Die europäische eTwinning-Konferenz und der Leitmedienwechsel in der Schule

Die letzten drei Tage war ich in Budapest auf der europäischen Jahreskonferenz von eTwinning. Für alle Leser, die eTwinning noch nicht kennen sollten, hier eine kurze Beschreibung:

eTwinning ist ein Programm der europäischen Union, in dem seit 2005 eine  Internetplattform für europäische Schulprojekte zur Verfügung gestellt wird. Es gibt eine Lehrerplattform, die sich in Form und Aussehen zunehmend sozialen Netzwerken annähert und den Austausch zwischen Lehrkräften aus ganz Europa sowie die Anbahnung von Projektpartnerschaften ermöglichen soll. Wer zumindest einen Partner aus einem der 31 teilnehmenden Länder (neben den 27 der EU auch noch Norwegen, Island, Kroatien sowie die Türkei) hat, bekommt zur Arbeit mit den Schülern einen „virtuellen Klassenraum“, den sogenannten Twinspace, zur Verfügung gestellt, der die gängigen digitalen Werkzeuge wie Wiki, Fotogalerie, Dateiablage, Forum, Chat etc. enthält. eTwinning ist ein europäisches Leuchtturmprojekt. Aktuell sind auf der Plattform fast 130.000 Lehrkräfte registriert.

Unter anderem im Nachklapp auf das 7. Educamp und die „Keine Bildung ohne Medien“-Konferenz und in Vorbereitung auf die re:publica XI, wird in einigen Blogs sowie auf Twitter gefragt und diskutiert, warum Lehrer kaum mit digitalen Medien arbeiten (viele Befragungen scheinen das ja zu belegen) und wie sich dies gegebenenfalls ändern ließe. Es geht natürlich nicht um das Einführen und die Anleitung im Gebrauch einzelner „Werkzeuge“, sondern um die Frage, wie Schule auf die Anforderungen eines  gesellschaftlichen Wandels hin zu einer digitalen Welt reagieren muss, der mit dem Leitmedienwechsel einhergeht und grundlegend den Umgang mit Informationen (deren Rezeption, Organisation und Produktion) verändert.

Daraus folgt, dass es auch nicht nur um eine Lernplattform, hier: eTwinning, geht. Ich finde es aber – und das ist mir tatsächlich erst dieses Wochenende in Budapest klar geworden -, erstaunlich, dass eTwinning im Unterricht in so vielen Ländern bei so unterschiedlichen Lehrkräften und Schulsystemen dermaßen erfolgreich ist. Eine zentrale Frage ist ja, wie man Veränderungen im (trägen) System Schule unterstützen und fördern kann: Durch vorbildliches Vorangehen und das Ausarbeiten und Publizieren von Praxisbeispielen? Durch Verbesserung der technischen Ausstattung? Durch Lehrerfortbildungen zu einzelnen „digitalen Werkzeugen“? Durch veränderte Rahmen-, Lehrplan- und Prüfungsvorgaben? Durch Arbeitsgruppen und Mediencurricula in den Schulen oder gar ein eigenes „Medien“-Fach? Dahinter stecken im Detail durchaus kontrovers diskutierte Fragen über den zu beschreitenden Weg. Sofern sie sich nicht gegenseitig ausschließen, spielen vermutlich die Faktoren alle zusammen und bieten nur gemeinsam sinnvolle Lösungsansätze. Offen bleibt jedoch, wie der Wandel in der Breite initiiert werden kann.

Von der erfolgreichen Implementierung digitaler Medienarbeit durch eTwinning in tausenden von europäischen Schulen lässt sich meines Erachtens etwas lernen. Warum machen so viele Lehrkräfte bei eTwinning mit? Die Antwort ist einfach: Weil es ihnen einen deutlichen, leicht erkennbaren Mehrwert für ihren (Fach-) Unterricht bringt. Oder um es anders zu sagen: Man muss die Lehrer offensichtlich da abholen, wo sie stehen 😉

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Aber für eTwinning sind zehntausende Lehrkräfte bereit sich in Fortbildungen oder alleine zuhause vor dem Rechner, die nicht ganz einfache Handhabung der Plattform anzueignen. Die meisten wollen nicht mit eTwinning arbeiten, weil sie digitale Medien einsetzen wollen und sich fragen, was sie mit einer Lernplattform, einem Blog oder Wiki anfangen können, sondern weil sie mit eTwinning ihren Schüler über eTwinning authentische und zugleich sichere Kontakte zu Gleichaltrigen in anderen Ländern bieten können, mit denen die Schülerinnen und Schüler dann ihre Fremdsprachenkenntnisse anwenden, ihr Schul- und Alltagsleben vergleichen, unterschiedliche Sichtweisen und Arbeitsergebnisse austauschen und veröffentlichen können. Das ist für Schüler enorm motivierend, weil sie nicht für die Schule oder die Lehrkraft lernen, sondern mit Anwendungs-, Lebenswelt- und Gegenwartsbezug. Trotz des erhöhten Arbeitsaufwands wird eTwinning von den Lehrkräften als Bereicherung für den eigenen Unterricht und motivierend für die eigene berufliche Tätigkeit beschrieben.

