Mit Brettspielen Geschichte(n) erzählen…

Ce0WmF-WwAA0Jbi.jpg largeGeschichte im Spiel? Geht das überhaupt? Ein Spiel muss naturgemäß zu einem gewissen Grad offen sein, den Spielern im Rahmen der Regeln Handlungsmöglichkeiten einräumen und verschiedene Endkonstellationen zulassen. Geschichte im Spiel ist daher immer kontrafaktisch. Kann man trotzdem in einem Spiel mit historischem Thema etwas über Geschichte lernen?

In dieser Woche bin ich endlich dazu gekommen, „Wir sind das Volk!“ von histogame zu spielen. Um es vorweg zu sagen: Das Spiel hat mir gut gefallen. Wer viel und gerne komplexere Strategiespiele spielt, wird das Spiel mögen.

Ich möchte aber keinen ausführlichen Spielbericht liefern, sondern das Spiel hier nur unter zwei Aspekten betrachten:

1) Kann es sinnvoll im Geschichtsunterricht eingesetzt werden?

2) Lässt sich durch das Spielen von „Wir sind das Volk!“ etwas über Geschichte lernen?

Die beiden Punkte können zusammengehen, müssen sie aber nicht. Die erste Frage ist recht schnell beantwortet, für die zweite Frage sind etwas längere Ausführungen notwendig.

Das Spiel ist von den Autoren nicht für das Lernen oder für Unterricht konzipiert, sondern vor allem als Spiel mit historischem Thema. Wobei histogame den Anspruch erhebt, Spiele mit Mechanismen zu veröffentlichen, die nicht nur aufgesetzt sind, sondern einen „engen Kontakt zum gewählten historischen Thema“ haben. Wenn man beim oder durch das Spielen noch etwas lernt, umso besser, aber das ist weder Anspruch noch Ziel der Autoren.

Nichtsdestotrotz lässt sich immer wieder lesen, dass das Spiel in den Schulunterricht gehöre (siehe z.B. den „Kundenkommentar“ zu „Wir sind das Volk!“ bei der spiele-offensive). Das scheint für viele bei einem „ernsten“ Thema nahezuliegen. Leider ist dies aber leichter gefordert als umgesetzt. Eigentlich erledigt sich die Frage von selbst. Wir haben das Spiel drei Mal in der „Gaming AG“ in der Schule aufgebaut und dennoch aufgrund von Zeitmangel und der Komplexität des Regelwerks dann doch nicht gespielt. Wie Hilke Günther-Arndt vor Jahren für die Computernutzung formulierte, für die dies so nicht mehr gilt, wird bei komplexen Brettspielen immer  „ein erheblicher Teil der kognitiven Kapazität“ durch das Erlernen spezifischer Spielregeln gebunden. Die Lernenden als Spieler können somit zunächst also gar nicht auf eine fachliche Auseinandersetzung mit dem historischen Thema und dem zugrundeliegenden Geschichtsbild fokussieren.

Selbst ohne Regellektüre und Aufbau beträgt die reine Spielzeit mindestens 1,5 Stunden. Für eine erste Partie braucht es mit Einlesen und Aufbau ca. 2-2,5 Stunden und damit erledigt sich die Frage nach einem „Einsatz“ als Unterrichtsmittel von selbst. Damit passt das Spiel in keinen Unterricht, der im 45 oder 90 Minutentakt läuft. Zeit ist in Schule eine äußert knappe Ressource. Zeitlicher Aufwand für das Spiel steht aus schulischer Sicht in einem schlechten Verhältnis zum möglichen Lerngewinn durch das Spiel in einem an Effizienz im Hinblick auf Lehrplanerfüllung und Prüfungsoutput ausgerichteten Unterricht.

Was die Frage nach dem historischen Lernen angeht, sieht es etwas anders aus. Mein Eindruck ist, dass man letztlich (imho überraschend) viel durch das Spiel lernen kann. aber anders als man zunächst vielleicht denkt, weniger Fakten und Daten. „Wir sind das Volk!“ nimmt viele Elemente deutsch-deutscher Beziehungsgeschichte auf: Über die Aktionskarten kommen Ereignisse und Entwicklungen wie die Gründung der FDJ, Mauerbau, Ölkrise, Friedensbewegung, Olympische Spiele, Computer, Farbfernsehen oder die RAF mit genauen Zeitangaben ins Spiel.

Ein Spiel muss immer ausgewogen sein. Historisch vorhandene Ungleichheiten müssen ausgeglichen werden, um allen Spielern eine gleiche Chance auf einen Sieg im Spiel einzuräumen. Nichtsdestotrotz: Wer die BRD spielt, verfällt leicht in ein Gefühl von historisch legitimitierter Siegesgewissheit, während es für den Spieler der DDR den besonderen Reiz ausmachen kann, dem kleinen, vermeintlich chancenlosen Staat im Spiel zum Sieg zu verhelfen (so bei uns geschehen) – wobei Sieg im Spiel für die DDR in diesem Fall heißt, dass die DDR auch nach 40 (Spiel-) Jahren noch nicht am Ende ist.

Die Grundanlage des Brettspiels rückt vor allem ökonomische Faktoren in den Vordergrund: Bau von Fabriken und Infrastruktur sowie Heben des Lebensstandards der Bevölkerung. Speziell die DDR hat dazu noch über die sozialistische Kaderschmiede sowie verschiedene staatliche Repressionsmaßnahmen weitere Mittel, um die Bevölkerung bei geringerem Lebensstandard „ruhig zu stellen“. Der Kalte Krieg mit Aufrüstung und gegenseitiger Bedrohung kommt wie andere Bereiche nur am Rande vor. Das ist nicht weiter schlimm, sondern eine legitime Fokussierung, durchaus vergleichbar der „didaktischen Reduktion“ für den Unterricht.

Im Spiel ging es uns allerdings so, dass wir die genauen Ereignisse der Aktionskarten kaum beachtet haben. Es ging vor allem darum, welche Folgen diese Karten auslösten: zusätzlich zwei „Unruhe“ in Sachsen platzieren, ein „Unruhe“ in einem Bundesland entfernen, eine Fabrik bauen, um „Lebensstandard“ legen zu können oder vermeiden, dass die DDR durch eine Aktion zusätzliche Devisen bekommt. Die Begriffe sind im Spiel sinnvoll historisch eingebunden, wurden aber bei unserem Spiel zu Platzhaltern, zu leeren Hüllen, die auch anders genannt hätten werden können: Die Spielmechanismen dominierten das Thema.

