intensive Rezeption der aktiven Teilhabe voraus. Dabei sind die Vorbildfunktion von Lehrenden  und die Anerkennung durch Peer-Gruppen natürlich wichtige Motivationsfaktoren. Der Verweis auf Blogbeiträge zur Meinungsbildung, Vorbereitung von Themen und Anregung von Diskussionen in Schule und Universität wäre schon ein erster wichtiger Schritt.

Das Bild des Kaffeekränzchens war zunächst nicht so gemeint, gibt aber m.E. sehr gut die deutsche Geschichtsblogosphäre wieder, die aus einer überschaubaren Gruppe mehr oder minder miteinander bekannter Menschen besteht, die sich über für sie relevante Sachverhalte austauschen; wie beim Kaffeekränzchen eben, nur dass hier niemand dazu einlädt und die Kommunikation über Blogs, Links und Kommentare erfolgt (und man im schlimmsten Fall, falls die Kollegen nicht so nett sind, seinen Kaffee selbst kochen muss; dafür hat man dann aber auch keine lästigen Gäste am Wohnzimmertisch, die länger bleiben, als einem lieb ist).

Interessant bleibt die gleichfalls in Basel benannte Kluft zwischen deutsch- und englischsprachiger Mediennutzung im Bildungsbereich, die sich auch auf Schulebene zeigt. Der geneigte Leser möge nur einmal auf Twitter die Beiträge unter den Hashtags #Geschichte und #history oder noch deutlicher #Geschichtsunterricht und #historyteacher vergleichen.

Das gleiche Bild ergibt sich auch beim Einsatz von Social Bookmarking: Während die im Mai 2009 eingerichtete anglophone Gruppe auf Diigo gerade vor wenigen 600 Mitglieder überschritten hat, sind es in einer ein halbes Jahr später eingerichtete deutschsprachige Gruppe zählt bis heute gerade mal acht Mitglieder. Vergleichbare Gruppen bei anderen Anbietern sind mir nicht bekannt. Die große Diskrepanz hat sicher mit der größeren Reichweite der englischen Sprache zu tun, aber  allein reicht das als Erklärung nicht aus.

Fehldarstellung des Merkantilismus

Der Begriff „Absolutismus“ ist in der Geschichtswissenschaft bereits ausführlich auseinandergenommen und seit längerem dekonstruiert worden. In den Schulbüchern ist dies bislang, soweit ich das sehe, noch nicht angekommen. Der „Absolutismus“ bildet weiterhin ein eigenes Kapitel: Am Beispiel Ludwigs XIV. wird die Durchsetzung vermeintlich absoluter Königsmacht aufgezeigt, wobei nach meiner Erfahrung die Schüler das weitgehend nicht verstehen, weil sie die mittelalterlichen Könige und Kaiser in einem naiven Geschichtsverständnis schon als uneingeschränkt herrschend sehen (empirische Untersuchungen, vor allem von Friedrike Stöckle, bestätigen das; siehe dazu auch das Doppelheft „Herrschaft im Mittelalter“ Geschichte lernen 135/136 (2010)).

Weniger präsent war mir die wissenschaftliche Fehldarstellung beim Colbertismus oder Merkantilismus. Harald Neifeind, der allerdings den Begriff Absolutismus allerdings unhinterfragt weiter verwendet, hat in einem Beitrag auf edumeres nur ein Schulbuch analysiert, das mir aber exemplarisch in seinen Inhalten und der Art der Darstellung scheint. Wer den Beitrag Colbert kam, sah und – siegte? – Ein Schulbuch und sein Merkantilismus gelesen hat, wird das Thema beim nächsten Mal im Unterricht anders angehen. Absolut lesenswert!

Im Kern trifft hier dasselbe zu, wie beim Absolutimus. Eine Gleichsetzung von Ideen bzw. Ansprüchen und Wirklichkeit. Neifeind spricht in Bezug auf das geläufige Schaubild von einem „didaktischen Selbstläufer“. Das ist etwas dran und man könnte noch eine Reihe anderer Beispiele nennen. Die Frage ist nur warum. Weil die Schaubilder so einfach, klar und eingängig sind? Warum werden so eklatante, grundlegend falsche und in diesem Fall sogar in sich widersprüchliche Darstellungen immer wieder in Schulbüchern (und damit auch zumeist in den Köpfen der Lehrer und je nach Wirkung des Unterricht auch in denen der Schüler) reproduziert? Kreiert das Lehren und Lernen in der Schule eine eigene historische Darstellung? Selbstverständlich gibt es eine gewisse Verzögerung in der Vermittlung neuer historischer Erkenntnisse von der Wissenschaft in die Schule, aber die im Beitrag kritisierte Merkantilismus-Rezeption ebenso wie die Absolutismus-Kritik der Geschichtswissenschaft sind ja beileibe keine neuen Erkenntnisse (vgl. auch die schon stark angestaubten Standardwerke mit denen Neifeind die Darstellung im Schulbuch abgleicht).

