Letzte Woche ist (endlich) das Spiel „The Darkest Files“ vom Indie-Studio Paintbucket Games erschienen. Das Spiel ist so etwas wie der Nachfolger zu „Through the Darkest of Times“, in dem der Widerstand gegen den Nationalsozialismus spielerisch umgesetzt wurde. Nun begeben wir uns als junge Staatsanwältin in das Frankfurt der Mitte der 1950er Jahre in das Team von Fritz Bauer, um NS-Verbrechen aufzuklären und die Täter vor Gericht zu bringen.
Das Thema Verfolgung der NS-Verbrechen spielt kaum eine Rolle in den Lehrplänen, hat aber eine sehr hohe Aktualität. Die Umsetzung des Themas in „Through the Darkest of Times“ hatte mich sehr positiv beeindruckt und auch die Demo-Version des neuen Spiels hatte ich bereits letztes Jahr kurz im Unterricht eingesetzt. Das Erscheinen des Spiels zum Anlass nehmend habe ich dem Thema nun eine Doppelstunde gewidmet, deren Aufbau ich hier gerne teilen möchte ebenso wie die Reaktionen der Schüler*innen auf das Spiel.
Der Einstieg erfolgte über den Trailer des Spiels. Die Schülerinnen und Schüler nannten aufgrund des Videos das Thema und formulierten erste Eindrücke. Zu meiner Überraschung sahen einige die Umsetzung ausgehend vom Werbetrailer kritisch und formulierten die Befürchtung, dass das Spiel „empathielos“ und „verharmlosend“ sein könnte, aber trotzdem in der Aufbereitung des Themas für Jugendliche eventuell besonders ansprechend. Diese Punkte haben wir als Fragen an der Tafel für die Besprechung zum Abschluss festgehalten.
Nach Anknüpfen an bereits Bekanntes (Nürnberger Kriegsverbrecherprozess) haben die Schüler*innen sich in Kleingruppen in einer ersten Erarbeitungsphase gemäß Interesse ein Jahrzehnt ausgesucht (1945-1949, 1950er, 1960er Jahre usw., 2000-2025 just erschienen ein aktueller Artikel in der ZEIT, der auch als Einstieg in das Thema gewählt werden kann) und zum internationalen Umgang mit NS-Verbrechen in dieser Zeit recherchiert und. Anschließend wurden die Ergebnisse kurz vorgestellt.
Die Vertiefung erfolgt durch das gemeinsame Spielen von ca. 1/2 Stunde: Ein*e Schüler*in übernimmt die Steuerung, die Gruppe trifft gemeinsam die Entscheidung, wie geantwortet wird bzw. was als nächstes gemacht wird. Alternativ lässt sich ein Playthrough-Video anschauen, um das Spiel kennenzulernen. Komplett durchspielen lässt sich das Spiel im Unterricht aufgrund des Umfangs nicht.
Vorab wählen die Schüler*innen entsprechend ihrer Interessen individuell noch einen der folgenden Beobachtungsschwerpunkte:
Historischer Kontext: Welche realen historischen Ereignisse und Strukturen werden im Spiel thematisiert? Wie wird der Umgang mit NS-Verbrechen in der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre dargestellt?
Rollen und Perspektiven: Welche Rolle übernehmen die Spieler*innen, und welche Perspektive auf die Vergangenheit wird dadurch vermittelt?
Justiz und Aufarbeitung: Welche Herausforderungen und Widerstände gibt es bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen im Spiel?
Quellenarbeit im Spiel: Welche Quellen (Dokumente, Zeugenaussagen, Beweismittel) werden verwendet, um die Fälle aufzuklären?
Moralische und ethische Fragen: Welche moralischen Dilemmata stellt das Spiel dar? Welche Konflikte werden gezeigt? Wie bzw. auf welche Weise?
Spielmechaniken und Wissensvermittlung: Wie werden die historischen Inhalte mit der Spielmechanik verbunden? Fördert die Interaktivität das historische Verständnis? Wenn ja, wie?
Narrative Gestaltung: Wie wird die Geschichte erzählt (z. B. durch Dialoge, Dokumente, Umgebungsdetails)? Inwiefern trägt diese Form der Erzählung zur Immersion und zum Verständnis der historischen Thematik bei?
Emotionalisierung und Perspektivenwechsel: Welche Wirkung hat die spielerische Auseinandersetzung mit historischen NS-Verbrechen im Vergleich zu anderen Medien (Filme, Bücher, Texte)?
Spiel als Geschichtsmedium: Würdest du das Spiel als sinnvolles Bildungsmedium für den Geschichtsunterricht empfehlen? Welche Vor- und Nachteile siehst du in der Vermittlung historischer Inhalte am Beispiel von „The darkest files“ ?
Visuelle Gestaltung und Atmosphäre: Welche Farben, Lichtstimmungen und Gestaltungselemente prägen die Ästhetik des Spiels? Welche (emotionale) Wirkung erzielt die visuelle Darstellung?
Charakter- und Umweltgestaltung: Wie werden Charaktere (z. B. Angeklagte, Zeugen, Ermittler) dargestellt? Welche Wirkung haben die Umgebungsdetails (Büro, Archive, Gerichtssäle) auf das Spielgefühl und das historische Verständnis?
Sounddesign und Musik: Welche Rolle spielen Musik und Soundeffekte für die Atmosphäre des Spiels? Inwiefern verstärken sie Spannung, Dramatik oder historische Authentizität?
Interface und Interaktionsdesign: Wie ist das Benutzerinterface gestaltet? Unterstützt oder behindert die Art der Interaktion das Eintauchen in die Spielwelt und die Auseinandersetzung mit den historischen Themen?
Symbolik und Metaphorik: Gibt es wiederkehrende visuelle oder narrative Symbole, die bestimmte historische oder moralische Botschaften vermitteln? Wie wird durch künstlerische Gestaltung das Thema „Aufarbeitung von NS-Verbrechen“ transportiert?
Zusätzlich sollen die Schüler¨*innen die im Einstieg formulieren Fragen und Zweifel im Blick behalten, so dass wir diese abschließend nach Vorstellen der Beobachtungen aus den Aufträgen besprechen können.
Nach dem längeren Eindruck aus dem Spiel waren die Schüler*innen übereinstimmend der Meinung, dass das Spiel sowohl in der spielerischen wie auch in der gestalterischen Umsetzung das Thema sehr ernsthaft und einer klaren empathisch angelegten Rollenperspektive angeht und somit eine gute Möglichkeit bietet, sich auf vielleicht auf etwas ungewöhnliche Weise mit dem Thema der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen auseinanderzusetzen. Fraglich blieb, ob das Spiel tatsächlich das Interesse insbesondere von Jugendlichen weckt, oder doch eher vor allem Geschichtslehrer*innnen begeistert. Mit letzterem könnten sie Recht haben…