Es sind nach meinem Eindruck also weniger die Karten und Informationen, die Geschichtslernen befördern, vielmehr vermittelt der ganze Spielaufbau einige grundlegende Einsichten in die deutsch-deutsche Geschichte. „Wir sind das Volk!“ gelingt es im Brettspiel die deutsch-deutsche Geschichte als „assymetrisch verflochtene Parallelgeschichte“ darzustellen. Dies ist überaus gelungen und macht die (Geschichtslehrersicht) hohe Qualität des Spiels aus. Im Spiel wird deutlich, dass Entscheidungen der BRD resp. DDR auch immer in kleinerem oder größerem Umfang Auswirkungen auf den anderen Staat hatten. Es wird auch von der Spielanlage her deutlich, dass es um einen Konkurrenzkampf zweier ungleicher Staaten mit unterschiedlichsten Mitteln (Wirtschaftsattacken, Attraktivität des Lebensstandards, Großereignisse 20160401_162136usw) ging, der dauerhaft über die „Prestigeleiste“ präsent ist und über Prestigegewinne und -verluste je nach den Entscheidungen der Spieler permament in Bewegung ist.

Auch die Abhängigkeit der DDR von Devisen wird sehr klar. Spielt der BRD-Spieler z.B. die Karte „Gefangenenfreikauf“, reduziert dies die „Unruhe“ in der DDR und die DDR erhält Devisen. Beides hilft ihr Überleben als Staat zu sichern. Warum sollte ich als BRD diese Aktion ausführen? Der Spieler hat verschiedene Möglichkeiten, es zu vermeiden, diese Karte zu spielen. Im Spiel wird „die BRD“ dies auch tun, historisch gesehen hat es diese Häftlingsfreikäufe aber gegeben. Warum? Hier kommt das Spiel an seine Grenzen. Es liefert keine Erklärungen. Es ist aber stark, dass das Spiel solche Fragen aufwirft und damit ein vertieftes Interesse am Thema schaffen kann.

Zum Schluss noch ein Ausblick: Dort wo die Grenzen dieses Brettspiels liegen, fangen die Potentiale für historisches Lernen durch ein anderes Brettspielgenre an. Diese Woche habe ich zum ersten Mal T.I.M.E. Stories gespielt. Das Spiel ist im Aufbau orientiert an Videospielen: Es gibt einen begrenzten Raum, in der ersten Mission das Gelände einer Nervenheilanstalt mit verschiedenen Räumen, die die Spieler erkunden, dort Objekte finden, die ihnen weiterhelfen, von Personen Hinweise erhalten oder auf falsche Fährten gelockt werden, um schließlich ein Rätsel zu lösen und die Mission zu erfüllen. Wer sich weniger mit Videospielen auskennt, erinnert sich vielleicht noch an die klassischen Pen&Paper-Rollenspiele oder die „interaktiven“ Bücher, bei denen man am Ende eines Abschnitts entscheidet, wie der Held handelt, um dann jeweils an anderer Stelle mit möglichem anderen Ausgang der Geschichte weiterzulesen.

Genau so funktioniert T.I.M.E. Stories, nur eben als Brettspiel. Im englischen gibt es für dieses neue Genre schon den Begriff „narrative games“; Spiele also, die das Erzählen einer Geschichte in den Mittelpunkt stellen. In diesem Spielprinzip liegt meines Erachtens ein großes Potential für die Umsetzung historischer Themen als Brettspiel, weil die Mechanismen in den Hintergrund treten und auch individuelle Entscheidungen mit möglichen Gründen oder Zwängen (ggf. wiederum natürlich auch kontrafaktisch) abgebildet und erzählt werden können. Damit ließen sich historische Themen, die weniger über staatliche oder wirtschaftliche Strukturen abzubilden sind, wie die RAF oder die Solidarnosc, in Form eines Brettspiels darstellen. Die narrative Struktur von T.I.M.E. Stories führt zudem dazu, dass die erzählte Geschichte mit den auftretenden Personen und dem gesamten Kontext gegenüber den Spielmechanismen in den Vordergrund rückt und, da für das Lösen des Rätsels entscheidend, immer wieder inhaltlich aufgegriffen und diskutiert werden und sich somit auch langfristig einprägen.

Ich würde gerne mal ausprobieren, das Spielprinzip von T.I.M.E. Stories aufzugreifen, zu adaptieren und nicht in einem fiktiven, sondern einem historischen Handlungsrahmen anzusiedeln und z.B. für einen bekannten oder weniger bekannten historischen Mordfall, wie die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs, umzusetzen. Eine Idee, die mich schon seit dem Referendariat umtreibt, bislang fehlte allerdings der zündende Gedanke für eine mögliche Umsetzung.

Allerdings sprengt auch dieses Spielprinzip jeden Zeitrahmen, der im schulischen Geschichtsunterricht üblicherweise zur Verfügung steht…

Prüfung historischer Bildquellen. Beispiel: Foto aus Kabul von 1972?

Theorie ist gut, aber funktioniert sie auch in der Praxis? Um die Leitfragen aus dem letzten Beitrag zu prüfen, habe ich mir mal folgendes (vielen vermutlich bekanntes) Bild vorgenommen:

https://twitter.com/Historicalmages/status/652830539687325696

Zeitgleich zu meinem Beitrag zur digitalen Bildquellenkritik schrieb jemand auf Twitter zu dem obigen Bild:

https://twitter.com/RainerSteinke/status/653101472071196672

Wenn man genau hinschaut, kann man tatsächlich den Eindruck haben, dass die Köpfe nachträglich verändert und aufgesetzt wurden. Aber stimmt die Vermutung oder handelt es sich um ein unverfälschtes Bild? Und selbst dann: Zeigt es tatsächlich eine alltäglich, typische Straßenszene aus Kabul im Jahr 1972?