Das Thema hat zusätzlich übrigens durchaus einen hohen Aktualitätsbezug angesichts der protektionistischen Kurzschlussmaßnahmen vieler nationaler Regierungen als Reaktion auf die „Krise“. Der Geschichtsunterricht könnte hier eine wichtige Orientierung für die Gegenwart liefern und zugleich zur ökonomischen Grundbildung beitragen. Durch die Darstellung des Merkantilismus als Erfolgsgeschichte wird dies jedoch nicht geleistet.

Netzwerk digitale Geschichtswissenschaften

Am kommenden Dienstag (2. November) wird die neue Internetplattform des Netzwerks „Digitale Geschichtswissenschaften“ (inklusive Didaktik) der Universität des Saarlandes offiziell vorgestellt. Einen ersten Eindruck des Portals kann man auf der Seite bereits bekommen. Beim Informationsdienst Wissenschaft gibt es  dazu auch eine kurze Pressemitteilung.

[Aufmerksam geworden auf die Seiten bin ich übrigens durch den noch relativ neuen Blog von Historiker Kraus.]

Buchtipp: Was können Abiturienten?

Der Unterttitel gibt sich bescheiden: „Zugleich ein Beitrag zur Debatte um Kompetenzen […]“. Es ist ein wichtiger Beitrag, den Schönemann et al. hier leisten. Indem sie sich die Leistungskursarbeiten des Abiturjahrgangs 2008 in NRW (Zentralabitur) vornehmen und daraufhin überprüfen, was die Abiturienten der Leistungskurse Geschichte, und damit der vermuteten höchsten Niveaustufe des schulischen Geschichtsunterricht, leisten. Die Ergebnisse sind in der Tat ernüchternd, vor allem angesichts der postulierten Zielsetzungen in Lehr- und Rahmenplänen sowie den verschiedenen normativ gesetzten Kompetenzmodellen.

Die vorliegende Studie ist deshalb so wichtig, weil sie helfen kann, „die Diskussion zu erden“ (S. 127) und die vorliegenden theoretischen Kompetenzmodelle „vom Kopf auf die Füße“ (S. 121) zu stellen. Empirische Studien zu einzelnen Kompetenzen liegen bisher nur in vereinzelten Artikeln vor. Einerseits gilt das Gymnasium als „überforscht“, andererseits sind hier noch grundlegende Arbeiten, allerdings nicht allein für das Gymnasium, notwendig. Diese Arbeiten sind dringend notwendig, um die Setzungen der Modelle, die bereits in Lehr- und Rahmenpläne sowie in Lehrwerke und Prüfungsanforderungen einfließen, zu überprüfen, möglicherweise zu korrigieren, zu stufen – zumindest für den kognitiven Bereich erscheint dies möglich – und erst damit praxistauglich zu machen.

Die im Vergleich zu den normative gesetzten Erwartungen schlechten Ergebnisse sind Mühlen auf des kulturpessimistischen Rezensenten der FAZ.  Das geht aber am Eigentlichen vorbei und auch an der vorsichtigen wissenschaftlichen Argumentation der Autoren. Der Resenzent möge bei Gelegenheit und in dem Zusammenhang mal überlegen, dass beim eingeführten Zentralabitur in NRW die Prüfungstexte und -aufgaben nicht mehr von einzelnen Lehrern gemacht werden (zum Lehrerbashing der Rezension, auch eine Art Habitus) und dass es auch in der Schule neben dem Hauptunterricht in Geschichte auch Fächer wie z.B. Deutsch gibt, wo Rhetorik und Konjunktiv gelernt werden könnten. („Offenbar fehlen im Geschichtsunterricht einige Stunden über Rhetorik und Textgattungen.“) Der Geschichtsunterricht ist nicht für alles verantwortlich und kann auch nicht alles leisten, aber schon der Auftakt der Rezension zeugt von wenig Fachkenntnis des Journalisten, insofern sollte man sich (bzw. ich mich) vermutlich nicht so darüber ärgern.