Hinzu kommt aber noch etwas anderes und das scheint mir das eigentlich Spannende:

Am zweiten Tag der Konferenz gab es eine ganze Reihe von Workshops. Die meisten beschäftigten sich mit der Rolle von Schülern und Lehrern sowie den Grundlagen von Projektunterricht (daneben gab es Vorstellung von gelungenen und ausgezeichneten Projekten sowie einzelner Tools). Den Lesern dieses Blogs erzähle ich da nichts Neues: Wer mit einer Lernplattform und digitalen Werkzeugen arbeitet, braucht auch andere Formen des „Unterrichts“, veränderte Rollen von Lehrern und Lernern. Die Arbeit mit eTwinning oder anderen Lernplattformen lässt sich nicht in einen belehrenden Frontalunterricht „einbauen“ (der übrigens entsprechend der Schultraditionen in einigen europäischen Ländern viel stärker verankert ist als in Deutschland), sondern sie führt zu einer methodischen und inhaltlichen Öffnung von Unterricht, zu raum- und grenzüberschreitendem kollaborativen Arbeiten, was sich an den vielen dokumentierten eTwinning-Projekten ablesen lässt. Das gemeinsame Arbeiten auf der Lernplattformen tritt hier phasenweise an die Stelle des bisherigen Buchunterrichts. An die Stelle der Bücher tritt Kommunikation, Kollaboration und Produktion eigener „Contents“. Ausgehend von den europäischen Projekten setzen die Lehrkräfte in der Folge Lernplattformen und andere digitale Werkzeuge auch in anderen Unterrichtszusammenhängen ein. Sie werden selbstverständlicher Teil von Schule und Unterricht.

Was projekt- und prozessorientiertes Arbeiten ist, muss allerdings von vielen erst noch gelernt werden,  damit die Arbeit mit eTwinning gelingt. Die Lehrkraft nimmt sich zurück, wird zum Lernbegleiter, die Schüler rücken in den Mittelpunkt. Genau das wird europaweit in vielen eTwinning-Workshops und -konferenzen vermittelt. Der Ausgangspunkt aber, der die Bereitschaft zum Lernen, Umdenken und Verändern ausgelöst hat, war, und das scheint mir wichtig, nicht die Frage nach dem Einsatz von Technik  und Medien.

Die eingesetzten digitalen Werkzeuge sind erstmal Mittel zum Erreichen eines konkreten Zwecks. Dazu gibt es z.B. bei der Einführung des Buchdrucks ja durchaus historische Parallelen. Die daraus hervorgehende Kompetenz in der Handhabung und die Selbstverständlichkeit des Einsatzes digitaler Arbeitsmittel führt schrittweise zu einem grundlegenden Wandel des Unterrichts und in der Folge auch des Systems Schule. Ich vermute, dass vielen die Konsequenzen, die sich aus dem Einsatz der Plattform für den eigenen Unterricht ergeben (müssen), beim Einstieg in die Arbeit mit eTwinning gar nicht bewusst waren und erst die zunehmend positiven Erfahrungen und Rückmeldungen durch die Schüler zu einem grundlegenden Überdenken des eigenen Unterrichts geführt haben.

Bei entsprechendem Bedarf und Nachfrage in den Kollegien lässt sich übrigens beobachten, dass sich damit auch langsam aber stetig die Ausstattung der Schulen verbessert. Dies geschieht bei eTwinning nicht zuletzt über die Kombination mit Comenius-Projekten, in denen einzelnen Schule finanzielle Projektmittel zur Verfügung gestellt werden, aus denen sich Verbesserungen der Infrastruktur finanzieren lassen.

Ich denke, der Debatte in Deutschland würde es gut tun, nicht nur auf die sicherlich weiterhin vorhandenen Mängel und Defizite zu schauen, sondern auch auf solche, gerade in ihrer Breitenwirkung beeindruckenden, Erfolge zu schauen. Viele Schulen scheinen weiter zu sein, als man das aufgrund der publizierten Umfragen und der Diskussion über den Einsatz von Medien vermuten könnte…

Newsletter Nr. 5 Geschichtslehrerverband

Der aktuelle Newsletter des Verbands der Geschichtslehrer Deutschland ist heute erschienen und auf der Homepage des Verbandes als PDF-Dokument runterladbar.