An Afghan school girl sings a prayer in celebration and for blessing during a ground breaking ceremony in the village of Dar Bhabba in the Nangahar province May 15. The school that will be built here is funded by the Jalalabad Provincial Reconstruction Team. Photo by United States Army, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Afghan_girls_in_Nangarhar.jpg

An Afghan school girl sings a prayer in celebration and for blessing during a ground breaking ceremony in the village of Dar Bhabba in the Nangahar province. The school that will be built here is funded by the Jalalabad Provincial Reconstruction Team. Photo from May 15, 2007  by United States Army (Public Domain), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Afghan_girls_in_Nangarhar.jpg

15 May 2007

Das Bild ist stark, weil es im Kontrast zu unserer heutigen Vorstellung von Afghanistan steht. Die Vergangenheit Afghanistans „vor den Taliban“ wird bildlich verdichtet zu einem modern, westlich orientierten Land. Dabei schwingt beim Betrachter dann mit, dass dies heute nicht mehr so ist, diese „gute Zeit“ durch Terrorismus und Islam(ismus) vernichtet wurde. Dabei könnte es aufgrund der zeitlichen und räumlichen Einordnung ebenso mit einem Titel „Afghanistan vor dem Einmarsch der Sowjetunion“ versehen werden… erst die Bildunterschrift ordnet das Foto ein und nimmt eine wertende Bedeutungszuschreibung vor.

In der Bildersuche bei Google findet sich über 600 Fundstellen, vor allem auf Twitter, aber auch in zahlreichen Blogs. Allerdings finden sich fast nirgendwo Informationen zum Bild. Es wird fast ausschließlich benutzt, um den Verlust von Frauen- und Menschenrechten in Afghanistan zu illustrieren, leider immer ohne Quellenangaben (siehe z.B. hier: http://www.amnesty.org.uk/womens-rights-afghanistan-history#.VhuIMCuoPJA) Auf einigen Seiten wird die Ausdruckskraft des Bildes mit dem Spruch: „Ein Bild sagt mehr als Tausend Worte“ auch explizit evoziert. Ich habe keine Seiten gefunden, die den Kontext oder die Frage nach der Authentizität des Bildes diskutiert. Vermutlich haben die meisten Blogger dieses Bild selbst über eine (Google-) Suche gefunden und als passende Illustration für ihren Beitrag übernommen. Das Foto wird immer wieder unhinterfragt in einen ähnlichen Kontext eingebettet, dadurch verbreitet es sich nicht nur weiter, es erhält so auch eine wachsende Trefferrelevanz zu dem Thema in den Suchmaschinen und damit eine Art virale Form der Glaubwürdigkeitsbestätigung durch Reproduktion und Verlinkung.

Auffällig ist, dass auf einigen Bilder in der Google-Suche auch eine Überschrift auf Portugiesisch rechts im Bild („Cabul antes do Taleban“ – Kabul vor den Taliban) sowie ein längerer, aber auch in Vergrößerung kaum lesbarer Text in weißer Schrift links unten im Bild.

Sucht man nun diese „Überschrift“ kommt man auch auf folgende Seite: http://the1988.blogspot.de/2008/03/strangers-when-we-meet.html Dort ist der kleinere portugiesische Text in voller Länge wiedergegeben und verweist auch auf eine Fotografin, Harriet Logan, und ein Buch, „Frauen in Kabul“.

Recherche mit dem Namen ergibt folgendes Ergebnis: „The award-winning photographer Harriet Logan first travelled to Afghanistan in December 1997“ (http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/7637622.stm) Die Fotografin ist 1967 geboren und daher selbst mit Sicherheit nicht die Autorin des gesuchten Fotos, zumal sie 1997 zum ersten Mal in Afghanistan gewesen ist (Interview: http://www.bedales.org.uk/alumni/harriet-logan). Nicht auszuschließen ist allerdings, dass sie das schwarz-weiß Foto in ihrem Band verwendet hat, z.B. als Kontrast zu ihren eigenen Fotografien. Dies wäre dann im Bildband selbst zu prüfen, der mit genauem Titel heißt: Unveiled: Voices of women in Afghanistan. Ein Bild der Google-Suche zeigt eine Fotografie der Abbildung aus einem Heft oder Buch. Dem bin ich nicht weiter nachgegangen.

Andere Seiten verweisen auf einen „unbekannten Fotografen“, was aufgrund der Überlieferung bei Bildern nicht selten ist. Die Suche nach dem Bild führt auch zu Galerien mit Farbbildern aus dem Afghanistan der 1970er Jahren (z.B. Der Spiegel oder Daily Mail) . Das gesuchte S/W-Foto findet sich dort allerdings nicht.

Fazit

Der Versuch zeigt, dass der Onlinesuche allein vergleichsweise enge Grenzen gesetzt sind, um die Echtheit eines digital vorliegenden Bilds zu prüfen. Weder das Wer, Was, Wo noch Warum konnten eindeutig geklärt werden. Dennoch können aufgrund der Fundstellen einige hilfreiche Feststellungen zu dem überprüften Bild getroffen werden:

  • Der Vergleich über die Google-Bildersuche macht es sehr wahrscheinlich, dass hier ein Originalbild vorliegt, dass (abgesehen von den Schriftelement aus der Printveröffentlichung) nicht verändert oder aus verschiedenen Elementen neu zusammengesetzt wurde
  • ob das Foto das zeigt, was behauptet wird, nämlich westlich gekleidete Frauen in Kabul im Jahr 1972 kann hingegen nicht definitiv beantwortet werden, allerdings:
  • verweist die Kleidung der Frauen auf die 1970er Jahre und
  • der Vergleich mit anderen sicher belegten und verorteten Fotografien aus den 1970er Jahren zeigt ähnlich gekleidete Frauen, auch afghanische –  wobei es anhand der Fotos scheint, als ob dies eher eine auf bestimmte Milieus und die Hauptstadt beschränkte Ausnahme war.
  • Der Vergleich zeigt auch: Das Foto allein eignet sich nicht zur Illustration typischer Lebensumstände der gesamten Bevölkerung in Afghanistan in den 1970ern Jahren. Das Bild ergänzt um die implizite oder explizite Behauptung „So war das Leben der Frauen vor den Taliban in Afghanistan.“ ist auf jeden Fall irreführend.
  • Abschließend lässt sich festhalten, dass es sich um ein historisch mögliches Foto handelt, dass durchaus zu Ort und Zeit passen könnte.

Auch wenn ich die Ergebnisse der kurzen (ca. 30 Minuten) Recherche als unbefriedigend empfinde, wäre es aus meiner Sicht notwendig nicht erst in der Universität, sondern bereits in der Schule solche Verfahren einzuüben, ihre Möglichkeiten und Grenzen kennenzulernen und vor allem die Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, selbst die Aussagereichweite ihrer Recherche sowie damit die Authentizität von Bildquellen bewerten zu können.