Das Buch ist auf jeden Fall in höchstem Maßen lesenswert, eine Pflichtlektüre für Geschichtslehrer und universitäre Didaktiker:

Bernd Schönemann / Holger Thünemann / Meik Zülsdorf-Kersting, Was können Abiturienten?  Zugleich ein Beitrag zur Debatte über Kompetenzen und Standards im Fach Geschichte, Berlin 2010. [Lit-Verlag]

Rezension: Hörbuch Spectaculum Mundi Medievalis

Das vorliegende Hörbuch stammt aus dem Verlag Berliner Hörspiele. Das Buch ist geschrieben und gelesen von Stephan Warnatsch, der als Lehrer in Berlin an einer Gesamtschule sowie als Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte an der TU Berlin tätig ist.

Warnatsch trägt seinen Text mit viel Engagement vor und man gewinnt den Eindruck, dass ihm die mittelalterliche Geschichte ein Herzensanliegen ist. In insgesamt 217 Minuten schlägt Warnatsch auf drei CDs einen großen Bogen von dem Quellenzugang zur mittelalterlichen Geschichte, über den Lebenslauf der Menschen, ihre Lebenswelt in Städten und auf dem Land bis hin zu Reisen, Festen und Fragen der Moral und Religion.

Das Buch ist hörenswert inszeniert und besticht vor allem durch die reiche Auswahl an interessanten Quellen, die von unterschiedlichen Sprechern vorgetragen werden. Gerade die vorgetragenen Quellen lassen sich hervorragend in den Unterricht integrieren. Zum einen weil sie ein weites Panorama der mittelalterlichen Welt eröffnen, zum anderen weil das Zuhören auf diese Weise nur selten vorkommt. Die Schüler in der Regel Quellentexte selbst laut vortragen oder leise erarbeiten. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass bei der Erfassung von Geschichtsstunden festgestellt wurde, dass sehr viel Zeit mit dem lauten Vorlesen von Texten im Unterricht zugebracht würde. Für ein Fach, dass sich als erarbeitend und problemorientiert versteht in der Tat ein erstaunlicher Befund. Auf jeden Fall scheint mir die Kombination von schriftlicher vorliegendem (oder anschließend reingereichtem) Quellentext und dessen professionellem Vortrag von CD eine kleine nette methodische Abwechslung für den Unterrichtsalltag.

Zum Teil scheint der Vortragsduktus beim Verfassertext von Warnatsch etwas schnell und überhastet und die an einigen Stellen etwas akademisch ironische Ausdrucksweise macht das Hörbuch in längeren Passagen selbst für den Unterricht in der Oberstufe schwierig. Text und Vortrag leben von der Lebendigkeit und den Kommentaren des Autors. Undifferenzierte Seitenhiebe wie die Andeutung, der Islam sei im Mittelalter verharrt, sind vollkommen unnötig und wären besser unterblieben. Ansonsten aber ingesamt ein Hörbuch, das Freude und Lust aufs ein sehr vielfältiges Mittelalter macht, das uns hier in seiner zeitgleichen Nähe und Fremdheit präsentiert wird.

Das Hörbuch kann auf den Seiten des Verlags in Auszügen angehört und als CD für 12,99€ bestellt werden.



Der Historiker als Detektiv – und der Schüler?

Eigentlich ist es nur ein kleiner, unausgereifter Gedanke, den ich aber trotzdem hier zur Diskussion stellen möchte. In der Geschichtswissenschaft ist der Vergleich des Historikers mit einem Detektiv, der Vergleich ihrer jeweiligen Arbeit etabliert. Man denke nur an das gleichnamige Buch von Achim Saupe oder den Essay „Spurensicherung“ von Carlo Ginzburg.  Der Vergleich liegt nahe und ist historisch wohl sogar in einem Wechselverhältnis von entstehender Kriminalistik und Geschichtswissenschaft verwurzelt. Natürlich macht sich auch das Fernsehen die Nähe zu Nutzen in der Inszenierung von Sendungen mit historischen Inhalten. Aber für den Geschichtsunterricht? Mir fallen keine Unterrichtseinheiten ein, die die Schüler in die Rollen von Detektiven oder Kommissaren schlüpfen lassen, um die Vergangenheit zu erforschen. Ich denke, hier steckt ein enormes Motivationspotential.  Geschichte  außerhalb der Schule wird von Jugendlichen oft als sehr interessant und spannend bewertet. Das zeigt das anhaltende Interesse an historischen Filmen und Romanen, auch und gerade bei Jugendlichen. Der Geschichtsunterricht hingegen wird nach großer Begeisterung am Anfang oft  schnell zu einem der Fächer, das zu den langweiligsten zählt. In der Verknüpfung von Krimi-Spannung mit historischem Geschehen und Verstehen liegt vielleicht eine Chance für den Unterricht, diese Kluft etwas kleiner zu machen.