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Der Newsletter eine „Dauerwerbesendung“?

Zitat aus dem Anschreiben „Werbeähnliche Informationen  oder  Ankündigungen von VGD-Kooperationspartnern sind nicht als Anzeigen gekennzeichnet.“ Man könnte sagen, schlimmer als Google 😉

Im Ernst: Ist das nötig? Dass der Verband (finanzielle?) Unterstützung braucht und über Kooperationen oder Sponsoring vermutlich auch erhält, ist ja ok, Hinweise auf Angebote von Partnerverbänden wie z.B. euroclio sind sogar sehr wünschenswert, aber könnte man nicht („werbeähnliche“,  vermutlich im Sinne von mit kommerziellen Interessen verbundene?) Hinweise in den eigenen Veröffentlichungen entsprechend kenntlich machen…? Warum wird darauf verzichtet und stattdessen in rot eine entsprechende Warnung vorangestellt?

Nicht nur, dass der Newsletter unübersichtlicher wird, für mich bekommt er dadurch den Charakter eine „Dauerwerbesendung“, wie man das aus dem Fernsehen kennt mit entsprechendem Hinweis vorne weg, wo dann nicht mehr unterscheidbar ist, was hier von der Redaktion des Verbandes und was von den Presseabteilungen der Kooperationspartner beigesteuert wird.

Ich persönlich fände es wichtig, im Einzelfall klar sehen zu können, ob mir hier Bücher, Zeitschriften, Internetseiten durch Fachkollegen des Verbandes empfohlen werden oder ob dies (bezahlte?) Werbeanzeigen sind.

In eigener Sache…

Ende der vergangenen Woche kam über meine Schulleitung ein Brief mit folgendem Betreff:

„Besetzung der Stelle […] als Regionaler Fachberater für das Fach Geschichte Geschichte an Gymnasien im Schulaufsichtsbezirk Koblenz (gesamt); Stellenausschreibung […] vom 25.11.2008“

und der Mitteilung, dass man sich entschieden habe, mich mit der „Stelle zu betrauen“.

Zunächst einmal freue ich mich natürlich sehr. Die beiden nun zusammengelegten Stellen der Fachberatung Geschichte im Bezirk Koblenz waren seit Jahren unbesetzt. Das Verfahren hat lange gedauert und war daher auch nervenzehrend. Ich bin gespannt und neugierig auf die neuen Aufgaben, die damit auf mich in den nächsten Wochen und Monaten zukommen.

Neben vielen anderen stellt sich auch die Frage, wie es mit diesem Blog weitergeht. Viele der hier privat geäußerten Meinungen sind in der Form vielleicht nicht immer mit der offiziellen Rolle als Fachberater kompatibel 😉 Ich muss noch darüber nachdenken, ob sich der Blog in eine Fachberaterseite umwandeln lässt oder eine zweite (quasi offizielle) Internetseite besser wäre… mal schauen.

2. Tag des Geschichtsunterrichts an der Universität Saarbrücken

Gestern fand an der Universität Saarbrücken der 2. Tag des Geschichtsunterrichts statt. Mit etwas mehr als 20 Teilnehmern war die Veranstaltung leider nicht sonderlich gut besucht, obwohl das Oberthema „Migration“ als auch das breite Workshopangebot durchaus interessant war. Es wäre den Organisatoren zu wünschen, dass durch eine Etablierung des Angebots in den Folgejahren auch mehr Teilnehmer kommen. Vielleicht könnte eine stärkere fachdidaktische Ausrichtung die Tagung für Lehrkräfte attraktiver machen.

Da mein Workshop zwei Mal stattfinden sollte, für das Panel am Morgen aber keine Anmeldungen vorlagen, hatte ich das Glück spontan selbst noch einen Workshop besuchen zu können. Akin Aslan und Franz Josef Koenen vom Verein Multikultur in Völklingen boten einen interessanten Vortrag zum Thema „Geschichtsbewusstsein unter dem Aspekt der Migration“. Während Koenen  einen Überblick über die „Zuwanderung nach Deutschland“ seit 1955 gab, stellte Aslan Ergebnisse einer Befragung von Schülern einer 9. Klasse vor. Leider blieb für die sich anschließende Diskussion, was die Beobachtungen und Befunde für den Geschichtsunterricht bedeuten könnten, zu wenig Zeit.