Neues von Euroclio

Im Rahmen des Historiana-Projekts von euroclio ist ein neues Modul zum Thema „Internment without a trial“ (also: Internierung bzw. Haft ohne einen Gerichtsprozess) online. Es umfasst schwerpunktmäßig Materialien zur NS-Diktatur sowie zum Kommunismus im 20. Jahrhunderts in Europa. Zugleich hat das Thema einen starken Gegenwartsbezug, der auch explizit aufgegriffen wird („bigger picture„), wenn Bastille-800pxman z.B. an Guantanamo denkt, aber auch an die Diskussionen über die Aufweichung oder Aufhebung von Grundrechten in europäischen Ländern zur vermeintlichen Abwehr von Terroranschlägen.

Das Thema besitzt auch eine historische Tiefe, die die Materialien von Euroclio allerdings nicht bieten. In dem Zusammenhang lassen sich z.B. auch der Habeas Corpus Act in England, die Bastille als Gefängnis und die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (bes. Art. 7) während der Französischen Revolution thematisieren und als offenkundig immer wieder gefährdete Errungenschaften einordnen.

Beispielhaft ausgewählt wurden die Lager Buchenwald und Lamsdorf. Beide Orte haben eine über das Ende des 2. Weltkriegs hinausgehende Kontinuität, da sie sowohl durch die Nationalsozialisten wie auch anschließend als Internierungslager genutzt wurden. So lassen sich z.B. Haftgründe, Häftlingsgruppen und Haftbedingungen vergleichen, um so einen differenzierten Blick in beide Systeme unter dem Aspekt der Verfolgung und Unterdrückung zu bekommen. Speziell Lamsdorf auch Möglichkeit das Thema „Kriegsgefangenenschaft“ aufzugreifen und in einem Längsschnitt ab 1870/71 zu betrachten.

Materialien sind unter CC BY – Lizenz als Open Educational Resources (teilweise auch NC) veröffentlicht, allerdings nur auf Englisch verfügbar und außer in bilingualen Klassen vermutlich in der Regel nicht 1 zu 1 im Unterricht einzusetzen. Dennoch lohnt der Blick um vor allem anhand von Leitfragen, Aufbau, Einbettung und der Lehr-/Lernmaterialien zum Thema (als PDF und Word Dateien) didaktische und methodische Anregungen zu erhalten, die auch auf andere Beispiele oder Materialien angewendet werden und so den eigenen Unterricht bereichern können. Für Übersetzungen fehlen die finanzielle Ressourcen. Falls sich jedoch Freiwillige finden, die die Module und Materialien übersetzen, können über die Historiana auch andere Sprachversionen angeboten werden.

Euroclio hat im Rahmen des Historiana-Projekts auch begonnen, Online-Anwendungen speziell für den Geschichtsunterricht zu entwickeln. Das erste Tool, das bereits zur Verfügung steht, ermöglicht die Beschreibung und Analyse Text- und Bildquellen (siehe auch das Beispiel hier) durch Annotationen. Es funktioniert ähnlich wie z.B. das bekannte Thinglink (zum Einsatz von Thinglink im Geschichtsunterricht siehe den Beitrag im Geo&Ges-Wiki).

Weitere Anwendungen sind bereits geplant und werden in den nächsten Monaten folgen. Vorteile, der von Euroclio entwickelten Tools sind: Das Angebot ist kostenlos, es steht dauerhaft zur Verfügung und ist in mehreren Sprachen verfügbar. Da noch in Entwicklung befindlich wird ausdrücklich Rückmeldungen gebeten bei auftretenden Fehlern, aber auch bei Anregungen und Ideen für Verbesserung und Weiterentwicklung. Als Grundlage für die Entwicklung weiterer Apps gibt es auch einen kurzen Fragebogen zur „Computer- und Internetnutzung“ von Geschichtslehrkräften im Unterricht.

Anregungen zur Arbeit mit dem Trickfilm „1989 – Unsere Heimat…“

Normalerweise mache ich den Fernseher aus, wenn eine Geschichts-Doku kommt. Vermutlich bin ich da zu sehr typischer Lehrer, eigentlich ein Besserwisser, der seine schlechte Angewohnheit zum Beruf gemacht hat. Für Bewohlfinden und Blutdruck ist das Nichtschauen in der Regel die beste Lösung.

Das meiste geht gar nicht, ist historisch falsch oder zumindest fehlerhaft und schief dargestellt oder schlicht unglaublich langweilig und eignet sich für den Unterricht allenfalls zur Untersuchung und Dekonstruktion der Erzählung eingesetzten filmischen Mittel…

Als ich dann vor ein paar Monaten von einem Trickfilm zur friedlichen Revolution hörte, war ich entsprechend kritisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der irgendwie gelungen war. Nachdem ich mir die knapp 13 Minuten dann in der ARD Mediathek (dort noch online verfügbar bis zum 7.11.2015) angeschaut hatte, war alles anders: Ich war begeistert und bin es noch immer, obwohl ich den Film mittlerweile sicher ein Dutzend Mal angeschaut habe. Der Film ist gut gemacht und so detailreich, dass ich bislang jedes Mal noch etwas Neues entdeckt habe…

1989 BannerEs hat sich dann übrigens ergeben, dass der Autor des Films, Schwarwel, letzte Woche im Rahmen eine Workshop-Tour durch alle 16 Bundesländer, die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert wird, einen tollen Trickfilm-Workshop bei mir an der Schule gehalten hat – dazu in einem späteren Beitrag noch einmal ausführlicher.

Nachdem ich den Film nun schon so oft gesehen und in der Projektwoche mit den Schülerinnen und Schülern auch besprochen habe, habe ich mich mal ein paar Ideen für mögliche Aufgaben zusammengestellt, um mit dem Film „1989 – Unsere Heimat…“ im Geschichtsunterricht zu arbeiten. Gerade weil der Film weniger als eine Viertelstunde dauert und zugleich als Trickfilm Geschichte unterhaltsam, aber trotzdem historisch korrekt mit einer gelungenen Verbindung von weltgeschichtlichen mit nationalen Ereignissen und mit biographischen Elementen erzählt, eignet er sich sehr gut für den Unterricht.