Wäre es nicht möglich, die Quellen und Materialien zum Beispiel zum Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, so zu arrangieren, dass die Schüler hier wie Kriminalisten herangehen und den „Fall“ lösen? Die dafür benötigten Kompetenzen sind grundlegend für den Umgang mit Geschichte und Kern jeden Geschichtsunterrichts. Ähnliches lässt sich für viele andere Themen und Zeiten denken. Ohne dabei die Inhalte zu eng zu führen, da der ganze Hintergrund zum Verständnis des Geschehens notwendig ist, können hier in Form von vergleichsweise offenen Projekten  ganzen Themenbereiche ausgehend von einer „Fallbeschreibung“ aufgearbeitet werde, vom Mord an Caesar  über die „Entführung“ Luthers, die Hinrichtung Karl Ludwigs Sands oder  die Attentate auf Zar Alexander II. oder  Kaiser Wilhelm I. bis hin zur Ermordung von Dollfuß oder Kennedy. In der Regel werden die Schüler in arbeitsgleichen Gruppen arbeiten, die abschließend ihre Ergebnisse vorstellen, vergleichen und im Hinblick auf Plausibilität und unterschiedliche Wertungen überprüfen können.  Dies wären auch mögliche Szenarien für historische WebQuests.

Vielleicht aber gibt es schon entsprechende Unterrichtsvorschläge und -entwürfe? Kennt jemand welche?

Wikipedia, Geschichtswissenschaft und Schule 2

Eigentlich überrascht es wenig, dass eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Wikipedia gerade in der Geschichtswissenschaft stattfindet. Die für die Bewertung von Informationen im Internet nötigen Kernkompetenzen sind nichts anderes als das Handwerkszeug eines Historikers. Eigentlich müsste der Geschichtsunterricht, die Lehrer und Verbände, hiermit hausieren gehen, es laut rausschreien. Selbstbewusstsein statt defensiver Verteidigungshaltung,  die u.a. zu übereilten Entwürfen von verschiedenen, empirisch nicht fundierten „Kompetenz“modellen geführt hat. Man wollte damit die Position des Fachs sichern im Abwehrkampf gegen die immer wieder erfolgte Abwertung der gemeinschaftskundlichen Fächer durch Kürzung der Stundenzahlen oder deren Zusammenlegung. Sicher ein hehres Ziel. Die Umsetzung hat aber aufgrund ihrer unausgereiften  und falsch verstandenen Umsetzung mit dazu beigetragen, „Kompetenzorientierung“ in weiten Teilen der Geschichtslehrerschaft zu diskreditieren.

Auch wenn ich gegen eine reine Funktionalisierung bin, denke ich, könnten wir viel stärker darauf pochen, dass in unserem Fach die grundlegenden Kompetenzen für die Internet-Informationsgesellschaft erlernt werden (u.a. neben vielen anderen Dingen). Die Kriterien, die an die Bewertung von Informationen aus dem Internet angelegt werden, sind im Grunde nichts anderes als das, was Historiker als Quellenkritik bezeichnen. Alltägliches Handwerkszeug in Wissenschaft und teilweise auch im Unterricht. (Letzteres nur teilweise, da die Quellen in den Schulgeschichtsbüchern leider oft nur Illustration des Verfassertextes sind.)

Es geht dabei um nichts Zusätzliches, sondern um den Kern des Geschichtsunterrichts, grundlegende Fähigkeiten, deren Erlernen durch eine richtig verstandene Kompetenzorientierung (siehe dazu auch den neuen Blogbeitrag von Andreas Körber) noch verstärkt werden kann. Was mich wundert, ist, dass dies nicht deutlicher gesagt und betont wird. Dies würde die Rolle des Fachs innerhalb der Schulen und gegen über den Kultusbehörden stärken.