Anbei auch noch die Präsentationsfolienmeines Workshops und ein großes Dankeschön an die Teilnehmer für die sehr konstruktiven Rückmeldungen:

Lehrerpraxisberichte und Leitmedienwechsel

Gerade gelesen –  Bodo von Borries schreibt:

„‚Lehrerpraxisberichte‘ über Erfahrungen, Entwicklungen und Krisenbewältigungen können als eigene – höchst anregende und hilfreiche – Textgattung gelten. Sie sind seit den Siebzigerjahren, wo sie geläufig waren, leider weitgehend verschwunden.“ (in: Hodel/Ziegler (Hg.), Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 2009, Bern 2011, S. 317).

Recht hat er, aber verschwunden? Sind nicht die vielen Lehrerblogs heute genau das? Höchst anregende und hilfreiche Berichte über Erfahrungen, Entwicklungen und Krisenbewältigungen? Zumindest empfinde ich das beim Lesen der Blogs vieler Lehrkräfte unterschiedlichster Fächer so und würde mir mehr davon wünschen.

Staatsbürgerliche Kenntnisse, Nation und Europa

Laut einer Studie der IEA verfügen die Schülerinnen und Schüler in Europa über gute, über dem internationalen Schnitt liegende Kenntnisse in staatsbürgerlicher Bildung. Außerdem ergab die Studie, „dass die Schülerinnen und Schüler, obwohl sie sich stärker für politische und soziale Themen ihres eigenen Landes interessieren als für europäische oder internationale Politik“. Gleichzeitig war aber bei „der großen Mehrheit der Schülerinnen und Schüler […] das Gefühl der europäischen Identität stark ausgeprägt. Die meisten Schülerinnen und Schüler äußerten auch ihren Stolz darüber, dass ihr Land Mitglied der EU ist.“

Für die Studie wurden 2008 und 2009 in 38 Ländern mehr als 140.000 Schülerinnen und Schüler  sowie 62.000 Lehrkräfte und Schulleitungen befragt. Deutschland hat an der Studie nicht teilgenommen.

Weg vom chronologischen Durchgang

Interessante Nachricht auf edumeres: Brandenburg plant ab dem Schuljahr 2011/12 den chronologischen Durchgang zugunsten von Themenfeldern aufzugeben, so dass u.a. die DDR-Geschichte früher behandelt werden kann. Diese soll dann auch schon in Klasse 7 Thema werden im Themenbereich „Schule in Diktatur und Demokratie“, also einem schülernahen Erfahrungsraum.

Ausgelöst wurde die Änderung durch den Befund, dass Schüler so wenig über DDR-Geschichte wissen. Ähnliches gilt wohl auch für andere Gebiete. In Rheinland-Pfalz erreichen wir im chronologischen Durchgang erst in der 10. Klasse den Nationalsozialismus. Das Interesse der Schüler daran ist schon sehr viel früher vorhanden und in der Regel haben sie Teilthemen bis dahin schon mehrfach in Fächern wie Deutsch oder Religion behandelt.

Der Blog macht Sommerpause

In den nächsten Wochen wird es hier keine neuen Artikel geben. Der Blog macht Pause und ich werde die Sommerzeit (hoffentlich) dazu nutzen, mich endlich mal wieder intensiv an meine Doktorarbeit zu setzen. Ich wünsche allen, die arbeiten müssen, möglichst kühle Arbeitsplätze und allen Lehrerkollegen (weiterhin) schöne Ferien!

Blogeburtstag

Der erste Geburtstag. Im Gegensatz zu vielen anderen Blogs ein sehr zartes Alter, zugegebenermaßen. Ich erinnere mich noch gut an letztes Jahr, als dieser Blog während eines Sprachkurses in einer kleinen Pension (mit Wlan vom Nachbarhotel) im polnischen Sopot geboren wurde. Ein bisschen aus Langeweile, ein bisschen weil ich eigentlich nur mal wissen wollte, wie Blogs eigentlich funktionieren. Daraus ist nun ein Blog entstanden, der nach 365 Tagen immerhin 143 Artikel zählt.

Die am meisten angeklickten Artikel sind:

  1. Denkmäler Kindertransport
  2. Buchtipp: Zwangsumsiedlung
  3. Römer in Germanien
  4. Ist die Erde rund?
  5. Unterrichtseinheit: Karl der Große

Als Blogger kennt man in der Regel seine Leser nicht. Aus den Klicks lässt sich vermuten, dass es vor allem Lehrer auf der Suche nach Materialien im Internet sind, die den Weg auf diese Seite finden. Mein Dank geht an alle Leser,  ohne die es diesen Blog sicher nicht mehr geben würde, und besonders an die, die sich mit Kommentaren aktiv und kritisch eingebracht haben. Ich möchte diesen Blog nicht mehr missen. Ich habe durch das Jahr Bloggen selbst viel gelernt und freue mich auf die Fortsetzung!