Die Aufgabensammlung ist als Anregung gedacht. Die Aufgaben sind weder in der Reihenfolge noch in vollem Umfang sinnvoll. Sie müssen je nach Alter und Vorkenntnissen ausgewählt, an die Lerngruppe und- situation angepasst, vereinfacht oder ergänzt werden. Möglich ist auch durch unterschiedliche Aufgaben binnendifferenzierte Lernangebote zu machen.

Wer sich dafür interessiert, kann die Ideensammlung hier als ODT oder PDF runterladen.

Ergänzungen, Hinweise, Anregungen und Kritik sind wie immer willkommen. Der Film ist übrigens auch für 5€ als DVD bestellbar. Eine vergleichsweise kleine Anschaffung, die hiermit jeder Fachkonferenz Geschichte empfohlen sei.

Update: Das vollständige Video ist vom Verlag auf dem Videoportal Vimeo eingestellt worden: https://vimeo.com/269450025

Internationales Schulprojekt zur Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg

Titelbild des Projektblogs

Titelbild des Projektblogs

Über die schwierige Suche nach einem Titelbild für das Blog hatte ich ja bereits berichtet. Es ist dann in der Tat eine Collage mit Bildern aus den zunächst vier teilnehmenden Ländern geworden. Mittlerweile ist noch eine Schule aus Kanada neu im Projekt dabei. Das bringt eine spannende Perspektiverweiterung in das Projekt, macht aber auch nötig, dass wir – streng genommen – die Einschränkung „europäisch“ aus dem Titel streichen müssen. Mal schauen, ob wir dafür auch das Titelbild neu gestalten. Das Blog zum Projekt enthält naheliegenderweise noch nicht viele Einträge, aber es ist bereits online. Wer sich für Projekt oder Thema interessiert, findet dort in den nächsten Wochen hoffentlich viele interessante Beiträge aus den verschiedenen Schulen: https://ww1remembrance.wordpress.com

Zypern: 40 Jahre Teilung, 10 Jahre EU-Beitritt des Südens

Auch wenn sich bei Zypern nur schlecht von „mitten in Europa“ sprechen lässt, liegt es geographisch doch eher am Rand, so sei an dieser Stelle zum Jahrestag der türkischen Invasion daran erinnert, dass es innerhalb der EU weiterhin ein geteiltes Land mit geteilter Hauptstadt und einem Sperrgebiet inklusive UN-Blauhelm-Soldaten gibt. Das Zypern-Problem war mir bis zu einem Urlaub auf der Insel vor ein paar Monaten nicht präsent. Es scheint gerade im „Mega-Gedenkjahr“ 2014 und angesichts der aktuellen Konflikte in Nahost und der Ukraine auch sonst weitgehend vergessen.

Der Besuch vor Ort hat bei mir allerdings einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Fotos zeigen die geteilte Hauptstadt, den Absperrungen der „Pufferzone“ und die „Geisterstadt“ Varosia, die damals einer der modernsten Ferienorte war, seit 40 Jahren im Sperrgebiet liegt und langsam verfällt und dadurch paradoxerweise wieder zur Touristenattraktion wird.

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Der Norden hat sich als Türkische Republik Zypern 1983 unabhängig erklärt, wird aber nur von der Türkei anerkannt, die weiterhin Zehntausende von Soldaten im Norden stationiert hat. Der EU-Beitrittskandidat Türkei ist also zugleich Besatzungsmacht. Nur der Süden ist international anerkannt und trotz des ungelösten Teilungsproblems seit 2004 EU-Mitglied. Auch wenn die Nichtanerkennung und Begriffe wie Besatzungsmacht eine eindeutige Schuldzuweisung nahelegen, ist der Konflikt historisch komplexer. Das Instrumentalisieren und Ausspielen der beiden ursprünglich gemischt siedelnden Volksgruppen geht mindestens auf die Zeit der britischen Kolonialherrschaft zurück.

Die Invasion erfolgte aus türkischer Sicht, um die türkischsprachige Minderheit zu schützen, nachdem es langjährige zunehmend aggressive Konflikte auf der Insel gegeben hatte und eine Annexion ganz Zyperns durch die Militärjunta in Athen befürchtet wurde. Beide Nato-Mitglieder Türkei und Griechenland befanden sich 1974 am Rande eines Kriegs, der nur durch internationale Vermittlung vermieden werden konnte. Die Trennungslinie von vor 40 Jahren existiert auch heute noch. Die Militärjunta in Griechenland stürzte über den Konflikt auf Zypern, was den Weg erst frei machte für Beitrittsverhandlungen Griechenlands mit der EU, die 1976 begannen und zum Beitritt Griechenlands 1981 führten.

Zur Einführung in Geschichte und Gegenwart Zyperns eignet sich gut das Heft aus Politik und Zeitgeschichte von 2009, das auf den Seiten der BpB gelesen und auch als PDF heruntergeladen werden kann. Einführend mit einem guten, wenn auch kurzen historischen Überblick lässt sich auch die leider schon ältere Folge der Arte-Sendung „Mit offenen Karten“ anschauen:

Zum Jahrestag gibt es bei der ARD einen Überblickbericht, der auch downloadbar ist sowie einen Podcast des Deutschlandfunks. Einen Blick in die „Geisterstadt“ Varsosia bei Famagusta bietet aktuell der kurze Beitrag von Euronews, der zum Jahrestag auch die Zukunftsperspektiven der geteilten Insel anreißt. Al Jazeera hat zum Jahrestag eine Umfrage in Zypern zur Einschätzung der politischen Zukunft der Insel durchgeführt. Die Antworten auf die Fragen 2 und 4 können vergleichend auch gut zum Einstieg in das Thema im Geschichts- oder Politikunterricht benutzt werden.

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Einer Karikatur auf der Spur 2: über die Online-Suche zur Entschlüsselung unbekannter Bilder

Der Wahre Jakob, 20.2.1906, Karikatur: Aus unseren Kolonien.

Karikatur: Aus unseren Kolonien, aus: Der Wahre Jacob, 20.2.1906 .

Eine Karikatur. Noch eine. Ein spannendes Thema. Mit Begeisterung entdecke ich, welche großartigen Bestände bereits online verfügbar sind. Neu entdeckt habe ich den „Wahren Jacob“, der gleichfalls von der Universitätsbibliothek Heidelberg digitalisiert wurde. Schülerinnen aus dem Leistungskurs haben für ihre Stunde im Rahmen einer LdL-Reihe, diese Karikatur gefunden, konnten aber die beiden abgebildeten Männer nicht identifizieren und hatten deshalb um Unterstützung gebeten.