[tweetmeme source=”eisenmed” only_single=false]

Wikipedia, Geschichtswissenschaft und Schule

Schön zu lesen, wenn wissenschaftlich bestätigt wird, was man auch in der Schule wahrnimmt und den Schülern predigt (wenn auch zugegebenermaßen mit recht bescheidenem Erfolg): Viele Wikipedia-Artikel eignen sich nicht als Einstieg in die Recherche, verlangt oft viel Vorwissen und enthalten eine Flut von nicht relevanten Details, die nicht nur  Schüler dabei überfordern, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. So die Zusammenfassung einiger (Zwischen-) Ergebnisse des von Peter Haber an der Universität Wien durchgeführten Forschungsseminars zu „Wikipedia und die Geschichtswissenschaften“.

Wikipedia ist ja ein Thema, das immer viel Aufmerksamkeit erzeugt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Präsentation der Seminarergebnisse ein recht breites Medienecho gefunden haben. Zusammenfassend finden sich die Ergebnisse auch im Weblog von histnet, der auch auf das Wiki des Seminars verlinkt.

Für den Geschichtsunterricht in der Schule stellt sich natürlich die Frage, welche anderen Einstiege in ein Thema bieten sich für Schüler im Internet an? Für die deutsche Geschichte verweise ich in der Regel auf LeMO. Die Artikel sind zwar kurz und gut untereinander verlinkt, für Einstieg in ein Thema fehlen allerdings weiterführende Links oder Literaturangaben. Ansonsten fallen mir spontan aber auch keine gute Alternativen ein. Die Wikipedia ist und wird die zentrale Anlaufstelle für Internetrecherchen von Schülern (und Lehrern) bleiben. Daher, denke ich, ist es nötig, über den richtigen Umgang  in der Schule zu diskutieren. Dieser sollte den möglichen Nutzen aber auch Grenzen der Wikipedia sowie deren Funktionieren klar machen. Den anschaulichen Ansatz von Wikibu finde ich gut, zumal gelungene praktische Einsatzszenarien für den Unterricht gleich mit geliefert werden. Problem ist wohl eher, dass sich dafür in der Schule kein Fach „zuständig“ fühlt und es damit Zufall bleibt, ob die Schüler den kompetenten Umgang mit Recherchen im Internet lernen. Eine Chance besteht in schulinternen  und fächerübergreifenden Medienkonzepten, wie sie z.B. von den Projektschulen im rheinland-pfälzischen Landesprogramm „Medienkompetenz macht Schule“ gefordert und gefördert werden. Allerdings ist das ein langer Weg: Über die oft leidvolle Erfahrung des Versuchs, Schule zu verändern, hat gerade Damien Duchamp ausführlich in seinem Blog berichtet.

Zum Schluss soll ein großer Pluspunkt von Wikipedia erwähnt werden, den ich vor kurzem selbst im Unterricht erlebt habe: In einem eTwinning-Geschichtsprojekt mit einer italienischen Schule sollten die Schüler einer 10. Klasse auf Englisch, das als Kommunikationssprache im Projekt diente, eine Präsentation zum Hitler-Putsch von 1923 erarbeiten. Um an die entsprechenden, unbekannten Fachbegriffe zu kommen, über die Schüler – sofern sie nicht an einer bilingualen Schule sind – sicher nicht verfügen, haben sie von selbst auf die englische Wikipedia zurückgegriffen und eine für sie überraschende Entdeckung gemacht: Auf Englisch heißt das Ganze  Beer Hall Putsch, was Auslöser für eine spannende Diskussion über die Konnotationen der beiden Benennungen war.

[tweetmeme source=”eisenmed” only_single=false]

2. Newsletter des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands erschienen

Der Newsletter informiert

„in enger Verbindung mit der Rubrik „Szene“ in „geschichte für heute“ (Wochenschau-Verlag) über die Verbandsarbeit sowie kurz und präzise über aktuelle Entwicklungen und Themen aus der Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik, dem musealen Bereich und den Medien.“

Wer in den Newsletter des VGD aufgenommen werden möchte, kann sich per Mail an die Redaktion wenden: Christian Jung

Viele Beiträge erscheinen auch vorab im Blog Zeittaucher, der gleichfalls von Christian Jung betreut wird.