Das war der Startschuss einer etwas umfangreicheren Suchaktion, die ich mit diesem Beitrag dokumentieren möchte. Was wir hier in wenigen Stunden am Computer recherchiert haben, hätte vor zehn Jahren noch Tage mit ausführlichen Bibliotheksbesuchen benötigt. Bevor ich die Rechercheschritte beschreibe, vorab noch zwei Bemerkungen:

Zum einen der Hinweis, wie spannend Lernen durch Lehren (LdL) sein kann, wenn Schülerinnen und Schüler selbst Material online für ihre Stunden zusammenstellen. Das fällt nicht selten raus aus dem Kanon der üblicherweise genutzten und oft reproduzierten Quellen und Darstellungen und hat mich um einige tolle und spannende Funde bereichert, die ich bislang nicht kannte und sicher bei anderer Gelegenheit auch selbst im Unterricht mal einsetzen werde.

Zum anderen: ganz herzlichen Dank an @frandevol und @kaiserkath, die gestern auf meine Bitte via Twitter um Hilfe bei der Suche reagiert und fieberhaft mit gesucht haben. Das war super und sehr hilfreich!

Ausgangspunkt war ein qualitativ eher schlechter Scan der Karikatur aus einem Buch, der sich auch in der englischsprachigen Wikipedia findet. Die Datierung ist mit 1906 noch recht ungenau. Die Bildersuche von Google oder Bing hilft nicht weiter. Wohl aber die Suche nach einem Digitalisat des „Wahren Jacob“, bei dessen Durchsicht der Voranschau des Jahrgangs 1906 man schnell auf die Karikatur stößt. Die Volltextsuche wäre eine hilfreiche Alternative, hat allerdings leider nicht funktioniert.

Der Vorteil der digitalisierten Zeitung ist, dass die Karikatur im Kontext ihrer Publikation betrachtet werden kann. Das hilft in diesem Fall auch nicht weiter. Weil das Heft keine weiteren Informationen zu dem Thema enthält.

Die erste Vermutung war nun, da keine Namen oder weiteren Hinweise angegeben sind, dass es sich um bekannte Personen handeln muss, die sich für die Leser der Zeitung keiner weiteren Erläuterung mehr bedurften. Da der Titel „Aus unseren Kolonien“ lautet, war anzunehmen, dass es sich um Personen handelt, die nicht nur weithin bekannt waren, sondern sich 1906 auch in einer der deutschen Kolonien in Afrika aufgehalten haben.

Dass es sich um eine der deutschen Kolonien in Afrika handeln muss, ist aus dem Possessivbegleiter „unseren“ sowie dem historischen Kontext abzuleiten. In das Jahr 1906 fallen sowohl der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika sowie der Herero-Krieg in Deutsch-Südwestafrika. Die genaue Lokalisierung bleibt also zunächst unklar, ist vielleicht aber auch intendiert.

Da wir von optischen Ähnlichkeiten mit historischen Personen ausgingen, haben wir über online verfügbare Listen und Porträts das Führungspersonal der Kolonialverwaltung in beiden Kolonien sowie der Kolonialabteilung bzw. des späteren Reichskolonialamtes überprüft.

Dabei fanden sich gewisse Ähnlichkeiten, aber keine die letztendlich eindeutig oder überzeugend gewesen wäre. Nach der Ausweitung der Suche auf „Industrielle“ entstand die Idee, die wir letztlich auch für schlüssig zur Interpretation der Karikatur halten, dass es sich nämlich nicht um zwei konkrete Personen, sondern vielmehr um Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen, des Adels/Koloniallobby und der Industriellen, handelt.

Das passt insofern ins Bild, als es sich bei Wahren Jacob um die zentrale Zeitung der SPD handelt, die auf Grundlage des Marxismus nicht einzelne Personen, sondern „Klassen“ für den Gang der Geschichte, und damit auch für die Kolonialverbrechen, verantwortlich macht. Gekennzeichnet sind sie durch entsprechende Attribute (dicker Bauch, Zigarre, Zylinder, Monokel etc.).

Irritierend bleibt die in schwarz-weiß angedeutete Farbenfolge der Flagge: Man vermutet „schwarz-rot-gold“, was so gar nicht passen mag, weil die Farben des Deutschen Reiches ja „schwarz-weiß-rot“ waren, die aber hier offenkundig nicht abgebildet sind. Ganz klären ließ sich die Frage nach dem Warum nicht. Hinweise sind herzlich willkommen, auch falls sich an anderer Stelle ein Fehler eingeschlichen haben sollte.

Bekanntermaßen steht „Schwarz-Rot-Gold“ eigentlich für die demokratischen Traditionen der deutschen Geschichte. Deshalb irritiert die Fahne in dieser Karikatur. Zunächst haben wir überprüft, ob es im Bereich der deutschen Kolonialflaggen vielleicht eine besondere Farbkombination gab, die im Bild wiedergegeben sein könnte. Dem ist aber nicht so. Alle deutschen Kolonialflaggen basierten auf den Farben der Reichsfahne (siehe die umfangreiche Übersicht in der Wikipedia).

Ein Hinweis zur Deutung der vermutlich „schwarz-rot-goldenen“ Flagge fand sich dann doch, gleichfalls in der Wikipedia:

„Interessant ist die Tatsache, dass einige rechtsextreme Gruppierungen und Parteien die Farben Schwarz-Rot-Gold als Ausdruck ihrer „nationalen Opposition“ wählten. So hieß es in den „Leitzielen“ der im Jahr 1900 aus der Spaltung der Deutsch-Sozialen Reformpartei hervorgegangenen antisemitischen Gruppierung gleichen Namens: „Wir brauchen ein deutsches Zentrum, eine deutsch-soziale Reformpartei. Ihr Banner sei schwarz-gold-rot, die Fahne des geeinten Großdeutschlands (österreichisch schwarz-gold und deutsch schwarz-weiß-rot vereinigt)“.

[…]  Insgesamt sah das gesamte „großdeutsche Lager“ in Schwarz-Rot-Gold den Ausdruck der eigenen politischen Zielsetzung. Neben den antisemitischen Parteien gehörten dazu vor allem auch die Linksliberalen in Bayern, Baden und Württemberg.

Die Farben Schwarz-Rot-Gold spielten auch eine nicht unbedeutende Rolle in der Völkischen Bewegung. Grundsätzlich bestand dort die Tendenz, die Farben der alten Nationalbewegung zu übernehmen und für die eigenen Zwecke anzupassen.“

Ich muss zugeben, das war mir bislang völlig unbekannt, aber die Erklärung für das Nutzen der Farben scheint schlüssig und sie liefert einen Hinweis für das Verständnis der Karikatur: Bringt man nämlich völkische Bewegung und Imperialismus zusammen, landet man schnell beim Alldeutschen Verband (ADV), dessen Position in der Karikatur vermutlich kritisiert werden soll. Und tatsächlich finden sich auch für das Jahr 1906, wenn zeitlich etwas später belegt, Aussagen des damaligen Vorsitzenden, die sehr gut zur Bildunterschrift der Karikatur passen (vgl. PDF, S. 3).

Für eine abschließende Klärung müssten noch weitere Informationen hinzugezogen werden. Eine kursorische Durchsicht des Wahren Jacob, ob z.B. die schwarz-rot-goldene Flagge in anderem Zusammenhang eindeutig mit dem Alldeutschen Verband in Verbindung gebracht wird, blieb erfolglos. Ggf. wären auch optische Ähnlichkeiten mit zwischen dem Führungspersonal des ADV und den abgebildeten Personen zu prüfen.

Auch wenn wir die Karikatur nicht zweifelsfrei entschlüsseln konnten, stehen für mich am Ende der Recherche drei Erkenntnisse:

1) Die schnellen und vergleichsweise effektiven Möglichkeiten im Internet eigene Hypothesen zu prüfen, indem man gemeinsam arbeitet und unterschiedliche Suchstrategien miteinander verbindet. Auch wenn keine Einordnung oder Darstellung vorliegt, lassen sich auf diese Weise unbekannte historische Bilder entschlüsseln, vielleicht nicht immer eindeutig, aber zumindest weitgehend.

2) Vor 20 Jahren, im ausgehenden Zeitalter der Zettelkästen, hätte es viel Erfahrung und Wissen benötigt, um diese Operationen zum Entschlüsseln einer unbekannten Karikatur durchzuführen. Wo hätte man die Biographien und ggf. Porträts von Kolonialbeamten nachschlagen können, deren Namen man nicht einmal kennt, sondern nur deren Funktionen? Wo wäre eine Übersicht der Kolonialflaggen verfügbar gewesen? Damals eher eine Arbeit für ausgebildete Historiker, für Studierende schon schwierig, für Schüler unmöglich.

Die beschriebene Vorgehensweise zeigt, wie wichtig es ist, angesichts der vielen und schnell verfügbaren Informationen, selbst Fragen formulieren und Hypothesen aufstellen zu können, um diese dann zu prüfen. Diese „detektivische“ Spurensuche kann Spaß machen, muss aber systematisch angeleitet und gelernt werden. Einfach mal im Internet suchen als Auftrag im Unterricht reicht nicht aus.

3) Die Erfahrung, die vermutlich viele Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht machen, wenn sie vor einer Karikatur sitzen und weder die Personen noch die Symbole (er)kennen. Wir Geschichtslehrer „lesen“ und deuten die Karikaturen, weil wir Symbole und Personen wiedererkennen. Es ist für angehende und im Beruf stehende Lehrkräfte eine hilfreiche Erfahrung, mindestens einmal vor einer Karikatur gesessen zu haben, die sie auch nach ihrem Studium nicht verstehen. Das ist vergleichbar mit der Vorgabe, dass wer Deutsch als Fremdsprache lernt, in seinem Studium auch eine Sprache mit nicht-lateinischen Schriftzeichen erlernen muss, um die Schwierigkeiten der Lernenden besser nachvollziehen zu können.

Zum Verstehen von Karikaturen braucht es letztlich eine große „Bilderdatenbank“ im Kopf, die zum Vergleich mit den Elementen, Symbolen und Personen einer Zeichnung abgerufen werden kann. Ähnliches gilt für Anspielungen auf Religion, Mythologie und Redewendungen, die vielen Schülerinnen und Schülern völlig unbekannt sind. Das ist ein Grund, warum Karikaturen im Unterricht für Lernende so unglaublich schwierig sind. Was spräche dagegen statt nur sehr einfache Karikaturen auszuwählen oder Frustrationen aufzubauen, den Schwerpunkt ein wenig zu verschieben und mit den Schülerinnen und Schüler das Internet zu nutzen, um Recherche- und Vergleichsstrategien zur Entschlüsselung historischer Bilder zu entwickeln und einzuüben?

Mobiles Lernen vor 60 Jahren: Der Späher

20131003_173557Bevor wir morgen in kleinem Kreis die GeschichtsApp im Bundesarchiv vorstellen und diskutieren, anbei ein Hinweis, den ich Herrn Müller verdanke, mit dem ich in den letzten Monat sehr intensiv bei der Entwicklung der Web-App zusammengearbeitet habe.

Mobiles Lernen ist eines der ganz großes Themen im Bildungsbereich im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Endgeräte (siehe z.B. zuletzt die Mobile Learning Week der UNESCO). Natürlich haben sich durch die Digitalität die Rahmenbedingungen verschoben, trotzdem fand ich den Fund interessant, der zeigt, wie alt die didaktischen Ideen die nun wieder oder neu erfunden werden, eigentlich schon sind.

„Der Späher“ war Serie von Heftchen für Kinder, die zur ab 1953 erscheinenden, „Sternchen“ genannten Kinderbeilage des 1948 gegründeten Stern herausgegeben wurden. Die Hefte erschienen Mitte der 1950er Jahre. Im Netz finden sich nur wenige Informationen dazu. Hinweise auf weitere Infos sind willkommen.

Die Heft sind so angelegt, dass Kinder selbst ihre Lebensumwelt selbstständig entdecken und ihre Entdeckungen im Heft dokumentieren können. Das Ganze ist zudem verpackt in eine kleine ausgedachte Rahmengeschichte:

20131003_173638Das vorliegende Heft zielte besonders auf Architektur- und Kunstgeschichte. So werden z.B. Romanik und Gotik erklärt. Im Wohnort sollten dafür dann Beispiel gesucht werden und mit Name und Adresse des Gebäudes im Heft notiert.