Buchtipp: Jonathan Hearn, Rethinking nationalism

Jonathan Hearn, Senior Lecturer an der Universtität Edinburgh, bietet mit seinem Buch eine Einführung in das Thema “Nationalismus” und zugleich – wie der Titel ankündigt – eine kritische Reflexion der disziplinär vielfältigen Theorieansätze. Das Buch ist zusammen mit Einführung und Schluss in zehn Kapitel unterteilt. In vier Hauptkapiteln bietet Hearn zunächst eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Theorieansätze aus primordialistischer (Kap. 2, auch z.B. bei Langewiesche nicht ganz zutreffend als Ethnonationalismus bezeichnet) und modernisierungstheoretischer Sicht (Kap. 4). Die Kapitel 6 und 8 sind dem Zusammenhang von Kultur und Macht gewidmet. In den Kapitel mit den ungeraden Zahlen folgt daraufhin jeweils eine kritische Betrachtung des Vorangegangenen. Diese Aufteilung bringt es mit sich, dass das Buch sowohl zum Einstieg als auch zur weiteren Reflexion gut geeignet ist. Kenner der Thematik können sich auf das Lesen der kritischen Kapitel beschränken.

Für Hearn gehen Nation und Nationalismus aus der Interaktion von „ethnicity-making“ und „state-making“ Prozessen hervor. Deshalb spricht er sich gegen eine strikte Trennung der oft konträr gesehenen Theorien aus. Den Begriff des Nationalismus betrachtet er in seiner Arbeitsdefinition als das Kreieren von miteinander verknüpften Forderungen nach Identität, Rechtsprechung und Territorium im Namen der Bevölkerung. Moderner Nationalismus unterscheidet sich seiner Meinung nach vom älteren in Legitimation und Kommunikation eben dieser Forderungen. Ausgehend von der Hypothese, dass das Streben nach Macht zu den Grundverhaltensweisen der Menschen gehört, definiert er Nationalismus darüber hinaus als eine besondere, im weitesten Sinne moderne Art von Machtstreben.

An den primordialistischen Ansätzen kritisiert Hearn vor allem die mangelnde Berücksichtung der gesellschaftlichen Aspekte. Auch in der Analyse nationalistischer Symbole und Diskurse sieht er keine hinreichende Erklärung, da ihre Effizienz immer abhängig ist von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Machtstrukturen. Die Idee der Nation entwickelt sich im Kontext von komplexen Formen gesellschaftlicher Organisation und diese müssen dann folglich auch bei der Analyse berücksichtigt werden.

Hier sieht man seine Nähe zum modernisierungstheoretischen Ansatz. Allerdings lässt dieser für ihn die Fragen nach den Wurzeln und Ursprüngen der Nationsvorstellungen unbeantwortet. Aus diesen Problemen mit den eher als komplementär zu sehenden Theorieansätzen leitet Hearn die Forderung ab, sich intensiver mit den Konzepten von „Power“ und „Culture“ zu beschäftigen, die er als grundlegend für alle Arten von sozialen Beziehungen ansieht. Damit bietet er selbst keinen neuen Theorieansatz, sondern Anregung zum Weiterdenken durch einen Fokuswechsel.

Um das zu verdeutlichen bringt Hearn das Beispiel von Sprache und Religion, die in Diskursen über Nationalismus eine große wenn nicht gar zentrale Rolle spielen. Ausgehend von seinem Ansatz sieht er Sprache als fundamentales Medium für jegliche Art von Machtanspruch und dessen Durchsetzung. Die Religion hingegen, bzw. die mit ihr verbundene Kirche, bietet organisatorische Strukturen und Ressourcen, die wiederum ein Umlenken religiöser Gefühle auf die Nation ermöglichen.

Schließlich stellt er postmodernen Ansätzen seine Sicht gegenüber, dass Nationalismus eine sich im Laufe der Zeit verändernde Realität ist, weswegen er das Phänomen des Nationalismus als eine historische, sich langsam entwickelnde Form gesellschaftlicher Organisation begreift, die eben Macht und Kultur miteinander verknüpft.

Die kritischen Anmerkungen Hearns zu den gängigen Nationalismus-Theorien bieten viele Anknüpfungspunkte um weiterzudenken. Gerade weil dieses Buch keine fertigen Antworten liefert und auch nicht liefern will, ist es eine sehr anregende Lektüre zu einem komplexen Themenfeld.

Jonathan Hearn, Rethinking nationalism. A critical introduction (2006), 272 S., kt., 33,50 €, Palgrave Macmillan, Basingstoke/New York.