Sehr spannend fand ich die letzte Seite des Hefts, die für mich die Mentalität der 1950er Jahre widerspiegelt. Vater, Mutter oder Lehrer sollen die Eintragungen im Heft prüfen! Es leben die familiären und schulischen Autoritäten.Das erinnert mich an eine beliebte spanische Fernsehserie, die in der Zeit ab 1969, also noch unter der Franco-Diktatur, beginnt. Der Vater hat das Konversationslexikon der Familie im Kleiderschrank des Schlafzimmers (!) versteckt, wo er immer wieder mal nachschaut, wenn er seine Kinder mit Wissen beeindrucken möchte oder diese mit ihm unbekannten Begriffen aus der Schule kommen.

Ganz im Sinne der Gamification gibt es im Späher verschiedene „Level“, in denen der Spieler unterschiedliche Titel je nach erreichter Punktzahl erwerben kann und in der Hierarchie der „Späher“-Gemeinschaft aufsteigen kann. Bei Zusendung an der Stern winken sogar externe Belohnungen in Form einer „Ehrennadel“.

Ein spannender Fund, der beispielhaft zeigt, nur weil es digital ist, ist längst nicht alles neu 😉

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Ruanda 1994-2014

Foto: I, Inisheer, CC-BY-SA 3.0

Foto: I, Inisheer, CC-BY-SA 3.0

Im April jährt sich der Genozid in Ruanda zum 20. Mal. Ruanda steht ganz im Zeichen der Erinnerung an den Genozid mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Initiativen, mit zum Teil auch internationaler Reichweite. Der offizielle Gedenktag in Ruanda ist der 7. April 2014.

In Deutschland hat die Erinnerung an den Genozid bislang in diesem Jahr kaum Aufmerksamkeit gefunden. Medial fokussiert wird in bisher unbekanntem Maße die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, auch andere “runde” Jahrestage im “Gedenkjahr” 2014 (u.a. 14 n.Chr., 714, 1714, 1814) treten dahinter weiter zurück.

Nicht nur als Partnerland von Rheinland-Pfalz, sondern auch im Hinblick auf Ursachen des Genozids, den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit den Ereignissen sowie der Erinnerung an sie ist der Genozid in Ruanda ein relevantes Thema für den Geschichtsunterricht. Deshalb haben ich einige Online-Ressourcen zusammengestellt, um die Geschichte Ruandas und im besonderen die Erinnerung an den Genozid von 1994 im Geschichtsunterricht aufzugreifen.

Genocide Alert

http://www.genocide-alert.de/genozid-in-ruanda-zwanzig-jahre-danach/

Die Seite bietet zusammenfassende Informationen sowie Hinweis auf eine Veranstaltungsreihe in mehreren deutschen Städten mit Podiumsdiskussionen.

Von Genocide Alert gibt es auch ein Twitter-Projekt zur Erinnnerung an die Ereignisse 1994, das Tag für Tag 20 Jahre danach “Tagesnachrichten” sendet:

http://www.genocide-alert.de/genozid-in-ruanda-zwanzig-jahre-danach/twitter-timeline

Kwibuka20

Kwibuka bedeutet Erinnern auf Kinyarwanda. Unter dieser Bezeichnung firmiert das nationale Gedenken mit einer Vielzahl von Veranstaltungen, Aktionen und dem intensiven Einsatz von Social Media: http://www.kwibuka.rw

Auf Youtube findet sich ein Kurzfilm Kwibuka ‚Remember, Unite, Renew‘ http://www.youtube.com/watch?v=00x1L34wLF8

Die “Flamme der Erinnerung” wird zwischen Januar und April durch die 30 Bezirke des Landes getragen. U.a. auf Twitter und Facebook werden die Veranstaltungen in den verschiedenen Städten dokumentiert:

http://www.kwibuka.rw/events/events-listing/urumuri-rutazima-kwibuka-flame/

Homepage des Kigali Memorial Center http://www.kigaligenocidememorial.org

Les hommes debout / Upright men ist ein sehenswertes Kunstprojekt zur Erinnnerung an die Opfer des Genozids, das auf einer eigenen Homepage auf Englisch und Französisch dokumentiert ist:

http://www.uprightmen.org/

Arte hat weiterhin sein umfangreiches Dossier zum 15. Jahrestag online: http://www.arte.tv/de/2532286.html

In Ruanda ist die offizielle Bezeichnung der Genozid an den Tutsi, womit die Erinnerung an weitere Opfergruppen wie z.B. moderate Hutu ausgeblendet wird. Dagmar Dehner berichtet in einem “Ruanda-Tagebuch” aktuell für den Tagesspiegel mit einem kritischen Blick “vom richtigen und falschen Gedenken”:

http://www.tagesspiegel.de/politik/ruanda-tagebuch-2-vom-richtigen-und-falschen-gedenken/9435046.html

Hinweise zu Filmen über den Völkermord in Ruanda im Film finden sich in einem Beitrag auf “Lernen aus der Geschichte”: http://lernen-aus-der-geschichte.de/

Speziell zum Film „Hotel Ruanda“ bietet Amnesty ein kurze Handreichung mit Unterrichtsideen als PDF zum Download an: http://www2.amnesty.de/

Bereits von 2011 hat Julia Viebach für BpB über Ruanda für die BpB geschrieben:http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68826/gedenken-an-genozid-in-ruanda-07-04-2010

Dort findet sich auch ein Beitrag von 2010 über das Gedenken an den Genozid in Ruanda: http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/68826/gedenken-an-genozid-in-ruanda-07-04-2010

Für eine tiefere historische Kontextualisierung und Ursachenforschung sollte auch die deutsche und später belgische Kolonialherrschaft bearbeitet werden. Im Hinblick auf den Genozid relevant ist die gegenseitige Wahrnehmung sowie insbesondere die durch die Kolonialmächte erfolgte und festgeschriebene Einteilung der Bevölkerung in Hutu und Tutsi.

Arbeitsblatt zur Ankunft der ersten Deutschen in Ruanda und der gegenseitigen Wahrnehmung

https://geschichtsunterricht.wordpress.com/2009/07/12/deutsche-kolonialherrschaft-in-ruanda/

Kurzer Überblick zur Genese und Entwicklung der Zuschreibungskonstruktion von Hutu und Tutsi von Johannes Scheu: http://www.exc16.de/cms/ruanda.html

Ausführlicher Simone Paulmichl (1998, PDF): http://www.gsi.uni-muenchen.de/forschung/forsch_zentr/forschung_3_welt/arbeitspapier/ap26.pdf